Das SWR-Vokalensemble und sein Chefdirigent Yuval Weinberg (vorne) Foto: obs/Klaus J. A. Mellenthin

Wegen einiger Corona-Fälle im Chor hat das Stuttgarter SWR-Vokalensemble seine Konzerte bis März abgesagt. Das ist kein Einzelfall. Unsere Kulturredakteurin Susanne Benda fragt: Riskieren Ensembles wegen rigider Vorgaben ihrer Träger eine weitere Erosion des Klassik-Publikums?

Stuttgart - Ende der vergangenen Woche hat das SWR-Vokalensemble seine Konzerte bis zum 13. März abgesagt, darunter auch seinen Auftritt im Abschlusskonzert des Stuttgarter Eclat-Festivals für zeitgenössische Musik an diesem Sonntag. Für die dort geplante Uraufführung zweier neuer, teils hoch komplexer Chorwerke von Valerio Sannicandro und Mia Schmidt hatten die Sänger seit Wochen geprobt. Der Südwestrundfunk (SWR) als Kooperationspartner des Festivals organisiert ein Ersatzprogramm. „Angesichts der Omikron-Welle und einiger Fälle im Ensemble ließ sich diese Entscheidung nicht vermeiden“, verkündet das Vokalensemble auf seiner Facebook-Seite. Auch dem SWR-Symphonieorchester könnte das passieren. Alle Musiker, die dort nicht in ein Instrument blasen, spielen jetzt mit FFP2-Masken. Und jedes Konzert steht momentan unter Vorbehalt. Es kann passieren, dass wenige Stunden vor der Veranstaltung eine Absage kommt.

Die würde dann nicht das Orchester, sondern die Taskforce des SWR verantworten. Derartige Entscheidergruppen gibt es bei vielen Institutionen. Besonders viel Macht haben sie bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Warum das so ist, liest man auf der Homepage vom Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks (BR), das ebenso wie das BR-Symphonieorchester und der Rundfunkchor des BR ebenfalls zurzeit (terminiert zunächst bis 16. Februar) pausiert. Es gehe, so der BR, darum, „die Gesundheit der Ensemblemitglieder zu schützen, genauso wie das technische Personal, das an Konzertproduktionen und Übertragungen beteiligt ist, aber auch für die aktuelle Berichterstattung des BR eine unerlässliche Rolle spielt.“ Fazit: „Es geht bei dieser Entscheidung vor allem darum, die Sendefähigkeit des BR zu gewährleisten.“

Die Coronapandemie hat die klassische Musik erodiert

Das ist ein starkes Argument, denn Rundfunkanstalten haben eine Informationspflicht. Und Vorsicht ist gut und wichtig. Aber hier ist sie mit Vorsicht zu genießen. Die Coronapandemie hat die klassische Musik erodiert – durch die Vorschrift reduzierter Zuschauerzahlen und durch Ängste des tendenziell älteren Publikums, das trotz 2G-Vorschriften und trotz zahlreicher Hygienemaßnahmen oft nur zögerlich in die Konzertsäle zurückkehrt. Eigentlich geht es jetzt darum, diesen Trend zu stoppen, womöglich gar umzukehren.

Dabei braucht es Augenmaß. Vorsicht und Mut, Schutz der Mitarbeiter und Kulturauftrag, Rückzug und Präsenz müssen klug ausbalanciert werden. Klangkörper sind nicht nur (teure) Anhängsel der Rundfunkanstalten, sondern deren Aushängeschilder. Und es geht – siehe Bayerischer Rundfunk – nicht nur um deren Sende-, sondern auch um ihre Kulturfähigkeit. Als die Pandemie begann, protestierten Orchester und Chöre gegen das von der Politik verordnete Schweigegebot. Heute bleiben sie auf Weisung ihrer Arbeitgeber stumm – und können nichts dagegen tun.