Die Bürgerbeteiligung zur Kulturmeile im Jahr Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wegen der Corona-Schutzmaßnahmen finden derzeit keine Bürgerbeteiligungen statt. Sie sind üblicherweise elementarer Bestandteil städtischer Großprojekte. So manches Vorhaben gerät durch die Zwangspause ins Stocken.

Stuttgart - Wie hätten Sie’s denn gern? Wenn sich die Stadtplaner ans Werk machen, ziehen sie regelmäßig auch die Bürger zurate und fragen nach deren Wünschen und Meinungen. Das schafft Akzeptanz und führt im Idealfall zu besseren Ergebnissen. Etwa 150 Teilnehmer fanden sich beispielsweise im Stuttgarter Rathaus ein, um über das Vorhaben „Neuer Stadtraum B14“ zu diskutieren und ihre Vorschläge einzubringen. Das war im Sommer 2018. Lange vor Corona. In diesem Jahr sollten Bürgerbeteiligungen unter anderem zur Umgestaltung des Grazer Platzes in Feuerbach, zur Neuordnung des Walz-Areals in Weilimdorf und zum innerstädtischen Großprojekt „Lebenswerte Stadt für alle“ stattfinden. Alle abgesagt, bis auf Weiteres.

Kritische Bürger machen und helfen mit

Sehr zum Bedauern von Stephan Oehler, dem stellvertretenden Leiter des Amtes für Stadtplanung und Wohnen: „Wir wollten im Rathaus erst einen Informations- und Ausspracheabend mit 30 bis 40 Vertretern von Interessengruppen und Vereinen veranstalten und im Juni dann die Bürger einladen, um mit ihnen über die Konzeption zum Projekt Lebenswerte Innenstadt zu diskutieren“, sagt er. Die Hygienevorschriften und Abstandsregelungen durchkreuzten dieses sowie die beiden anderen Vorhaben. „Dadurch fehlen uns für Feuerbach, Weilimdorf und andere Projekte maßgebliche Impulse aus der Öffentlichkeit, und unsere Arbeitsprozesse geraten ins Stocken.“ Zwar könne man die Planungen bis zu einem gewissen Punkt auch ohne Beteiligung weiterführen, sie müssten am Ende jedoch „flankiert werden durch Anregungen und Kritik aus der Bürgerschaft“. Die Diskussion im Plenum oder in Kleingruppen könne mitunter für alle Teilnehmer Erhellendes zum Projekt beitragen. Etwa für den Anwohner, der sich vielleicht noch keine Meinung gebildet hatte, was seinen Nachbarn stört, oder welche gesetzlichen Rahmenbedingungen bei einem Projekt gelten, ebenso wie für den Fachmann, dem die eine oder andere Facette eines Sachverhaltes vielleicht nicht so recht bewusst war. Denn auch in den Amtsstuben kann es mitunter zu Fehleinschätzungen kommen. Oehler: „Es wäre überheblich zu sagen, wir Planer beachten von vornherein immer alle Aspekte eines Vorhabens.“

Ein Bauvorhaben am Telefon erklären?

Oehler schätzt an den Beteiligungsverfahren den direkten, offenen Austausch, die Möglichkeit zur Information, den kreativen Prozess und sogar auch die Emotionalität. „Das lässt sich nicht durch eine Telefon- oder Videokonferenz mit ihren strengen Formalien ersetzen – und: erklären Sie mal einem Laien ein komplexes Bauvorhaben am Telefon, das ist so gut wie nicht lösbar. Aber mit einem Modell auf einem Tisch sieht das schon anders aus.“ Überdies hätten die Informations- und Ausspracheabende noch einen anderen Vorteil: Sie sind analog und damit „barrierefrei“. „Jeder der möchte, kann daran teilnehmen. Er braucht kein Handy, keinen Computer und kein Internet.“

Generell wird zwischen formellen und informellen Bürgerbeteiligungen unterschieden. Die einen sind rechtlich zwingend in einem Planungsverfahren, etwa bei Bebauungsplänen. Die anderen werden freiwillig gemacht, etwa wenn viele Menschen von einem Projekt betroffen sind. Außerdem können Informations- und Ausspracheabende von den Bezirksbeiräten beschlossen werden. „Für uns Planer besteht dabei die Herausforderung, den richtigen Zeitpunkt für die Veranstaltung zu finden.“ Die Pläne müssten zum einen konkret genug sein, um den Bürgern eine Grundlage für die Diskussion zu liefern. Sie dürften aber zum anderen auch nicht in Stein gemeißelt sein. „Die Planung muss zum Zeitpunkt der Beteiligung noch veränderbar sein“, sagt Oehler.

„Wir sind in Wartestellung“

Wann die abgesagten Bürgerbeteiligungen nachgeholt und weitere durchgeführt werden, kann auch Stephan Oehler zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersagen: „Wir sind in Wartestellung und hoffen auf Lockerungen in Sachen Corona-Virus. Vielleicht verfolgen wir auch einen Ansatz, ähnlich wie beim Gemeinderat und machen Veranstaltungen im großen Saal; mit Mundschutz und Abstandsregeln.“ Im Zweifel, wenn es viele Interessenten gebe, müssten eben mehrere Veranstaltungen nacheinander angeboten werden, meint Oehler.

In jedem Fall steht für den Amtsvize fest: „Die Stadt macht zu jedem größeren Planungsprojekt eine Bürgerbeteiligung. Es wäre indiskutabel, künftig darauf zu verzichten.“