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Das Museum präsentiert das Zeugnis demokratischer Streitkultur vom 16. Dezember an.

Stuttgart - Am Bauzaun, der den Nordflügel des Hauptbahnhofs gegenüber Stuttgart-21-Gegnern abschirmen sollte, offenbarte sich ein Durcheinander des Protests. Aber nur auf den ersten Blick. Ehe der Zaun im Haus der Geschichte ausgestellt wird, entziffern Historiker in dem vermeintlichen Chaos eine vielfältige Ordnung.

Es riecht nach Beton, kaltes Neonlicht tut in der tristen Lagerhalle sein Übriges. Nur vorübergehend hauchen ein paar Farbtupfer dem wie tot wirkenden, grauen Kelleraum an der Stuttgarter Urbanstraße so etwas wie Leben ein. So lange nämlich, bis Sarah Stewart und Johannes Häußler hier ihre Arbeit beendet haben. Die beiden Kuratoren im Haus der Geschichte Baden-Württemberg bereiten den mit bunten Botschaften behängten Bauzaun, der bis vorigen Dezember an der Nordseite des Stuttgarter Hauptbahnhofs stand, auf seine nächste Etappe vor. Der Zaun wird zentraler Teil der Ausstellung "Dagegen leben?" sein, die am 15. Dezember beginnt.

2500 Exponate werden repariert und katalogisiert

Farbe sollte eigentlich fröhlich machen, doch vielen Urhebern der bunten Einsprengsel war es bitterernst, als sie ihre Protestnoten an den Zaun hefteten. Sarah Stewart und Johannes Häußler sichten, katalogisieren, reparieren seit Monaten rund 2500 Exponate. Stuttgart-21-Gegner hatten sie dort angebracht, bis der Zaun in Einzelteilen ins Haus der Geschichte transportiert wurde.

Die beiden Kuratoren haben auf der wirr anmutenden Posterwand erstaunliche Dinge herausgefiltert. "Teils wurde auf Kommentare geantwortet", sagt die stellvertretende Museumsleiterin Paula Lutum-Lenger. "Andere haben in sich schlüssige Serien von Botschaften angebracht." Ein markantes Beispiel von ein und demselben Urheber: In den deutschen Bundesfarben Schwarz-Rot-Gold gehalten, reihen sich mehrere Mundart-Sprüche wie "Ond älles von meim Geld" oder "Granada Sauerei elende" aneinander. Insgesamt haben sich 260 verschiedene Urheber herausfiltern lassen.

Ferner lässt sich eine Art Hitparade derer zusammenstellen, gegen die sich der Zorn der Leute richtet. Der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus, Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster und Bahn-Chef Rüdiger Grube belegen die ersten Plätze. Eine weitere Systematik ergibt sich aus moralisch als integer geltenden Menschen wie Mahatma Gandhi, Bertolt Brecht oder auch dem Reggae-Musiker Bob Marley ("Get up, stand up"), die an dem Zaun - teils nicht immer korrekt - zitiert werden. Herauslesen lasse sich "ein Hang zu bildungsbürgerlichen Inhalten", belegt auch durch die für die Masse an Texten vergleichsweise geringe Anzahl Rechtschreibfehler.

"Wie stellt man Geschichte aus, die noch qualmt?"

"Es artikuliert sich an dem Zaun neben regionalem Protest auch eine bundesweit als gestört empfundene politische Kommunikation", hat Paula Lutum-Lenger festgestellt. "Schräges und Unverständliches" findet sich ebenso auf dem 80 Meter langen und 3,20 Meter hohen Gitter, etwa bei historischen Querverweisen zum Nationalsozialismus. Eine Vielzahl solcher Facetten sollen in der Ausstellung aufgearbeitet werden.

Vor den Zaunelementen steht auf einem Tisch ein Computer, in dem die Kuratoren ihre Entdeckungen abgelegt haben, daneben ein Modell, das zeigt, wie der Zaun demnächst im Haus der Geschichte in seinem Originalzustand im Bereich der Wechselausstellungen aufgestellt wird. Der Zaun fungiert dabei als eine Art Rahmen, von den Besuchern abgetrennt durch eine mit Gleisschotter gefüllte Rabatte. Mehrere Elemente in dem Raum sollen den alten und neuen Bahnhof symbolisieren. Aus dem Off hören die Besucher Geräusche des Protests und Töne aus einer Bahnhofshalle.

Pilgerstätte oder nicht?

Man habe die Ausstellung so rasch wie möglich umsetzen wollen, sagt Paula Lutum-Lenger. "Die Frage dabei war: Wie stellt man Geschichte aus, die noch qualmt?" Die zeitliche Nähe zur vorgesehenen Volksbefragung macht ihr keine Sorgen, ebenso ist die Ausstellungsleiterin eher gespannt darauf, ob sich die Schau zu einer Art Pilgerstätte für Stuttgart-21-Gegner entwickelt oder nicht. Zielgruppe seien vor allem Menschen, die neugierig darauf seien, was im vorigen Jahr passiert ist.

Beim Abbau des Zauns am Bahnhof, erinnert sich Paula Lutum-Lenger, ereignete sich manch skurrile Anekdote. So gab es den Hinweis eines Projektgegners, man möge den Zaun doch jetzt zügig abbauen, "da immer mehr Projektbefürworter etwas dranhängen". Mit historischer Aufarbeitung habe so etwas natürlich wenig zu tun.

Die Ausstellung "Dagegen leben?" ist vom 16. Dezember bis zum 1. April im Stuttgarter Haus der Geschichte an der Konrad-Adenauer-Straße zu sehen.