Die „Costa Concordia“ im September 2013 Foto:  

Zwei Jahre nach dem Schiffsunglück der „Costa Concordia“ ist das Wrack längst zum größten Touristenmagneten Giglios geworden

Giglio - „Das sieht doch toll aus! Fast wie ein gigantisches zeitgenössisches Kunstwerk!“. Lidia Cravelli ist Kunstlehrerin an einer Schule auf der kleinen toskanischen Insel Giglio. Mit ihrem Fahrrad kommt sie fast jeden Tag an jenem felsigen Küstenabschnitt von Giglio vorbei, wo das vor wenigen Monaten unter großer Anteilnahme der Weltpresse aus dem Meer gehobene Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ wieder aufrecht auf dem Wasser steht, gestützt von einer waghalsigen Konstruktion, einer ingenieurtechnischen Meisterleistung. „All das Technische interessiert mich nicht“, so Lidia, „sondern es ist diese Mischung aus sichtbarem Verfall des Riesenschiffes und der wilden Küstennatur die es umgibt, das ist sehr anregend!“.

Anregend ist das Schiff, das am 13. Januar 2012 bei einer Havarie an einer Seite 70 m lang von einem scharfen Felsen aufgerissen wurde, zur Seite absank und 32 Passagiere in den Tod riss, auch für viele andere Bewohner der Insel. „Klar, denn wenn das erst einmal weg ist, dann bleiben eine Menge Touristen aus“. Wer so spricht will nicht mit Namen genannt werden, „denn ich will ja nicht, dass man mir Zynismus vorwirft, aber dieses Schiff bringt uns doch einen Haufen Geld“.

Carlo, nennen wir ihn so, besitzt eine Pizzeria im Hafen von Giglio. Carlo erklärt, dass „ich ganz kräftig von dieser Havarie profitiert habe, nicht nur wegen der vielen Journalisten, die hier Wochen lang blieben und bei mir einkehrten“, sondern auch wegen der „vielen Katastrophentouristen, die auf unsere Insel kamen und kommen, um das Ding da zu sehen“.

„Das Ding“ ist auch zwei Jahre nach dem Drama immer noch ein Touristenmagnet. Nicht, dass Giglio Mangel an Touristen leiden würde. Die kleine Insel gehört zum toskanischen Archipel, gilt als Naturparadies und zieht zwischen Frühling und Sommer viele Besucher an. „Doch die übrige Zeit ist hier nicht viel los und mit dem Schiff ist das ganz anders!“.

Carlo der Pizzeriabesitzer ist gegen den anstehenden Abtransport des Meeresgiganten. „Wenn die ‚Concordia‘ hier auf den Felsen im Meer liegen geblieben wäre“, sagt er ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, „dann wäre das unsere Super-Attraktion geworden“. Aber die „Concordia“ bleibt nicht bei Giglio. Das größte jemals havarierte Kreuzfahrtschiff der Schiffereigeschichte, 290 Meter lang, fast 36 Meter breit, 70 Meter hoch und mit einer Wasserverdrängung von etwa 50 000 Tonnen, soll im März abgeschleppt werden. Ein Gigant, der am 13. Januar 2012 durch die Unachtsamkeit des Kapitäns, gegen den derzeit prozessiert wird, auf einige scharfkantige Felsen vor der Küste Giglios auflief und havarierte.

Mitte September wurde das Wrack von einem Unternehmenskonsortium innerhalb von nur 19 Stunden geborgen und ruht jetzt auf einer das Schiff umgebenden Plattform. Sie besteht aus 30 000 Tonnen Stahl. Das sind etwa zwei Drittel der Schiffsmasse. Der für den März geplante Abtransport der „Concordia“ stellt für die Ingenieure ein nie konkret versuchtes Unterfangen dar. Kommt während des Transports ein Sturm auf könnte die Concordia im schlimmsten Fall auseinanderbrechen und sinken.

Die Häfen von Genau und Palermo würde nur zu gern das Wrack aufnehmen und auseinandernehmen. Für den Juni ist die Zerlegung des Schiffes geplant. Eine teure und langwierige Arbeit, die in den wirtschaftlich seit Jahren benachteiligten Hafenstädten viele neue Arbeitsplätze schaffen würde. Doch weder Genua noch Palermo bieten die technischen Voraussetzung für die Zerlegung eines solchen Schiffsriesen. Ein möglicher Transport in einen nichtitalienischen Hafen ist deshalb nicht ausgeschlossen. Doch der Transport in einem fernen Hafen birgt zahlreiche Gefahren.

Wie es um das Innere der „Concordia“ bestellt ist weiß man nicht. Am 23. Januar werden zum ersten Mal Techniker an Bord gehen. Sie werden ein Bild der Verwüstung zu sehen bekommen, denn das lange Lagern im Salzwasser wird viele der Materialen der Innenräume zersetzt und beschädigt haben. Gehofft wird, dass man die zwei noch vermissten Opfer endlich finden wird. Eine gründliche Kontrolle der Innenbereiche der „Concordia“ wird wahrscheinlich auch Auskunft über die Transportfähigkeit des Schiffes geben.

„Und wenn es nicht mehr transportiert werden kann“, hofft Pizzeriabesitzer Carlo, „dann bleibt es doch am besten hier und wird zu unserer dauerhaften Top-Attraktion“. Auch Kunstlehrerin Lidia Cravelli hätte nicht viel dagegen einzuwenden. Natürlich, fügt sie hinzu, „dürfte das Wrack keine Umweltschäden anrichten“.