Craft-Bier sieht hübsch aus – aber ist nicht ganz billig. Foto: David Sahay

So langsam kommt Stuttgart auf den Craft-Bier-Geschmack. Am Wochenende werden 5000 Besucher beim Craft-Beer-Festival erwartet. Aber die Spezialbiere haben in Stuttgart zwei mächtige Gegner.

Stuttgart - Dass es in Stuttgart ein Festival für Craft-Bier gibt, war ursprünglich bloß ein Scherz, der sich via Facbook verbreitete. Er habe in dem Onlinenetzwerk einfach mal behauptet, dass die Veranstaltung stattfinde, um zu schauen, wie viele Leute sich dafür interessieren, sagt Thorsten Schwämmle. Als binnen weniger Tage Hunderte die Hand hoben, beschloss der Bierfreund, sich nach einem Veranstaltungsort umzusehen.

Das war vor zwei Jahren. Wenige Tage vor dem dritten Festival im Wizemann am Wochenende – erwartet werden 5000 Besucher – sitzt Thorsten Schwämmle in seinem Lokal namens Kraftpaule und erzählt, was in den vergangenen Jahren passiert ist: Der in den USA angestoßene Trend zu handwerklich gebrautem Bier erreichte vor drei, vier Jahren auch Stuttgart. Schwämmle war daran maßgeblich beteiligt, neben dem Festival erdachte der 38-Jährige mit der Hipster-Haartracht das Kneipenkonzept Kraftpaule, das er an zwei Standorten umsetzte: im Stuttgarter Osten und in der Böblinger Altstadt.

Zuletzt tauchten jedoch dunkle Wolken über seiner schönen neuen Bierwelt auf. Schwämmle musste den Böblinger Kraftpaule nach nur neun Monaten wieder schließen, weil die Kreisstadt für diese Bier-Nische schlichtweg als zu klein herausgestellt hat. Und nun ist auch sein zweites Lokal in der Stuttgarter Nikolausstraße bedroht. Zum einen, weil ein Nachbar wegen des Besucherlärms geklagt hat. Zum anderen, weil die Stuttgarter offenbar auf die – vielerorts auf 0,4 Liter geschrumpfte – Halbe von Dinkelacker oder das Herren Pils von Stuttgarter Hofbräu konditioniert sind, anstatt mal doppelt gehopftes India Pale Ale aus einer Kleinstbrauerei zu probieren. War’s das also schon wieder mit Craft-Bier-Hype im Schwäbischen?

„Die großen lokalen Brauereien haben auf vielen Lokalen die Hand drauf“, sagt Thorsten Schwämmle. „Deshalb wird in Stuttgart fast überall dasselbe ausgeschenkt.“ Die örtlichen Quasi-Monopolisten tun außerdem ihr Möglichstes, um Konkurrenz draußen zu halten – auch wenn Schwämmle nur Erzeugnisse von Zwergenbrauereien anbietet, die wenig bis gar nichts mit dem Bier gemein haben, das bei Stuttgarter Hofbräu oder Dinkelacker-Schwaben Bräu produziert wird.

Einer von hundert Deutschen trinkt regelmäßig Craft-Bier

Schwämmle macht auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten für seine Kneipe in Stuttgart zurzeit wenig angenehme Erfahrungen. Wer ihm zuhört, könnte den Eindruck gewinnen, dass die großen Brauereien Angst um ihre Marktanteile haben. Müssten sie aber eigentlich nicht: Laut einer GfK-Befragung schenkt sich gerade mal einer von hundert Erwachsenen hierzulande mindestens einmal im Monat ein Craft-Bier ein. Andererseits: „Viele haben es schon einmal probiert und trinken eben im Sommer auch mal ein Pale Ale oder im Winter ein Dunkles“, sagt Thorsten Schwämmle. „Craft-Bier könnte sich im Markt etablieren.“

Noch dominieren neben den örtlichen Platzhirschen allerdings die auf Massengeschmack und maximalen Ausstoß getrimmten Fernsehbiere, der Kasten im Sonderangebot zu zehn Euro – da bleibt für Brauer und Händler kaum noch etwas übrig. Branchenvertreter werden daher nicht müde, die Spezialbiere als Rettung der Zunft anzupreisen. Sie sollen das Gegenteil von Massenware sein: besonders im Geschmack, mit hübschen Etiketten und nicht zuletzt hochpreisig und somit lukrativ für die Brauereien und Einzelhändler.

