Léonie-Claire Breinersdorfer Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Eine Formel fürs perfekte Verbrechen verrät die Stuttgarter Drehbuchautorin Léonie-Claire Breinersdorfer nicht, trotzdem sorgt sie beim Gespräch für Gänsehaut-Momente.

Einen Eisbrecher braucht es nicht beim Interviewtermin mit der Stuttgarter Drehbuchautorin Léonie-Claire Breinersdorfer. Die Expertin für anspruchsvolle Krimistoffe freut sich aufrichtig über den Besuch von der Zeitung, weil sie ein dringendes Anliegen umtreibt. Stuttgart sei als Schauplatz von Serien und Spielfilmen bei vielen verpönt, erklärt sie schon im Telefonat vorab, das müsse sich endlich ändern. Nun sitzt sie an ihrem stattlichen Esszimmertisch, legt die Hände auf die kühle, polierte Platte, und sagt:„Wenn ich noch einmal jemanden höre, der mir erzählt, Stuttgart sei provinziell, werde ich sauer! Ich will im Film doch nicht immer bloß Berlin oder Frankfurt sehen, das ist langweilig“.

Außerdem: „Es gibt überall Mord, Totschlag und gemeine Menschen.“ Österreichische Krimis liebt sie besonders, erzählt sie, auch die Verfilmung von Andrea Maria Schenkels historischem, in der Oberpfalz angesiedeltem Krimi „Tannöd“. Bei ausländischen Serien faszinieren sie vor allem Produktionen wie „Fargo“ oder David Lynchs Klassiker „Twin Peaks“, die beide in ländlichen Regionen fernab der Metropolen spielen. „Ich finde es unglaublich interessant, wie Gier, Hass und Verletzungen eine Familie oder Dorfgemeinschaft zerreißen können.“ Auch die großen Streamer wie Netflix und Co. suchten gerade nach regional verwurzelten Stoffen. „Das amerikanische und asiatische Publikum ist fasziniert von unseren deutschen Märchen und Mythen. Klar, das sind ja auch die archaischen Grundformen des Erzählens über Verbrechen wie Kindesmissbrauch, Mord oder Entführung.“

Leidenschaft fürs Kriminelle – wie ihr Vater

Léonie-Claire Breinersdorfer, Jahrgang 1976, ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen, wechselte zum Jura-Studium nach Wuppertal und Düsseldorf, lebt aber inzwischen wieder in ihrer schwäbischen Heimat, in einer eleganten Altbauwohnung, ruhig gelegen im Osten. Kriminalerzählungen dürfen, können und sollen stärker regional verortet sein, findet sie, und redet begeistert und mit viel Wärme über ihre Heimat, die sie gerne stärker in Film und Fernsehen repräsentiert sehen würde.

Ihre berufliche Leidenschaft fürs Kriminelle teilt sie mit ihrem Vater, dem Anwalt und Drehbuchautoren Fred Breinersdorfer, mit dem sie bis vor einigen Jahren zusammengearbeitet hat. Anfangs habe ihn der Wunsch der Tochter, selbst im Filmgeschäft zu arbeiten, aber nicht begeistert. „Du spinnst! Mach mal schön Jura, hat er erst gesagt“. Irgendwann akzeptiert er ihre Pläne aber doch. „Dann hat er mir alles beigebracht“, sagt Breinersdorfer. Mit der Stuttgarter SOKO hatte sie angefangen, gemeinsam mit dem Vater schreibt sie Tatort-Episoden; nach dem letzten gemeinsamen Projekt, dem Drehbuch zu Oliver Hirschbiegels „Elser – Er hätte die Welt verändert“ über den im württembergischen Hermaringen geborenen NS-Widerstandskämpfer Georg Elser, trennen sich Vater und Tochter 2015 beruflich wieder. „Am Anfang musste ich mir erst das Vertrauen erarbeiten, dass ich es auch allein kann.“ Seitdem läuft es aber beruflich gut für die 46-jährige.

Auf die Frage, ob sie eine Formel für den perfekten Mord parat hätte, antwortet sie mit einem diebischen Lächeln: „Das verrate ich natürlich nicht, um niemanden auf dumme Gedanken zu bringen.“ Tatsächlich hat sie ein bisschen Sorge, Leute könnten sich bei allzu viel Realismus vom Film etwas abgucken. „Deshalb haben mein Vater und ich bei einem Tatort auch das Verhältnis eines Gas-Luft-Gemischs absichtlich falsch beschrieben. Wir bekamen zig Zuschriften, das stimme doch nicht. Ich glaube aber: Je einfacher ein Verbrechen, desto besser. Man muss sich genau überlegen, was man vorhat, damit man möglichst cool bleibt. Und man sollte jegliche digitale Spur vermeiden; keine Kreditkarten im Umfeld der Tat nutzen, zum Beispiel.“

„Zuschauer zu fesseln ist nicht einfach“

Rückmeldungen, dass sich Leute durch ihre Krimis zu einer Tat inspirieren ließen, hat Breinersdorfer noch nicht bekommen. Ihr Vater habe allerdings einmal über einen Schulamokläufer geschrieben und kurz danach sei in Winnenden der Amoklauf gewesen. „Da beginnt man schon, über die eigene Verantwortung nachzudenken.“

Das Krimi-erprobte Publikum aber überhaupt noch zu fesseln, sei gar nicht mehr so einfach. „Formate wie SOKO funktionieren stark nach einem Baukasten-Prinzip, da ist es besonders schwer, etwas zu finden, was die Leute noch nicht gesehen haben.“ Trotzdem hat sie gerne Folgen für die Vorabendserie geschrieben. „Weil auch die Menschen, die sich das Vorabendprogramm anschauen, spannende und ordentlich recherchierte Geschichten geboten bekommen sollen. Ich muss ehrlich sagen, bei den Grenzen, die diese kurzen Formate mir als Autorin vorgeben, muss ich mich schon anstrengen, dass mir etwas Gescheites einfällt.“ Recherche ist für eine gute Story das A und O, „ich bin nicht so der CSI-Typ und habe keine Ahnung von diesen irren Methoden“, sagt sie, und spielt damit auf Ermittlungsserien aus den USA an, die eine hypermoderne Hightech-Forensik feiern. Ob diese Darstellung mit der Realität in US-Metropolen vereinbar ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. „Ich versuche immer so nah wie möglich an der Realität zu bleiben, aber oft können Sie das gar nicht, weil es einfach nur langweilig wäre“, erklärt Breinersdorfer.

Ein kurzer Moment Gänsehaut

Inspiration zu ihren Fällen liefert intensive Zeitungslektüre. Und wenn sie wissen möchte, wie etwa Menschen einer bestimmten Berufsgruppe ticken, trifft sie sich mit ihnen. Aktuell populäre True-Crime-Formate interessieren sie kaum, literarische und damit künstlerisch überformte Verarbeitungen echter Fälle wie in Theodor Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“, 2019 von Uli Edel nach Breinersdorfers Drehbuch adaptiert, dagegen sehr. Besonders wird die Geschichte um ein Ehepaar, dass aus persönlicher Not einen Mord begeht, durch die sozialkritischen Bezüge. „Die Realität schreibt die besten Geschichten“, sagt Léonie-Claire Breinersdorfer, und hält kurz inne. „Es gibt so schlimme Sachen in dieser Welt; von alleine würde ich da vielleicht gar nicht drauf kommen.“ Der Gedanke an all die Grausamkeiten, die die Nachrichten uns aktuell bescheren, drängt sich wie eine Miniaturkaltfront in die Wärme des Gesprächs. Ein kurzer Moment Gänsehaut.