Susanne Eisenmann (CDU) will Kitas und Grundschulen auf jeden Fall schon ab dem 11. Januar wieder öffnen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Manche Kinder chillen den ganzen Tag, tauchen in virtuelle Welten ab oder sehen fern: Schule scheint im Lockdown oft weit weg. Wenn der Unterricht wieder startet, kostet das viele Schüler Überwindung. Schulpsychologen sehen gar einen Trend zur Verweigerung.

Gerlingen - Wenige Tage vor den Weichenstellungen für den Schulbetrieb nach dem Lockdown dringen Psychologen mit Blick auf die wachsende Zahl von „Schulverweigerern“ auf eine rasche Öffnung der Bildungseinrichtungen. „Wir haben schon nach dem ersten Shutdown eine dramatische Zunahme der Fälle von Schulverweigerung bemerkt“, sagte die Vorsitzende des Verbandes der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen Baden-Württemberg (LSBW), Nina Großmann. Schüler aller Altersgruppen gewöhnten sich während der Pandemie zu Hause an das Nichtstun, vernachlässigten ihre Aufgaben und fühlten sich bei der Rückkehr auf die Schulbank überfordert. Auch während des Lockdowns stünden die Telefone der Beratungsstellen nicht still, sagte Großmann der Deutschen Presse-Agentur.

Großmann befürwortet den Plan

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs beraten am kommenden Dienstag über das weitere Vorgehen in der Pandemie nach dem zunächst bis 10. Januar befristeten Shutdown. Einen Tag vor dem Gespräch wollen sich die Kultusminister der Bundesländer in der Schulfrage abstimmen.

Baden-Württembergs Ressortchefin Susanne Eisenmann (CDU) will Kitas und Grundschulen auf jeden Fall schon ab dem 11. Januar wieder öffnen und hat sich für diesen Vorstoß massive Kritik aus Infektionsschutzgründen eingehandelt. Großmann hingegen befürwortet den Plan. Gerade bei Grundschülern seien deutliche Leistungsdefizite und Wissenslücken zu beobachten.

Ein Viertel der Fälle in den 28 Beratungsstellen im Land sei derzeit auf das Phänomen der Schulverweigerung zurückzuführen, erläuterte die Diplom-Psychologin aus Gerlingen bei Stuttgart. Vor der Corona-Krise lag dieser Anteil bei etwa fünf Prozent. „Den Kurs von Ministerin Eisenmann, die Schüler schnell wieder an die Schulen zu holen, finde ich absolut richtig und mutig.“

Spitzengespräch am kommenden Dienstag

Ein Sprecher Eisenmanns sagte: „Wir sehen uns durch die Aussagen des Verbands bestätigt.“ Die Einschätzung der Schulpsychologen decke sich mit der Sicht von Kinderärzten und Kinderpsychologen, dass junge Menschen die durch den Schulbesuch vorgegebene Struktur und Stabilität sowie den sozialen Kontakt zu Gleichaltrigen und ihren Lehrkräften dringend benötigten. „Gerade kleinere Kinder aus nicht so stabilen sozialen Verhältnissen dürfen wir in diesen schwierigen Zeiten nicht aus dem Blick verlieren“, betonte der Sprecher. Dieser Aspekt müsse bei dem Spitzengespräch am kommenden Dienstag eine wichtige Rolle spielen.

Zudem seien Schulen auch keine Infektionstreiber. Stand 14. Dezember seien 7 von rund 4500 Schulen coronabedingt komplett geschlossen und 813 von ungefähr 67 500 Klassen vorübergehend in Quarantäne gewesen.

Verbandschefin Großmann sagte, die Probleme der Kinder und Jugendlichen - zu zwei Dritteln männlichen Geschlechts - äußerten sich auch körperlich mit Bauch- und Kopfschmerzen sowie Erbrechen. In einem Fall hätten massive Versagensängste eines Mittelstufenschülers zum Suizid geführt. Die Hauptmotivation der Schüler zum Lernen seien die sozialen Beziehungen - sei es zu den Mitschülern, sei es zum Lehrer.

Landesweit nur rund 160 Stellen besetzt

„Das ureigene Interesse an den Inhalten steht nicht im Vordergrund“, betonte Großmann, die eine Beratungsstelle in Ludwigsburg leitet. Angesichts von Wartezeiten bei den Beratungsstellen von zwei bis drei Wochen halten sich die Schulpsychologen Extra-Termine für Schulverweigerer frei. Großmann: „Da kommt es auf jeden Tag an.“

Der Verband mit seinen 200 Mitgliedern fordert Entlastung von Verwaltungsaufgaben wie Telefonate annehmen, Termine vergeben, Akten führen und Statistiken anlegen. Auf die 28 Beratungseinheiten entfielen 18 ganze oder Teilzeit-Verwaltungsstellen. „Wir wollen und müssen uns auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren“, betonte Großmann. Deshalb müsse die Anzahl der Verwaltungsstellen mindestens verdoppelt werden.

Von den landesweit 200 Stellen für Schulpsychologie seien nur rund 160 besetzt. Dabei fehle es nicht an geeigneten Kräften auf dem Arbeitsmarkt. „Vielmehr kommt das für die Ausschreibung von Stellen zuständige Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung wegen Personalengpässen auf der Führungsebene damit nicht nach.“

Die Schulpsychologen beraten nicht nur Eltern und Schüler, sondern auch Lehrer. „Es kommen mehr Lehrkräfte, die sich wegen der Corona-Situation mit den neuen Unterrichtsformen und dem Wechsel von Präsenz und Fernunterricht überfordert fühlen“, sagte Großmann. „Das geht bis hin zum Burnout.“