Stephen Stills, Graham Nash und David Crosby beim Auftritt am Dienstag in der Porsche-Arena in Stuttgart Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Gemeinsam mit Stephen Stills und David Crosby Nash ist Graham Nash wieder unterwegs. Am Dienstag waren Crosby, Stills & Nash für eines von zwei Deutschland-Konzerten in Stuttgart zu Gast. Zuvor konnte unsere Zeitung mit ihm sprechen – über Woodstock und über die Gegenwart.

Stuttgart - „Es regnete, überall war Matsch, und unsere Lautsprecheranlage war nicht die beste. Ich weiß noch, wie wir im Helikopter über die Menge hinwegflogen und dass ich staunte, wie viele Menschen dort waren. Kürzlich habe ich mir wieder unsere Aufnahmen angehört, und ich muss sagen: Das haben wir gar nicht schlecht hinbekommen, damals, unter diesen Umständen.“ Graham Nash erinnert sich – an den 17. August vor 46 Jahren, an Woodstock.

Und heute? Nach all den Jahren bereitet es ihm noch immer Freunde, auf die Bühne zu gehen: „Ich glaube wirklich daran, dass unsere Musik die Herzen und den Geist der Menschen berührt“, sagt er unserer Zeitung. „Wenn ich sehe, dass das Publikum mit einem wirklich großen Lächeln im Gesicht von einem unserer Konzerte nach Hause geht, dann weiß ich: Wir haben unsere Arbeit gut gemacht.“

Nash wurde 1942 in der englischen Küstenstadt Blackpool geboren. Er ist nun 73 Jahre alt, aber er erinnert sich noch gut an das erste Mal, als er auf einer Bühne stand: „Damals war ich 15“, erzählt er. „Ich spielte mit meinem Freund Allan Clarke in einer Arbeiterkneipe. Allans Bruder hatte das vorgeschlagen. Es war unser allererster Auftritt, es war großartig. Wir waren zwei junge Typen mit akustischen Gitarren, und wir wussten, wir würden es schaffen.“

Graham Nash ist ein Skeptiker

Fünf Jahre später gründeten Nash und Clarke in Manchester The Hollies. Nash schrieb viele Songs für sie, verließ die Band 1968, zog nach Los Angeles, ins Herz der amerikanischen Hippie-Kultur, nahm Drogen, lebte zwei Jahre lang mit Joni Mitchell zusammen und wurde gemeinsam mit David Crosby und Stephen Stills zur Supergroup des Westcoast-Sounds. Auch für Crosby, Stills & Nash schrieb er einige der schönsten Stücke: „Teach Your Children“, „Wasted On The Way“, „Our House“ und „Marrakesh Express“ sind von ihm. Und natürlich „Chicago“, ein Stück, das von den politischen Unruhen handelt, die sich 1968 in dieser Stadt zutrugen, und die gewaltsam niedergeschlagen wurden: „We can change the world“ – so lautet der Refrain: Wir können die Welt verändern. „Vor ein paar Tagen“, sagt Graham Nash, „als wir in Genf spielten, habe ich das wieder gesungen. Ich saß am Piano und sagte: Wir glauben wirklich immer noch an diesen Song. Und dann spielten wir ‚Chicago‘.“

Aber die Welt hat sich geändert, wurde verändert, von anderen. 2015 ist Nash ein Skeptiker, in mancher Hinsicht vielleicht ein Pessimist, aber er will sich die Hoffnung nicht nehmen lassen. „Man kann die Leute, die heute die Medien in aller Welt kontrollieren, an zwei Händen abzählen. Diese Leute wollen keine Protestsongs in ihrem Fernsehen, sie wollen sie überhaupt nicht. Alles, was sie wollen, ist, dass die Menschen sitzen bleiben, so dass sie ihnen noch ein Paar Sneakers verkaufen können oder noch einen Softdrink. Ich mache mir nichts vor darüber, in welche Richtung die Musik sich entwickelt, ich mache mir nichts vor darüber, wohin es mit der Politik geht. Die Politik, die die Vereinigten Staaten heute haben, ist ein Witz.“

Nash sieht im Konflikt mit der islamischen Welt das größte Problem der Gegenwart. „Aber es gibt auch so viele andere“, sagt er. „Die Kernenergie, Fukushima, den Terrorismus, das Erziehungssystem in den USA, das entsetzlich mangelhaft ist, den Klimawandel, Millionen von Menschen, die kein sauberes Trinkwasser haben . . . Es sind so viele. Aber man darf die Hoffnung nicht verlieren. Ich habe Kinder, ich darf nicht aufgeben. Alles andere wäre ungeheuer deprimierend.“

Eine verrückte Welt, die immer verrückter wird

Und ein Künstler, sagt Graham Nash, sollte Verantwortung tragen und versuchen, seine Zeit zu spiegeln – „wir sollten die Leute, oder die Dinge, mit denen wir nicht einverstanden sind, kritisieren, und das, was wir gut finden, sollten wir feiern. Die Welt dort draußen ist verrückt, und sie scheint mit jeder Sekunde verrückter zu werden.“