Im Kraftpaule gibt es vom Fass aktuell ein Irish Cream, ein Vertical Epic Ale Wit oder ein Mr. Blonde Gose. Wer am liebsten „einfach ein Bier“ bestellt, ist in Schwämmles Keipe schnell überfordert: Die Halbe Export für drei Euro fünfzig hat er jedenfalls nicht im Programm. Etwa das Gleiche kostet im Kraftpaule ein 0,3-Liter-Fläschchen Stone in the Crows IPA oder Hanscraft Black Nizza Imperial Stout. Zu teuer? Auf die Frage hat Schwämmle gewartet: „Wie soll in einem Kasten Fernsehbier für zehn Euro Qualität stecken?“ Craft-Bier, sagt er, sei etwas für genussfreudige Großstädter. In der konservativen Bierrepublik Deutschland, wo eher auf Volksfesten und in Eckkneipen getrunken wird als in schicken Bars, beträgt der Anteil der Kleinbrauereien am Bierausstoß seit Jahren knappe zwei Prozent.

Stuttgarts einzige Craft-Bier-Brauerei

Im Stuttgarter Heusteigviertel stehen die Zeichen immerhin auf Wachstum. Dort findet sich die Cast-Brauerei, die einzige Spezialbrauerei der Stadt. 500 Liter entstehen hier zurzeit pro Woche. Die Geschäftspartner Daniel Bleicher und Zachary Clemens sind ständig ausverkauft, weswegen sie mit ihrem Betrieb demnächst nach Feuerbach umziehen. Dort können sie viermal so viel brauen. Verglichen mit Dinkelacker ist der Ausstoß aber auch dann nicht der Rede wert: Stuttgarts größte Brauerei schafft in derselben Zeit anderthalb Millionen Liter. Dafür hat sie jedoch kein Imperial Stout oder Red Ale im Programm.

Noch findet man die Cast-Brauerei in einem leicht heruntergekommenen Hinterhof, der so gar nicht als Fotomotiv für die durchgestylte Craft-Bier-Welt taugt. An der Zufriedenheit des Braumeisters ändert das nichts. An diesem Tag braut Daniel Bleicher ein stark gehopftes Double India Pale Ale mit 8,5 Volumenprozent Alkohol ein. Der 38-Jährige hockt gegenüber des Braukessels am Stehtisch, vor sich ein selbst gebrautes Weißbier. „In der nächsten Stunde passiert erstmal nix“, sagt er. Ihm entfährt ein spontaner, fröhlicher Lacher. „Prost, wollt ihr auch eins?“

Amerikaner haben schlechtes Bier? Von wegen

Der Braumeister baute vor acht Jahren seine eigene Brauerei auf – im Wortsinn: Die Einrichtung hat er selbst zusammengezimmert, die Braukessel sind Second Hand. Anfangs versuchte er es einigermaßen erfolglos mit Weißbier. Wegen eines Freunds hatte er als Einziger im Großraum Stuttgart auch Pale Ale im Programm, eine amerikanische Biersorte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die in der Region stationierten US-Soldaten auf seine Brauerei stießen. Jetzt expandieren Bleicher und sein Geschäftspartner. „Bei unseren Brauereifesten hört man bis heute mehr Englisch als Deutsch“, sagt Bleicher, den der Kneipier Thorsten Schwämmle „den verrückten Professor der Brauereien“ nennt – man kennt sich in der überschaubaren Stuttgarter Craft-Bier-Szene.

Das Weißbier ist getrunken, im Kessel kocht mittlerweile die leicht süßlich schmeckende Würze. Jetzt kommt der Hopfen hinzu. Über die Dolde, die dem Bier das Aroma leiht, diskutieren Craft-Bier-Fans mit großer Leidenschaft. Deutscher Aromahopfen ist Daniel Bleicher zu teuer, in sein Double IPA kommen stattdessen zwei amerikanische Sorten sowie der neuseeländische Wai-ti. „Boah, der riecht krass!“, ruft der Braumeister, nachdem er seine Nase in die Alutüte mit dem in Pelletform gepressten Hopfen gesteckt hat. Ein Duft von Limette und Grünzeug erfüllt den Raum, als der Hopfen in dem kochenden Sud schwimmt.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Craft-Bier-Trend ausgerechnet aus Amerika kommt, wo, wie viele zu wissen glauben, das Bier wässrig ist und nach nichts schmeckt. Es ist vielmehr amerikanischen Brauern zu verdanken, dass urdeutsche Bierstile wie die salzige Gose oder Berliner Weiße hierzulande endlich wieder in trinkbarer Qualität verfügbar sind, gewissermaßen als Re-Import. Beim Craft-Bier-Festival am Wochenende wird man sie probieren können. 45 Brauereien sind zu Gast, darunter viele aus der Region, die Cast-Brauerei ist auch da. Mal was anderes als ein Export oder ein Pils? Einen Versuch ist es wert.