Erneut wurden Politiker im Bundestag zum Opfer einer Cyberattacke russischer Hacker Foto: dpa

Der jüngste Cyberangriff auf deutsche Politiker zeigt: Russland führt einen Propagandafeldzug gegen Deutschland. Das könnte vor den Bundestagswahlen noch zunehmen, warnen Experten.

Stuttgart - Frühjahr 2017: Deutschland steckt mitten im Bundestagswahlkampf und der Kremlherrscher Wladimir Putin mischt kräftig mit. Moskau startet eine großangelegte „Friedenskampagne“, die Deutschland und die USA als Kriegstreiber brandmarken. Insbesondere der Antrittsbesuch der neu gewählten US-Präsidentin Hillary Clinton bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin wird von russischen Politikern und Medien als „unheilvolle Allianz“ gesehen, die den Dritten Weltkrieg betreibt. Auf zahlreichen Demonstrationen in Deutschland fordern linke Antifa-Leute, aber auch Russlanddeutsche und Politiker der Alternative für Deutschland (AfD) ein Ende der Eiszeit zwischen Berlin und Moskau und die Aufhebung der EU-Wirtschaftssanktionen. Flankierend dazu veröffentlicht die Enthüllungsplattform Wikileaks Mails aus dem Kanzleramt zu Geheimabsprachen zwischen Washington und Berlin zur Ukraine.

Achtung: Alles erfunden! Trotzdem gar nicht mehr so weit hergeholt und Teil eines im Juli von der Berliner Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) denkbaren Szenarios, wie Russland eine „facettenreiche Kampagne zur Diskreditierung Deutschlands“ starten könnte. Nach der Einschätzung deutscher Sicherheitsexperten hat Russland seine Kampagne gegen Deutschland zuletzt stark ausgeweitet.

„Russland setzt auch in Deutschland offenbar auf eine Destabilisierung der Gesellschaft durch Desinformation und Propaganda“, sagt eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) unserer Zeitung. Dazu gehören auch Cyberangriffe, wie der gerade bekannt gewordene auf Parteien und Bundestagsfraktionen. Damit würde versucht, an Informationen zu gelangen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt enthüllt, die öffentliche Meinung beeinflussen soll, erklärt die BfV-Sprecherin.

Russische Hacker in Regierungsdiensten

Für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) steht fest, dass hinter dem neuen Cyber-Angriff auf deutsche Politiker russische Hacker stecken: „Die dem BSI bekannten technischen Parameter und Vorgehensweisen decken sich im aktuellen Fall mit denen der APT28-Gruppe“, sagt Behördensprecher Tim Griese. Hinter der Abkürzung APT28 sehen westliche Sicherheitskreise russische Hacker mit Verbindung zur russischen Regierung. Diese Hacker werden auch für den großangelegten Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr verantwortlich gemacht.

Bei der jüngsten Attacke erhielten Politiker und Mitarbeiter mehrerer Parteien im August E-Mails von einem vermeintlichen Absender aus dem Hauptquartier der Nato. Darin enthalten war ein Link mit Spähsoftware. Doch anders als bei früheren Angriffen war nach Angaben des BSI „der Verteilerkreis größer“. Dazu gehörten Landesverbände, Jugendorganisationen oder Parteigeschäftsstellen.

Auch in den US-Präsidentschaftswahlkampf mischt sich die russische Regierung massiv ein. Im Sommer hatten russische Hacker pünktlich zum Parteitag der Demokraten kompromittierende Mails veröffentlicht, die zum Rücktritt der Parteichefin führten. Auch die US-Sicherheitsdienste sehen den Kreml hinter der Kampagne. Gerade erst wurden private Mails des früheren US-Außenministers Colin Powell veröffentlicht – gewissermaßen als Schützenhilfe für den republikanischen Putin-Versteher Donald Trump, den Moskau natürlich lieber im Weißen Haus sähe als dessen viel russlandkritischere Rivalin Hillary Clinton.

