Vieles deutet darauf hin, dass bald in ganz Deutschland nur noch in Ausnahmefällen die Wohnung verlassen werden darf. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Fast 30 000 Neuinfektionen, fast 600 Tote pro Tag - die Corona-Zahlen schnellen unkontrolliert nach oben. Immer mehr Bundesländer reagieren mit schärferen Maßnahmen. Ein bundesweiter Lockdown rückt näher.

Berlin - Angesichts der hohen Infektionszahlen und vielen Todesfälle drängen Bund und Länder auf Entscheidungen: Voraussichtlich noch am Wochenende wollen sie über eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen beraten, die zumindest zum Teil noch vor Weihnachten Inkrafttreten könnten. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) forderte am Freitag einen „schnellstmöglichen Lockdown in ganz Deutschland“. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte in einem Videogespräch mit Bürgern am Freitag: „Die Lage ist bitterernst.“ Es sei offenkundig, dass die Anstrengungen deutlich verstärkt werden müssten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte einen sofortigen Lockdown.

Einzelhandel soll schließen

Laschet plädierte für eine „Vor-Quarantäne“ schon vor Weihnachten und dafür, die beschlossenen Lockerungen über die Feiertage zurückzunehmen. Auch an Weihnachten und an Silvester dürften sich dann maximal fünf Personen aus zwei Haushalten treffen. Auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte, es könne weitere Einschränkungen geben bei der Zahl der Personen, die sich an Weihnachten treffen dürfen.

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Laschet zufolge sollen zudem Geschäfte außer denen für den täglichen Bedarf bis zum 10. Januar schließen. Einzelne Länder oder Landkreise haben angesichts wieder stärker steigender Infektionszahlen in den vergangenen Tagen bereits weitere Einschränkungen beschlossen, darunter in Sachsen die Schließung von Geschäften schon vor Weihnachten. Am Freitag erließ auch Baden-Württemberg neue Verschärfungen, die ab Samstag gelten, darunter nächtliche Ausgangsbeschränkungen von 20 bis 5 Uhr.

Noch keine Lösung für Gottesdienste

Laschet betonte, es müsse einen Konsens aller Länder und keinen Flickenteppich geben. Der Ministerpräsident sprach sich dafür aus, dass Bund und Länder schon am Samstag beraten. Es zeichnet sich aber eher der Sonntag für die Beratungen ab. Den Termin nannte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die Bundesregierung bestätigte einen Termin für ein Bund-Länder-Treffen am Wochenende zunächst nicht.

Was diese vorgeschlagenen Maßnahmen für die Gottesdienste an Weihnachten heißen, solle noch mit den Religionsgemeinschaften besprochen werden, sagte Laschet. Er habe aufseiten der Kirchen ein hohes Verantwortungsbewusstsein festgestellt. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies in Berlin auf die Äußerungen des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der sich offen für strengere Kontaktregeln über Weihnachten äußerte. Neue Gespräche über mögliche Einschränkungen für Gottesdienste sind laut Ministeriumssprecher auf Bundesebene indes nicht geplant.

Seehofer: „Lockdown ist die einzige Chance“

Bundesinnenminister Seehofer, der sich seit Mittwoch wegen Kontakts zu einer Corona-Infizierten selbst in Isolation befindet, sagte dem „Spiegel“: „Die einzige Chance, wieder Herr der Lage zu werden, ist ein Lockdown, der aber sofort erfolgen muss.“ Das Robert Koch-Institut hatte am Freitagmorgen fast 30.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden und damit einen Höchstwert vermeldet. Auch die Zahl der Toten innerhalb eines Tages stieg auf einen neuen Höchstwert von 598.

Jeder weitere Tag ohne durchgreifende und nachhaltige Lockdown-Maßnahmen koste Menschenleben, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Uwe Janssens. Auch die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Martina Fietz, mahnte: „Die freien Intensivkapazitäten sinken täglich.“

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Am Dienstag hatte die Wissenschaftsakademie Leopoldina in einer Stellungnahme einen „harten Lockdown“ gefordert, um die Zahl der Neuinfektionen zu verringern. Zu ihren Forderungen gehört eine Aufhebung der Schulpflicht ab Montag kommender Woche. Die Kultusminister zeigten sich am Freitag offen für Schulschließungen. Die Dynamik der Coronavirus-Pandemie mache „weitere Einschränkungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen“ nötig, erklärte die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Stefanie Hubig (SPD). Sie sprach sich aber gegen die Verlängerung von Ferien, sondern stattdessen für einen Wechsel zum Fernunterricht nach den Ferien aus.