Tabea Muschal (l.) und Sylvie Jargstorff sehen im digitalen Unterricht nicht nur Nachteile. Sie plädieren dafür, die Möglichkeiten über die Krise hinaus zu nutzen. Foto: Breuer

Jugendliche aus Stuttgart-Vaihingen ziehen Bilanz, wie sich die erste Corona-Zeit auf Schüler ausgewirkt hat. Es wird klar: Sie hatten teils mit erheblichen Problemen zu tun.

Vaihingen - Ein Schüler sitzt vor seinem PC und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Auf dem Bildschirm wird die Meldung angezeigt, dass keine Internetverbindung besteht. Der Vaihinger Jugendrat hat Szenen wie diese mit der Kamera festgehalten. Mit einer Fotocollage wollen die Jugendlichen zeigen, was beim Homeschooling alles schiefläuft.

Als Mitte März die Schulen geschlossen wurden, um eine weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, mussten die Schüler den Unterrichtsstoff zu Hause erarbeiten. Der Jugendrat hat hierzu nun eine Aktion initiiert: „Es wird noch länger gehen, dass wir von zu Hause aus arbeiten müssen. Und die Digitalisierung ist insgesamt ein wichtiges Thema“, sagt Sylvie Jargstorff, stellvertretende Jugendrätin in Vaihingen. Sie besucht die neunte Klasse am Gymnasium.

Gerade jetzt, da der Unterricht sich vom Klassenzimmer in digitale Räume verlagert hat, zeigen sich Schwachstellen. So waren an Schulen teils noch keine einheitlichen digitalen Plattformen für Lerninhalte etabliert. Die Schüler bekamen deshalb ihre Aufgaben über verschiedene Kanäle, sie mussten die Abgaben auf unterschiedlichen Plattformen hochladen. „Man hat Angst gehabt, man übersieht etwas“, sagt Sylvie. Mit dieser Einschätzung ist sie nicht allein: Eine kürzlich veröffentliche Studie der Pädagogischen Hochschulen Ludwigsburg und Heidelberg bestätigt, dass es vielen Schülern so erging.

Manche Lehrer waren einfach nicht erreichbar

Ein weiteres Problem war die Kommunikation mit den Lehrern, sagen Sylvie und die stellvertretende Jugendrätin Tabea Muschal. Manche Lehrer seien einfach nicht zu erreichen gewesen. Anstatt dass Hausaufgaben besprochen wurden, bekamen die Schüler manchmal nur die Lösungen ausgehändigt. Und auch, dass man sich vieles mit dem Buch selbst erarbeiten müsse, bringe für manche Schwierigkeiten mit sich. „Bei mir war das kein Problem, weil ich mich bei Fragen an meine Familie wenden konnte. Die Möglichkeit hat aber nicht jeder“, sagt Tabea, die derzeit die zehnte Klasse besucht.

Das Homeschooling könnte also die soziale Schere weiter öffnen: Schüler aus sozial schwächeren Familien bekommen möglicherweise weniger Unterstützung. Und auch die technische Ausrüstung unterscheidet sich teils drastisch. „Die Voraussetzung für Homeschooling ist, dass jeder einen eigenen Laptop hat. Aber es gibt auch Familien, die müssen sich einen PC teilen. Da funktioniert es schlechter“, sagt Sylvie. Diese Punkte werden auch in der Studie der Pädagogischen Hochschulen angesprochen.

Die Schulen konnten nicht planen

Den Grund für die Probleme sieht Sylvie darin, dass die Schulen unzureichend auf die Situation vorbereitet waren: „Es kam plötzlich, die Vorlaufzeit zur Organisation war zu kurz. Deshalb konnten die Schulen nicht planen.“ Nach den Osterferien, die viele Schulen für die Organisation genutzt hätten, habe sich die Situation verbessert.

Tabea befand sich mitten in den Vorbereitungen für ihre Abschlussprüfungen an der Realschule, als die Schulen geschlossen wurden. Ihre Prüfungen wurden deshalb nach hinten verschoben: „Ich habe mich sogar ein bisschen gefreut. Wir hatten deutlich mehr Zeit für die Vorbereitung, und man konnte sich besser auf die Fächer konzentrieren, in denen man Prüfungen geschrieben hat.“

Dass sie zu Prüfungen antreten musste und ihre Abschlussnote sich nicht, wie von manchen gefordert, einzig aus ihren bisherigen Noten zusammengesetzt hat, sieht sie inzwischen sogar positiv: „Ich hätte sonst wahrscheinlich nicht so viel gelernt und brauche die Grundlagen auf dem Wirtschaftsgymnasium.“

Wer wieder reindurfte

Tabea darf inzwischen wieder an einzelnen Wochentagen für ein paar Stunden die Schulbank drücken. Am 4. Mai nahmen die Schulen eingeschränkt wieder den Betrieb auf. Schüler, die dieses Jahr ihre Abschlussprüfungen geschrieben haben oder denen die Prüfungen nächstes Jahr bevorstehen, durften wieder ins Schulgebäude. Nach und nach werden nun auch die anderen Schulklassen wieder vor Ort unterrichtet. Dabei gelten strenge Hygienemaßnahmen und Abstandsregelungen. Außerdem werden die Schüler in kleineren Gruppen unterrichtet. Der Unterricht soll laut Kultusministerium in einer Kombination von Präsenz- und Fernlernangeboten sichergestellt werden.

„Viele Lehrer haben sich das erste Mal mit digitalen Medien beschäftigt. Ich hoffe, dass die Lehrer das Wissen, das sie jetzt gewonnen haben, auch im Schulunterricht anwenden“, sagt Tabea. Denn mit ihrer Aktion wollen die Jugendräte das digitale Lernen nicht verteufeln, sondern die Möglichkeiten aufzeigen, die bisher nicht wahrgenommen werden: „Wir wollen mehr Leute auf die Probleme aufmerksam machen. Je mehr Leute es wissen, desto mehr Druck wirkt auf die Politiker.“