Statt in der Werkstatt erledigen die Mitarbeiter die Arbeit teilweise in den Wohngruppen oder zu Hause. Foto: Archiv Eileen Breuer

Das Coronavirus bereitet den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen nicht nur finanzielle Sorgen. Weil die Mitarbeiter mit Handicap zu Hause bleiben müssen, bricht für sie etwas sehr Wichtiges weg.

Vaihingen/Bonlanden - Normalerweise verpacken Mitarbeiter Seifenstücke in den Karl-Schubert-Werkstätten in Bonlanden. Nun werden ihnen Seife, Tütchen und Schleife in die Wohngemeinschaften und nach Hause geliefert. Für sie ist derzeit Heimarbeit angesagt. Eine Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg besagt, dass Menschen mit Behinderung in den Werkstätten, in denen sie normalerweise arbeiten, derzeit weder beschäftigt noch betreut werden dürfen. Ausschließlich eine Notbetreuung werde dort sichergestellt. Grund für die Verordnung ist die Ausbreitung des Coronavirus.

Noch vor Inkrafttreten der Verordnung schloss die Karl-Schubert-Gemeinschaft ihre Werkstätten. Ein großer Teil der dort beschäftigten behinderten Menschen leidet an Vorerkrankungen, sie gehören damit zur Risikogruppe. „Dadurch ist hier besondere Vorsicht geboten“, sagt Tobias Braun, Geschäftsführer der Karl-Schubert-Gemeinschaft. Außerdem sei es nur schwer möglich, Hygienemaßnahmen umzusetzen: „Manch einer versteht zum Beispiel nicht, warum er jetzt morgens keine Hand mehr geben darf“, sagt Braun: „Wir haben diese präventive Maßnahme ergriffen, weil wir die Ansteckungsgefahr verringern wollten.“

An beiden Standorten läuft aktuell ein Notbetrieb

Die Verordnung kam nämlich erst später als die für Schulen und Kindertagesstätten. „Diese Verordnung ist dringend notwendig gewesen, um Menschen mit Behinderung, die zu den Risikogruppen zählen, besser vor einer Ansteckung schützen zu können“, sagt Eva Schackmann, Pressesprecherin der Lebenshilfe Stuttgart. Diese beschäftigt in ihrer Werkstatt am Standort in Stuttgart-Vaihingen rund 200 Menschen mit Behinderung.

Sowohl in den Karl-Schubert-Werkstätten, als auch in denen der Lebenshilfe läuft derzeit der Notbetrieb. Ein Teil der Gruppenleiter sorgt für eine Notbetreuung, die anderen nutzen die Zeit, Vorrichtungen und Hilfsmittel zu erneuern, ein Teil hilft in den Wohngruppen aus, andere bauen Überstunden ab. Außerdem bearbeiten die Gruppenleiter Aufträge, für die eine Lieferverpflichtung besteht, denn: „Die Produktion kann nicht einfach heruntergefahren werden. Wir dürfen jetzt keine Kunden verlieren, sonst können wir die Werkstattmitarbeiter nach der Krise nicht mit Arbeit versorgen“, sagt Braun. Außerdem würde man sonst auch Einnahmen einbüßen, was zu Lasten der beschäftigten Menschen mit Behinderung ginge. Ihre Gehälter sind nämlich abhängig von den Einnahmen aus den Aufträgen. Brechen diese weg, müssen ihre Gehälter gekürzt werden.

Nach der Corona-Krise müsse alles weiterlaufen

„Natürlich sind die Aufträge aus der Wirtschaft ein wichtiges Standbein“, sagt Schackmann von der Lebenshilfe. Doch den Großteil der Einnahmen machten nicht die Aufträge aus, sondern Leistungsvergütungen der Kostenträger, wie zum Beispiel der Stadt oder des Landkreises sowie der Agentur für Arbeit. Diese decken sowohl die Kosten für das betreuende Personal als auch einen Großteil der Fixkosten. „Was wir unbedingt brauchen, ist deshalb die Zusage der Kostenträger, dass die Vergütung weiterhin während der gesamten Schließzeit geleistet wird“, sagt Schackmann: „Dann können wir alles so am Laufen halten, dass der Betrieb nach Ende der Schließzeit wieder reibungslos weitergeführt werden kann.“

Die Agentur für Arbeit sagte den Werkstätten Zahlungen bisher nur bis 31. März zu, die zuständigen Sozialämter haben zugesagt, die Leistungen vorerst weiter zu vergüten. „Bisher ist die Aussicht, dass wir bis zum 19. April geschlossen haben. Wenn danach alles weiterläuft, ist das kein Problem“, so Braun. „Wenn das jedoch Monate andauert und wir keine Unterstützung erfahren, werden wir zahlungsunfähig sein.“

Momentan seien die Wohnkunden noch relaxt

Neben der Sorge um die finanzielle Situation ist die derzeitige Betreuungssituation eine Herausforderung. Während die Menschen mit Behinderung normalerweise tagsüber in den Werkstätten ihren Tätigkeiten nachgehen, müssen diejenigen, die nicht alleine oder bei Angehörigen leben, nun ganztägig in den Wohngruppen betreut werden. Da dies bisher nicht der Fall war, ist dort nun mehr Personal von Nöten. Betreuende Werkstattmitarbeiter helfen deshalb aus. „Im Moment sind alle Wohnkunden noch relaxt und im Urlaubsmodus. Doch weil man so eng aufeinandersitzt, kann es sein, dass man sich mit der Zeit gegenseitig auf den Keks geht“, sagt Schackmann.

Eine Maßnahme gegen aufkommende Langeweile ist die Heimarbeit, die derzeit in Wohngruppen beider Einrichtungen getestet wird. Außerdem können die Werkstätten so auch sicherstellen, dass die Produktion weiterläuft, so Braun. „Vor allem wollen wir den Menschen damit eine Tagesstruktur schaffen. Die Arbeit ist ja auch eine therapeutische Maßnahme.“

Damit die Menschen mit Behinderung nach der Corona-Krise wieder wie gewohnt an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können, sei vor allem eines notwendig, sagt er: „Wir brauchen die Zusage, dass die vereinbarten Vergütungen weiterhin fließen – auch dann, wenn die Werkstätten geschlossen haben.“