Nash glaubt weiter an die Kraft der Lieder und der Kreativität. Von Joni Mitchell ließ er sich einst für die Malerei begeistern, seit den 1980er Jahren stellt er eigene Bilder aus. „Das ist alles dieselbe Energie“, sagt er. „Ich überlege jeden Tag, wie ich sie nutzen möchte. Wenn ich keine Songs schreibe, dann male ich. Wenn ich nicht male, fotografiere ich. Wenn ich nicht fotografiere, tue ich irgendetwas anderes, es gibt tausend Möglichkeiten. Ich habe immer das Gefühl, etwas erschaffen zu müssen.“

Neil Young wird nie mehr mit uns spielen, sagt Nash

Neil Young, mit dem er oft auftrat, der immer mal wieder zu Crosby, Stills & Nash gehörte, mal wieder nicht, setzt sich heute für einen besseren Sound ein, kämpft gegen das Geschäft mit dem billigen MP3-Format – und hat Graham Nash dabei ganz auf seiner Seite: „Ich liebe Neil dafür, dass er den Hörern seiner Musik das beste Erlebnis bieten möchte. Ich denke, dass das der richtige Weg ist.“

Crosby, Stills, Nash & Young – diese Geschichte allerdings scheint nun endgültig vorbei zu sein: 2014 kam es zum Streit zwischen David Crosby und Neil Young, Crosby beschimpfte Youngs Partnerin Daryl Hannah, Young erklärte, er wolle niemals mehr mit Crosby auftreten – und Graham Nash glaubt, dass es genau so sein wird: „Was David sagte, war einfach nur ungeheuer dumm“, meint er. „Neil gab ihm eine Chance, sich zu entschuldigen, aber er hat sie nicht genutzt. Ich glaube nicht, dass Neil jemals wieder mit uns spielen wird.“

Von Crosby, Stills und Nash wird es bis auf weiteres keine neuen Songs aus dem Studio geben – David Crosby veröffentlichte erst im vergangenen Jahr ein Solo-Album, Stephen Stills nahm eines mit der Bluesband The Rides auf – „und ich“, sagt Graham Nash, „habe mit meinem guten Freund Shane Fontayne zwanzig neue Songs geschrieben und aufgenommen, in nur acht Tagen – im Frühjahr wird es also auch ein neues Solo-Album von Graham Nash geben.“ Einige von ihnen wird man zuvor in der Stuttgarter Porsche-Arena hören. Die Lieder, die Graham Nash auf der Bühne am liebsten spielt, das sind jedoch die alten Songs seiner Bandkollegen: Neil Youngs „Ohio“ ist einer seiner Favoriten, Stephen Stills’ „Suite: Judy Blue Eyes“ der andere – Crosby, Stills, Nash & Young sangen diese Suite in Woodstock.

Vitaler als vor fünf Jahren auf der Esslinger Burg

„Suite: Judy Blue Eyes“ ist aber nicht nur ein Lieblingsstück von Graham Nash. Das Publikum in der Porsche-Arena jubelt, als Crosby, Stills & Nash ihn am Dienstagabend noch einmal singen. Stills schlägt die akustische Gitarre an und wandert dabei für einige Takte in George Harrisons indische Meditation „Within You Without You“ ab: Ein wunderbarer Abschluss für den Auftritt von drei Legenden, die ihre Fans mit ihrer Musik durch fast fünf Jahrzehnte begleitet haben.

Stephen Stills, 70 Jahre alt seit Januar, ist der Jüngste des Trios, David Crosby, 74 seit August, der Älteste. Die drei treten vitaler auf als vor fünf Jahren auf der Burg Esslingen. Wenn Crosby und Nash gemeinsam „Cathedral“ singen, jagt das noch immer Schauer über den Rücken der 3200 Zuhörer. Wenn Graham Nash „Our House“ anstimmt, das Lied über sein Leben mit Joni Mitchell, dann singt der ganze Saal mit ihm diese leichte, schöne, glückliche Melodie.

Crosby singt mit zorniger Wucht „Almost Cut My Hair“

Crosby, Stills & Nash werden von einer versierten Band begleitet, Shane Fontanye, der auf dem neuen Album von Graham Nash spielt, gehört zu ihr. James Raymond, der Sohn von David Crosby, sitzt an den Keyboards. Keiner der großen Songs von Crosby, Stills & Nash fehlt an diesem Abend. Crosby, der Mann mit langem weißem Haar, singt mit zorniger Wucht „Almost Cut My Hair“, Graham Nash erzählt mit „Helplessly Hoping“ von der Suche nach sich selbst und setzt sich dann auch in Stuttgart ans Klavier, um ungebrochen klar „Chicago“ in die Tasten zu hämmern.

Gemeinsam sind Crosby, Stills & Nash so stark wie lange nicht: „Wooden Ships“ wird noch einmal zur großen Rockhymne – ein Lied von Krieg und Frieden, Apokalypse und Versöhnung, eine Hymne der Woodstock-Generation, ein brillanter Song noch heute.