Der Gemeinderat als Rumpfparlament: Wegen des Infektionsschutzes saßen dem OB am Donnerstag nur 15 Stadträte gegenüber. Foto: Lichtgut/Leif-Hendrik Piechowski

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie gibt es in Stuttgart einen positiven Trend. Aber die Besorgnis bleibt groß. Die Stadtverwaltung und die Mediziner appellieren, sorgsam zu bleiben und Fehler zu vermeiden.

Stuttgart - In der Coronakrise gibt es im Stuttgarter Rathaus die Einschätzung, dass die Landeshauptstadt medizinisch noch gut aufgestellt ist und sie die Erkrankten angemessen versorgen kann – Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hat am Donnerstag aber auch eindringlich appelliert, die bisher erzielten lokalen Effekte bei der Entschärfung der Pandemie nicht aufs Spiel zu setzen durch einen unbedachten Wiedereinstieg in das normale Leben.

Natürlich sei die Betroffenheit beispielsweise der Wirtschaft in Deutschland durch die verfügten Einschränkungen sehr groß, sagte Kuhn. „Aber wenn der Exit falsch ist und zu viele Menschen wieder zusammenkommen, werden vielleicht viele bisherigen Ergebnisse hinfällig sein“, warnte er. Er äußerte sich bei einer Sitzung des Gemeinderats, der zum Zweck eines besseren Infektionsschutzes nur mit 15 statt mit normalerweise 60 Stadträten tagte. Beim Wunsch nach Lockerung handle es sich natürlich um echte Bedürfnisse der Wirtschaft und der Menschen, dagegen stehe aber die Notwendigkeit, die Bevölkerung zu schützen, sagte der OB.

Bisher 16 Todesfälle in Stuttgart mit Covid-19

Kuhn erteilte der Idee eine Absage, über 60-jährige Menschen sowie durch Krankheit vorbelastete Personen stärker zu isolieren, um die anderen schneller in den Alltag zurückkehren zu lassen. Er halte das für falsch und unrealistisch, denn bei Vorbelastungen rede man auch über Volkskrankheiten. In der Summe ginge es dann um mehr als 30 Millionen Menschen, die man in Deutschland isolieren müsste. Das wäre nicht nur inhuman. Wie sich zeige, sei das neuartige Sars-CoV-2 auch für viele junge Menschen „brandgefährlich“. Darum müsse man klug überlegen, was zu tun sei.

Der Stuttgarter Gesundheitsamtsleiter Stefan Ehehalt sagte zur Situation am Donnerstag, es gebe in Stuttgart mehr als 1000 bekannte Fälle von Covid-19-Erkrankungen durch das neuartige Virus. Mit großer Sorge beobachte man, dass in der Landeshauptstadt nicht nur Menschen hohen Alters und Angehörige von Risikogruppen gestorben seien – zumal bei den Männern, wo es 13 Tote gab. Hier reiche die Altersspanne von 42 bis zu 85 Jahren. Die drei gestorbenen Frauen waren älter. Die Zahl der Tage, in denen sich die bekannten Infektionen verdoppeln, sei zuletzt bei 15 gelegen, die sogenannte Reproduktionszahl bei 1,2. Sie bedeutet: Rechnerisch steckt ein Infizierter im Durchschnitt noch 1,2 andere Menschen an. Damit die Epidemie zurückgeht, muss diese Zahl kleiner als eins sein. Davon sei man noch deutlich entfernt, sagte Ehehalt. Bei der Verdoppelungszeit erkannte er einen „positiven Trend“.

Klinikum offenbar noch gut gerüstet – dennoch Besorgnis

Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand am Klinikum der Stadt, berichtete von der sorgenvollen Beobachtung, dass es auch bei vergleichsweise jungen Patienten zu massiver Schädigung der Lungen und Organausfall gekommen sei. Allein im Klinikum seien insgesamt acht Patienten gestorben. Im Moment würden von 50 Covid-19-Patienten zehn auf der Intensivstation behandelt, vier weitere erwarte man gerade. Die Zahl der Intensivbehandlungsbetten sei im Klinikum von 80 auf 165 aufgestockt worden, bald werde man weit darüber liegen. 70 Betten seien momentan belegt, 60 bisher nicht mit Covid-19-Patienten. Man sei immer noch gut aufgestellt, auch die notwendigen Schutzmasken seien etwa für fünf Monate vorrätig. Trotzdem signalisierte Jürgensen, der im ständigen Austausch mit dem Gesundheitsamt und den anderen Stuttgarter Kliniken steht, ein großes Interesse daran, dass strenge Maßnahmen gegen die Pandemie aufrecht erhalten werden.

Das Diakonie-Klinikum meldete am Donnerstag, es gebe dort sechs Covid-Patienten auf Normalstation, drei Covid-Patienten auf der Intensivstation. Davon werde ein Patient beatmet.

Die Stadtverwaltung will weiter dafür sorgen, dass die Stuttgarter zum Zweck des Infektionsschutzes Distanz halten. Der OB sowie der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) haben jetzt veranlasst, dass die Hofener Straße am Neckar in der Osterzeit für Autos gesperrt ist und nicht erst wie üblich an Sonn- und Feiertagen ab Mai. Damit will man Vorsorge treffen, dass sich Fußgänger auf dem Gehweg und Radfahrer auf der Straße nicht zu nahe kommen – was im Gemeinderat nicht ohne kritische Nachfragen blieb. Am unweit von der Hofener Straße gelegenen Max-Eyth-See solle es aber ebenso wie an den Bärenseen im Stuttgarter Westen keine Sperrzonen für Ausflügler geben, erklärte die Verwaltung. Ausschlaggebend war die Beobachtung der Polizei, wonach es bisher an Wochenenden mit schönem Wetter dort auch nicht überfüllt gewesen sei. Die Polizei hat aber angekündigt, dass sie die Einhaltung der Distanzregelung und Versammlungsverbote für Gruppen genau kontrollieren will.