Wenn es die Krankenhaus-Kapazitäten zulassen, könnten die Maßnahmen gegen Ende Februar weiter gelockert werden (Symbolbild) Foto: dpa/Robert Michael

Über Exit-Strategien will Kretschmann bis Ostern noch nicht reden. Doch im Hintergrund laufen die Vorbereitungen für eine Wende in der Corona-Politik.

Stuttgart - Das Land Baden-Württemberg arbeitet nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur an einem Lockerungsplan für die Zeit nach dem Höhepunkt der Omikron-Welle - dieser soll Mitte Februar erreicht sein. Es soll am 18. Februar eine Anhörung des Sozialministeriums mit Klinik-Vertretern und Wissenschaftlern geben, erfuhr die dpa aus Regierungskreisen in Stuttgart. Bei dem Treffen kurz nach der Ministerpräsidentenkonferenz soll vor allem geklärt werden, ob es auf den Normalstationen der Krankenhäuser im Südwesten noch genügend Betten gibt, um im Zweifel weitere Covid-19-Patienten aufnehmen zu können.

Wenn die Kapazitäten ausreichen oder ausgeweitet werden können, wovon man ausgehe, sollen die Maßnahmen gegen Ende Februar weiter gelockert werden, hieß es. Dann soll das bestehende Stufensystem verstärkt an die Omikron-Virusvariante angepasst werden. Dem Vernehmen nach erhärtet sich auch hier immer mehr der Eindruck, dass Omikron zwar ansteckender ist als Delta, aber deutlich weniger Menschen schwer erkranken und auf die Intensivstation müssen. Dafür steigt die Zahl der Covid-Patienten, die auf der Normalstation liegen.

Kretschmann, Lockerungen und die „Liturgie in der Politik“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellte am Wochenende klar, dass das Land weiter öffne, wenn Kliniken und Hausärzte die Zahl der Covid-19-Patienten gut bewältigen können. „Lockerungen werden selbstverständlich kommen und ich werde auch selber welche machen, wenn die Infektionslage das zulässt - genauer gesagt, wenn die Belastung des Gesundheitswesens das zulässt“, sagte der Grüne im Deutschlandfunk. Noch am Dienstag hatte er sich skeptischer gezeigt.

Der Grünen-Politiker zeigte Verständnis dafür, dass die Menschen nach zwei Jahren in der Pandemie über eine „Exit-Strategie“ diskutieren wollten, also über ein Ende der Gegenmaßnahmen. Doch er als Regierungschef wolle eine solche Debatte nicht vom Zaun brechen. Wenn er das tue, „dann kommt der Exit“. Das zeige seine Erfahrung. „Das ist die Liturgie in der Politik.“ Für die Zeit nach Ostern, also Mitte April, könne man darüber reden, denn dann seien Schulferien. „Dann steht das vielleicht an.“

Zwei Möglichkeiten der Anpassung

Bei der Anpassung des Stufensystems kommen demnach zwei Möglichkeiten infrage: Entweder die Regierung setzt die Grenzwerte für die vier Stufen deutlich nach oben, sodass es weniger Einschränkungen des täglichen Lebens gibt. Oder aber die Maßnahmen innerhalb der Stufen werden abgeschwächt. Zurzeit gilt im Südwesten die Alarmstufe I, weil der Grenzwert bei der Hospitalisierung von 3,0 deutlich überschritten ist. Für die Alarmstufe II gibt es deutlich höhere Hürden: Hier muss die Hospitalisierungsinzidenz über 6,0 liegen - was sie derzeit schon tut - und die Zahl der mit Covid-Patienten belegten Intensivbetten über 450 liegen. Doch das ist bislang nicht in Sicht.

Um die Krankenhäuser weiter zu entlasten, sollen auch die Hausärzte und Internisten noch stärker in die Behandlung von Covid-Patienten eingebunden werden als sie das sowieso schon sind. In Absprache mit dem Sozialministerium verschickte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg am Donnerstag eine Orientierungshilfe zu Diagnostik und Therapie von Covid-Patientiennen und Patienten. Hier wird auch ein Überblick über die Medikamente gegeben, die bei einer Infektion eingesetzt werden können. Hintergrund ist, dass noch mehr Menschen, die mittelschwere Symptome haben, ambulant behandelt werden sollen.

Erste weitere Lockerungen im Kabinett

Schon an diesem Dienstag will das Landeskabinett weitere Lockerungen vornehmen. So soll der Verzicht auf die Luca-App in der neuen Verordnung verankert werden. Das heißt: Wer ins Restaurant oder Café geht, soll keine Kontaktdaten mehr hinterlegen müssen. Darüber hinaus sollen offiziell wieder mehr Zuschauer bei Großveranstaltungen erlaubt werden. Die Anpassung sieht vor, dass im Freien unter Berücksichtigung der 2G-plus-Regel bis zu 10 000 Zuschauer bei einer Auslastung von maximal 50 Prozent zugelassen sind.

Der Regierungschef kritisierte das Agieren von Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Corona-Politik. „In einer Krise ist die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs einfach gefragt“, sagte Kretschmann im Deutschlandfunk. Wenn die Koalitionspartner dem nicht relativ frei folgen, sei das ein Problem. Vor allem die FDP im Bund dringt auf rasche Öffnungsschritte und Teile der Liberalen sind gegen eine allgemeine Impfpflicht. Kretschmann fürchtet, dass die Impfpflicht im Bundestag zerredet wird.

FDP sieht Schlingerkurs bei Kretschmann

FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke konterte: „Wer in den letzten Wochen derart widersprüchlich agiert hat und sich so oft korrigieren musste wie Winfried Kretschmann, der sollte mit seiner Kritik an anderen zurückhaltend sein.“ Als Beispiele nannte er kurzfristig geänderte 2G-Plus-Regeln in der Gastronomie, den von der Regierung verlorenen Gerichtsprozess um den sogenannten Stufenplan, an den Kretschmann sich nicht gehalten habe, und die Debatte um Lockerungen bis Ostern. Da Kretschmann gern die Bibel zitiere, kenne er auch das Bild von jenem, der den Splitter im Auge des Nächsten beklagt, aber den Balken im eigenen Auge übersieht. „Bei Corona findet sich in Kretschmanns Auge ein ganzer Regenwald.“