Kriselnde Beziehungskiste: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer kann Kanzlerin Angela Merkel einfach nicht mehr verstehen. Foto: dpa

Die CSU verzweifelt an der CDU, weil sie um den bürgerlichen Markenkern der Union fürchtet. Die Aussicht auf schwarz-grüne Bündnisse verstärkt die schlechte Laune.

Berlin - Vor einer kleinen politischen Ewigkeit, also vor einem knappen Monat, vereinbarten die beiden Schwesterparteien der Union noch unter dem frischen Eindruck der AfD-Erfolge eine Art Waffenstillstand. Nicht länger sollte der Dauerstreit das Erscheinungsbild des Regierungsbündnisses prägen. Der Frieden war von kurzer Dauer. Die rhetorischen Kampfhandlungen sind schon wieder in vollem Gange.

Eine kleine Bilanz der allerjüngsten Störfeuer. „Selbstherrlich“ nennt CSU-Chef Horst Seehofer den Regierungsstil der Kanzlerin. „Das völlig falsche Signal“ habe der Innenminister Thomas de Maizière mit seiner Ankündigung ausgesandt, die Grenzkontrollen zu Österreich demnächst wieder abzuschaffen. Und wie nennt Hans-Peter Uhl die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin? „Gescheitert.“

Über die Kanzlerin hatte die CSU seit Beginn der Flüchtlingskrise die bajuwarische Reichsacht verhängt. Was nun aber auffällt: Die Bayern hadern längst nicht mehr nur mit der Regierungschefin. Die CSU blockiert seit langem mit der Erbschaftssteuer eines der wichtigsten Projekte von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Und nun hat Horst Seehofer mit einer Schärfe, die in der CDU aufhorchen lässt, auch noch den Innenminister ins Visier genommen, dem die CSU in der Flüchtlingspolitik doch bislang vergleichsweise viel Respekt entgegen gebracht hatte. Dass beim Koalitionsgipfel im Kanzleramt am Mittwochabend die Angela Merkel erst einmal zwei Stunden (!) den Zorn des CSU-Chefs besänftigen musste, ehe SPD-Chef Sigmar Gabriel hinzu kommen durfte, sagt alles über Klima und Konfliktlinien in der Koalition.

Was ist das einende Band der Union?

Hakeleien zwischen CSU und CDU gehören zur Leitkultur der beiden Parteien. Und man wird gewiss nicht sagen können, dass der Umgang, den Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl miteinander pflegten, von größerer Zurückhaltun geprägt gewesen war. Aber es gibt einen Unterschied zum aktuellen Ärger: Merkel und Seehofer hätten derzeit Mühe zu definieren, was eigentlich noch das einende Band der beiden Unionsparteien ist.

Seehofer hat in dieser Woche genau darauf angespielt, als er forderte, die Union müsse einmal das „Projekt formulieren, was wir wollen“. Die CSU sieht die Merkelpartei in einer Identitätskrise. Das meint wohl Markus Blume, der Chef der CSU-Grundsatzkommission, wenn er die CDU davor warnt, nicht ihren „bürgerlichen Markenkern“ zu verspielen. Und dasselben meint EX-CSU-Bundesminister Peter Ramsauer, wenn er sagt, die CDU sei gerade dabei, „die konservative Stammwählerschaft in weitere Verzweiflung zu stürzen“. Dabei hat er die sich anbahnende grün-schwarze Koalition im Südwesten im Blick.

Tatsächlich erklärt der Flirt der Südwest-CDU mit den Grünen einen Teil der schlechten CSU-Laune. Die Bayern haben derzeit alle Hände voll zu tun, das rechtskonservative Wählerklientel nicht an die AfD zu verlieren – was ihnen durchaus nicht schlecht gelingt. Dass in dieser Phase eine Koalition mit den Grünen die Union ideologisch überspannen könnte, treibt Horst Seehofer um. Schon in der großen Koalition ist der Einfluss der CSU auf die Bundespolitik deutlich reduziert. Seit langem müssen sich die Bayern auf symbolische (Schein-)Erfolge wie beim Erziehungsgeld oder der Maut beschränken. Die Aussicht, dass über den Umweg Stuttgart auch auf Bundesebene eine schwarz-grüne Koalition entstehen könnte, kann der CSU nicht gefallen.

Seehofers Raserei verstört auch potenzielle Partner

Erklärt das die Lautstärke? Zum Teil sicher. Aber es geht wohl um mehr. Die Geschmeidigkeit, mit der die Kanzlerin wieder und wieder auch die härtesten Schläge locker auspendelt, macht Seehofer mürbe. Ihm gehen die Druckmittel aus. Klage vor dem Verfassungsgericht? Schreckt Merkel nicht. Austritt der CSU-Minister aus dem Kabinett? Würde die CSU politisch jeden Einflusses berauben. Die Ausdehnung auf ganz Deutschland? War immer nur ein Papiertiger.

Seehofers Raserei verstört auch potenzielle Verbündete. „Vieles von dem, was Seehofer in Sachen Zuwanderung will, finde ich richtig“, sagt etwa der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. „Aber so, wie er es sagt, schadet er Leuten wie mir in der CDU.“