Damit Berenike König aus Stuttgart-Rohr wieder zur Schule gehen kann, reichen Hygienevorgaben wie Händewaschen nicht aus. Ihre Mutter Jana fordert weitere Maßnahmen – und mehr Sicherheit für Risikopatienten wie ihre Tochter.
Rohr - In den Schulen wurde in den vergangenen Tagen ausgemessen, wie viele Schüler in ein Klassenzimmer passen, um den vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten, Gänge wurden mit Klebeband als Einbahnstraße ausgewiesen, wenn der Korridor zu schmal ist. Denn damit die Schüler wieder in die Klassenzimmer zurückkehren können, müssen sie Abstandsregeln befolgen und Infektionsschutzstandards einhalten. Doch Jana König aus Stuttgart-Rohr reicht das nicht aus. Damit sie ihre Tochter unbesorgt in die Schule schicken kann, muss noch mehr geschehen, sagt sie.
Die zehnjährige Berenike König leidet an der unheilbaren Lungenkrankheit primäre ciliäre Dyskinesie, kurz PCD. Dabei ist die Bewegung der Flimmerhärchen gestört. Das hat zur Folge, dass der Schleim im Körper nicht richtig abtransportiert wird. Stattdessen bleibt er beispielsweise in der Lunge und bietet dort einen Nährboden für Keime. Jeder Infekt schädigt Berenikes Lunge. „Man will es nicht hoffen, aber es kann sein, dass man irgendwann auf der Transplantationsliste landet“, sagt Jana König.
Im schlimmsten Fall akutes Lungenversagen
Berenike gehört aufgrund ihrer Lungenerkrankung zur Risikogruppe: Ein schwerer Verlauf der Krankheit, ausgelöst durch das Coronavirus, ist wahrscheinlich. Denn Covid-19 kann zu Atemproblemen und zu Lungenentzündungen führen, im schlimmsten Fall sogar zu akutem Lungenversagen. Welches Risiko das Virus genau für Berenike birgt, sei derzeit noch ungewiss: „Lieber bin ich zu übervorsichtig, als dass sie dann auf der Intensivstation liegt und ich mir das nicht verzeihen kann“, sagt König.
Die Corona-Pandemie bedeutete bisher für alle Familienmitglieder: strenger Hausarrest, auch für die beiden Geschwister von Berenike. Seit Mitte Februar lebt die fünfköpfige Familie in Selbstisolation. Nun sollen aber alle Schüler schrittweise in die Klassenzimmer zurückkehren, nachdem die Abschlussjahrgänge seit vergangener Woche wieder die Schulbank drücken. Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, gelten strenge Hygienevorschriften und Abstandsregeln. Doch diese Maßnahmen reichen Jana König nicht aus: „Wir fanden es alarmierend, wie die Schulen mit der Öffnung umgehen: Wir haben herausgehört, dass nicht vorgesehen ist, dass Kinder im Schulhaus Masken tragen müssen.“
Das Risiko einer Ansteckung wäre zu hoch
Diese Annahme bestätigt ein Schreiben des Kultusministeriums. Darin steht, dass das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes für die Teilnahme am Unterricht nicht verpflichtend ist. „Für mich würde es bedeuten, dass ich zu Hause bleiben muss“, sagt Berenike. Denn dann sei das Risiko einer Ansteckung einfach zu hoch – trotz Abstand. „Das ist ja beim Anstehen in der Schulmensa nicht anders: Regeln werden erklärt, und trotzdem wird gedrängelt. Wenn der Wille da ist, kann man nicht garantieren, dass Regeln eingehalten werden“, sagt ihre Mutter.
Mund-Nase-Bedeckungen können Risikogruppen schützen und die Ausbreitungsgeschwindigkeit reduzieren, so das Robert Koch-Institut. Grund hierfür ist, dass Ansteckungen oft unbemerkt geschehen, wenn jemand keine Krankheitssymptome zeigt. Würde derjenige eine Maske tragen, wäre das Risiko für Berenike, sich anzustecken, geringer. „Meine Intention ist es nicht, einen Hochsicherheitstrakt zu gestalten“, sagt die Mutter Jana König. Sie plädiert auch nicht dafür, dass die Schüler während des gesamten Unterrichts Mund und Nase abdecken sollten – solange sie mit Abstand zueinander sitzen: „Aber warum soll man im Bus eine Maske tragen, sie danach absetzen und ohne Abstand ins Klassenzimmer laufen?“
Mal sollte sich um Risikogruppen mehr kümmern
Ohne eine solche Schutzmaßnahme wird Jana König demnach wohl entscheiden, dass ihre Tochter lieber weiterhin zu Hause bleibt – ebenso wie ihre beiden Geschwister. „Wir werden damit ausgeschlossen, obwohl man sich jetzt besonders um die Risikogruppen kümmern sollte“, sagt die Mutter. Während die anderen Schüler Aufgaben unter persönlicher Anleitung von Lehrern erledigen könnten, müssten sich ihre Kinder den Unterrichtsstoff selbst erarbeiten. Und nicht nur auf die schulischen Leistungen hätte das vermutlich Auswirkungen: „Ich fände es ziemlich traurig, weil ich weiß, dass alle meine Freunde am gleichen Ort sind und ich nicht“, sagt Berenike.
Jana König fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Sie appelliert auch an die Schulen: „Bezieht bitte Risikofamilien mehr ein und tretet in den Dialog mit ihnen.“ Und sie wünscht sich Solidarität vonseiten der anderen Eltern: dass sie beispielsweise zustimmen, dass ihre Kinder die Masken zumindest bis zum Klassenzimmer tragen. Berenike würde sich darüber freuen: „Ich könnte zur Schule gehen und eine Maske tragen, aber es hilft nur, wenn andere das auch tun.“