Manche hartgesottenen Kneipengänger lassen sich ihr Wohnzimmer auch in Corona-Zeiten nicht nehmen – laut Polizei eine große Dummheit. (Symbolbild) Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Klopfzeichen, Hintereingänge, Telefonnummern, die in Whatsapp-Gruppen kursieren – wie manche Bars und Kneipen in Stuttgart und Region die Schließungsverordnung wegen des Coronavirus umgehen, erinnert ein wenig an die Prohibition. Die Polizei ist ahnungslos.

Stuttgart - Soll er, oder soll er nicht? Ottokar Müller steht an der Hintertür eines Hauses irgendwo in der Region Stuttgart, das eine Kneipe beherbergt. „Klopf, Klopf!“ Ein Schlüssel dreht sich im Schloss, der Wirt winkt rein, Ottokar Müller, der in Wahrheit anders heißt, tritt ein. Es geht ein paar Schritte durch den Flur und schließlich in die Kneipe selbst. Es sind nicht viele Gäste, die am Tresen sitzen und trinken, das Licht ist gedimmt, die Rollläden unten, Musik läuft auch keine.

Willkommen in der Corona-Prohibition – mit dem Unterschied, dass es wahrscheinlich weitaus fahrlässiger ist, das Virus herauszufordern als gegen ein Alkoholverbot, wie es in den Vereinigten Staaten der 20er und frühen 30er Jahre galt, zu rebellieren.

Im Grundsatz ist das auch Ottokar Müller klar. „Eigentlich ist es falsch, noch wegzugehen“, sagt der Mann um die Fünfzig, der seinen Kneipenbesuch wie oben beschrieben schildert. Er achte auch darauf, Abstand zu den anderen Gästen zu halten und sein Bier aus der Flasche zu trinken, wie es vor dem Shutdown des öffentlichen Lebens von den Behörden empfohlen worden war.

Nummern gehen in Whatsapp-Gruppen rum

Seine Stammkneipe ist nicht die einzige, die das Ausschankverbot ignoriert, gerade unter Gastronomen ist es kein Geheimnis, dass mancherorts noch offen ist. Doch wie kommt man eigentlich rein in diese zweifelhaften Kreise? Müller erfuhr vom Klopfzeichen am Hintereingang direkt am Tresen. In einem anderen Laden in einem Stuttgarter Innenstadtbezirk, der für seine lebendige Kneipenlandschaft bekannt ist, funktioniert es anders. Hier muss man anrufen, um Einlass gewährt zu kriegen. Die Nummer des Wirts schickt sich die dortige Kneipenszene in Whatsapp-Gruppen zu.

Und wieder woanders verhält es sich so, dass Wirte ihre Stammkundschaft in Privaträumen treffen. Einer empfängt beispielsweise in einem Keller, der auch mit einer Bar ausgestattet ist, heißt es. Bereichern will er sich dem Vernehmen nach damit nicht. Es gehe um die Sozialkontakte, die durch die Schließung der Kneipengastronomie wegfallen würden und für viele alleine lebende Kneipengänger darum umso wichtiger seien, sagt eine Besucherin, die im Viertel wohnt.

Für manchen hartgesottenen Kneipenbesucher ist es gefühlt so, als würde man ihm das Wohnzimmer wegnehmen, wenn man der Stammkneipe den Riegel vorschiebt, sagt ein Urgestein einer örtlichen Kneipenszene. Wie Speakeasy-Bars romantisieren muss man die halbgeheimen Treffs wohl nicht. Auch der Wirt von Ottokar Müllers Stammkneipe, der anonym bleiben will, verdiene sich kaum eine goldene Nase: „Es sind wenn dann ja nur ein paar Leute da, es geht darum, sich zu sehen.“ Dass er jetzt fast keine Einnahmen mehr hat, mache ihm trotzdem schwer zu schaffen.

Alternativ Dosenbier vorm Supermarkt

Über das Ausmaß des illegalen Kneipenbetriebs in Stuttgart lässt sich kaum eine Aussage treffen. Im Stadtbezirk Untertürkheim, wo sich Eckkneipe an Eckkneipe reiht, berichtet ein leidenschaftlicher Kneipengänger, der von illegalem Kneipenbetrieb wissen müsste, dass dort nichts mehr offen hat: „Man trifft sich am Supermarkt, sitzt draußen und trinkt Dosenbier.“

An der Polizei geht das Treiben in manchen Kneipen ziemlich vorbei. „Wir haben keine Erkenntnisse über diese Szenen“, sagt Jens Lauer, ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart, wenngleich ihm die Existenz solcher Trink-Treffs in anderen Städten bekannt sei. Auch wenn sich Personen, die Kneipen während der Corona-Krise aufsuchten, anders als die Wirte zwar nicht strafbar machten, rät Lauer ihnen von solchen Besuchen entschieden ab: „Man sollte größere Menschenansammlungen prinzipiell meiden, das gilt auch für Kneipen.“

Leserfragen im Video beantwortet:

Auch die Stadtverwaltung hat die neue Szene, die sich allen Appellen widersetzt, noch nicht wirklich auf dem Schirm. „Uns liegen keine Erkenntnisse zu Hinterhofkneipen vor“, sagt Martin Thronberens, ein Sprecher der Stadt Stuttgart. Auch er sagt: „Die Bürgerinnen und Bürger sollten Ansteckungsrisiken unbedingt vermeiden und ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren.“ Bei den als privat deklarierten Kellerveranstaltungen gebe es ohnehin keine Handhabe. „Bisher gibt es noch keine rechtliche Grundlage, um eine private Feier in den eigenen vier Wänden zu verbieten“, sagt Thronberens.

Auch am Marienplatz Probleme

Kneipen sind aber nicht die einzigen Orte, an denen es zu vermeidbaren sozialen Kontakten kommt. Die Polizei löste am Mittwoch sogenannte Corona-Partys in Freiburg auf, zu denen sich Jugendliche im bis zu dreistelligen Bereich an Grillplätzen und anderen öffentlichen Orten getroffen haben sollen. Auch der beliebte Stuttgarter Marienplatz war in den vergangenen Tagen belebter als geboten. Auch hier suchte die Polizei das Gespräch mit den Flaneuren, um größere Menschenansammlungen zu verhindern.

Ob der Trend zu immer mehr illegalen Trinkgelagen in der Kneipe geht, ist unklar. Bei einem der verantwortlichen Wirte stand jüngst die Polizei auf der Matte und entdeckte die Gäste durch den Rollladenschlitz. Er will den illegalen Betrieb jetzt stark herunterfahren oder ganz bleiben lassen. Vielleicht ist es besser, wenn Ottokar Müller und Konsorten trotz Lagerkoller gar nicht erst in Versuchung kommen.