„Konflikte und Unsicherheiten schüren“

„Russland beschäftigt sich seit Jahren mit hybrider Kriegsführung“, sagt der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. Dazu gehören die sogenannten grünen Männchen, Elitesoldaten ohne Hoheitsabzeichen, wie sie etwa im Frühjahr 2014 auf der Halbinsel Krim zum Einsatz kamen. Aber auch Cyberangriffe und Desinformation. Im Hybridkrieg ist Information wichtiger als Artillerie und Schlachtfeld ist das Internet. „Die Russen wissen, dass sie unsere Demokratie nicht so leicht aus den Angeln hebeln können“, sagt der Nürtinger Bundestagsabgeordnete. „Aber sie wollen Konflikte und Unsicherheiten schüren.“ Vor den Bundestagswahlen im kommenden Jahr hält er mehr russische Manipulationen „für durchaus denkbar“.

Ein Paradebeispiel dafür liefert auch der „Fall Lisa“ vom Januar dieses Jahres. Russische Regierung und Medien bauschten die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens in Berlin als Beweis dafür auf, dass Deutschland von Fremden überrannt und nicht mehr sicher sei. Prompt demonstrierten Hunderte von Russlanddeutschen in Berlin und anderen Städten. Der russische Regierungskanal „RT deutsch“ oder das Redaktionsnetzwerk „Sputnik“ lieferten ordentlich zugespitzt den propagandistischen Begleitdonner. Als Moskaus Außenminister Sergei Lawrow den deutschen Behörden öffentlich „Vertuschung“ vorwarf, platzte sogar dem russlandfreundlichen Außenminister Frank-Walter Steinmeier der Kragen. Scharf wies er die Vorwürfe als „politische Propaganda“ zurück. Im Internet kursierte aber weiter die Mär von der Vergewaltigung.

Ein neues Beispiel für wahrheitsferne postfaktische Politik: Indem sie auf all ihren Kanälen massiv nur ihre Sicht der Dinge pusht, untergräbt Moskaus Propagandamaschinerie jeden Glauben an die Wahrheit – eine Schwachstelle in offenen demokratischen Gesellschaften.

Merkel-Regierung als Gegner

Bis zur Ukraine-Krise galt Deutschland in Moskau als wichtiger Partner. Doch damit ist es vorbei, seit vor allem Kanzlerin Merkel (CDU) in der Europäischen Union darauf besteht, die schmerzhaften Wirtschaftssanktionen wegen der russischen Annexion der Krim und der andauernden Hilfe für die Separatisten in der Ostukraine beizubehalten. Seither ist Merkel ein Gegner, den es zu schwächen gilt. Auch mit Angriffen auf ihre Flüchtlingspolitik. Darüber kann auch die Moskau-Visite von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nicht hinwegtäuschen. Im Gegenteil: Putin empfängt ihn sicher auch, weil Gabriel anders als Merkel eine Lockerung der Sanktionen fordert.

Dabei richtet sich der russische Informationskrieg gegen den Westen insgesamt. Es ist alles willkommen, was EU- und Nato-Partner auseinandertreibt. Bei der Wahl der politischen Verbündeten ist Moskau nicht zimperlich und obendrein ideologisch blind. So unterstützt Russland Rechtsextremisten in ganz Europa – in Frankreich den Front National, in Griechenland die Goldene Morgenröte und in Ungarn die Jobbik-Partei.

Viele Putinbewunderer bei der AfD

„Auch in der AfD bewundern viele Putin“, in unsicheren Zeiten scheint autoritäre Führung für viele wieder attraktiv, meint der Bundestagsabgeordnete Arnold. Und ob der Kreml die deutschen Rechtspopulisten nicht auch mit Geld unterstütze – etwa über den obskuren Stuttgarter „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“, der die AfD in den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern massiv mit Wahlwerbung unter die Arme griff, sei unklar, so der SPD-Politiker.

EU und Nato haben zur Abwehr des russischen Propagandakrieges eigens Sonderabteilungen aufgebaut. Doch diese Versuche, die Propaganda zu entlarven stehen erst am Anfang. Für die Strategen besteht jedoch kein Zweifel, dass von den russischen Bestrebungen eine wachsende Gefahr ausgeht – nicht nur für die politische Kultur, sondern auch für den Fortbestand von Demokratie und Sicherheit in Europa. Verteidigungspolitiker Arnold fordert daher, den raschen Ausbau der deutschen Cyberabwehr. Und kurzfristig empfiehlt SWP-Russland-Expertin Susan Stewart der Bundesregierung: „Man sollte auf falsche beziehungsweise beleidigende russische Aussagen mit deutlichen Worten reagieren.“ Selbst wenn die Spannungen mit Moskau zunehmen.