Cy Twombly 2010 im Louvre in Paris. Foto: AP

Der US-amerikanische Maler Cy Twombly ist im Alter von 83 Jahren in Rom gestorben.

Stuttgart - Einer wie keiner in der Kunst nach 1945: In der Andeutung, im schnellen Strich fand der US-amerikanische Künstler Cy Twombly bis in sein achtes Lebensjahrzehnt sein Malerglück. Bis zuletzt vertraute der Vorreiter des Abstrakten Expressionismus der Ausarbeitung der ersten Notationen.

Bilder, Bildtafeln. Ein zwölfteiliger Reigen. "Lepanto". Gemaltes Hoffen und Verzweifeln, farbig lustvoll im Detail, zeichenhaft aber doch im Ganzen. Gedankennotizen zu einer Seeschlacht im Golf von Korinth. Mit wenigen Strichen angedeutete Schiffe fahren auf türkisfarbener See hinaus - und verwandeln sich bald in rot glühende Todesboten. Twombly zerstört den Mythos des Sieges der spanischen, venezianischen und päpstlichen Trupen über die osmanische Flotte nicht, er reiht das Drama vielmehr ein in den Jahrtausende währenden Kampf um die Vorherrschaft im und am Mittelmeer.

25 Jahre nach Beuys' "Straßenbahnhaltestelle" auf der Biennale in Venedig gezeigt, führte Twomblys "Lepanto"-Zyklus 2001 noch einmal ebenso weit in die Vergangenheit wie auch in eine Zukunft, die vor neuerlichem Blutvergießen im Geist des Mythos nicht gefeit ist. Das Wiedersehen mit "Lepanto" oder besser vielleicht die Wiederaufführung von "Lepanto" im Kunsthaus Bregenz in der "Regie" von Eckard Schneider geriet 2007 zum Triumph, und nun ist es der "Lepanto"-Zyklus, der allein schon den Besuch des Museums Sammlung Brandhorst in München lohnend macht.

Twomblys frühe Bilder erinnern an beschriebene Häuserwände

Roland Barthes schrieb über die Arbeiten von Cy Twombly: "Unterscheiden wir also die Botschaft, die eine Information erzeugen will, das Zeichen, das eine Einsicht hervorbringen will, und die Gebärde, die den ganzen Rest (die "Zugabe") produziert, ohne eigentlich etwas produzieren zu wollen. Der Künstler (halten wir an diesem etwas kitschigen Wort noch fest) ist von Haus aus Gebärdenmacher: er will einen Effekt herbeiführen, und gleichzeitig will er es nicht; die Effekte, die er produziert, hat er nicht unbedingt gewollt; es sind zurückgewandte, umgedrehte, ausgebrochene Effekte, die auf ihn zurückfallen und Modifikationen, Abweichungen, Erleichterungen der Spur hervorrufen."

Und anlässlich von Twomblys 75. Geburtstag im April 2003 hob auch unsere Kritikerin Andrea Kachelrieß die Bedeutung des langen Bogens und des immerwährenden Anlaufs im Schaffen des Malers hervor: "Twomblys frühe Bilder erinnern an beschriebene Häuserwände, von denen der Putz abblättert. Er bevorzugt Motive, die sich im hellen Malgrund fast verlieren, erst spät wagte er sich an Farben. Fast explosiv wirken einige der jüngsten Werke, auf der vergangenen Biennale in Venedig zu sehen: Der zwölfteilige Gemäldezyklus "Lepanto" setzt Farben wie Wurfgeschosse ein - ein Verweis auf die blutige Schlacht von Lepanto. Auch wenn geschichtliche Ereignisse, die Poesie und antike Mythologien dem Künstler als Anregung dienen - beim Betrachten liegt die Wahrheit seiner Kunst allein in ihrer Körperlichkeit."

Eben diese "Körperlichkeit" begründet denn auch den enormen Einfluss Cy Twomblys auf die europäische und US-amerikanische Kunst nach 1960. Wenn John Berger den Twombly als malenden Meister des verbalen Schweigens beschreibt, dessen Werke mit lebendiger Farbigkeit den stillen Raum zwischen und unter den Wörtern veranschaulichen, ist damit die Kraft wie auch die Bedeutung eines Ausrufs aus vorgeblicher Stille identifiziert. Das Ausrufen ist bei Twombly ein Aufrufen - von Zeichen, die Figurationskürzel wie auch Buchstaben, Wörter, Zitate sein können. Das Aufrufen ist ein Setzen, und in seinem bewussten Minimalismus wehrt sich Twombly früh gegen das überbordende All over seiner US-amerikanischen Malerkollegen.

Twombly bricht mit der neuen Kunstweltmacht

Über ein Stipendium in New York war Twombly 1950 in Kontakt mit den Werken von Mark Rothko, Jackson Pollock und weiteren Helden der New York School gekommen. Robert Rauschenbergs Rat, am Black Mountain College im US-Staat North Carolina zu studieren, brachte Twombly dort zudem den Ideen der Konzeptkunst nahe. Dann indes bricht Twombly mit der neuen Kunstweltmacht und geht 1957 nach Italien. In Geata bei Rom entstehen bald die für ihn so charakteristischen großformatigen Gemälde, die poetischen Tagebuchseiten gleichen und einen künstlerischen Prozess widerspiegeln, der nach Twombly selbst eine "drängende Aktion des Entstehens ist, der mittelbare oder unmittelbare Druck, der im akuten Gestaltungsakt zum Klimax führt".

"Mitte der 1960er Jahre", beobachtete unser Kritiker Oliver Class anlässlich einer Twombly-Schau bei Daros Exhibitions in Zürich, "gibt er diese eruptive Malerei zu Gunsten einer konzeptuellen Bildsprache und einer reduzierten Farbigkeit auf. 1971 entsteht mit ,Untitle' ein großes Wandtafel-Schreib-Bild, in dem die vorherrschenden Horizontallinien durch gezielte, kurze Vertikale metrisch unterbrochen werden. Mit sparsamsten formalen Mitteln versteht es Twombly, zu höchster inhaltlicher Aussagekraft zu gelangen; die Zeit verlangsamt sich, das große Bildfeld wird zum Landschaftsraum, die Zeit zum Fluss." "Das Sichverändern, das Verständnis der Existenz als ein fließender Prozess, die ,Passage' werden in den 1980er Jahren zu einem bestimmenden Moment in Twomblys Werk", schreibt Class weiter, und eben vor der Folie dieser "Passage" sind denn auch die in vergangenen Jahren in den Blick gerückten Fotoarbeiten Twomblys zu sehen.

Am Dienstag ist Cy Twombly im Alter von 83 Jahren in Rom gestorben.