Ausnahmezustand im Sindelfinger Labor: Martina Buchert-Graeve und ihre Kollegen arbeiten sieben Tage die Woche zehn bis zwölf Stunden. Foto: factum/Simon Granville

Ihre Arbeit wird plötzlich überall und von jedermann öffentlich diskutiert – und auch kritisiert. Zwei Laborärzte aus Sindelfingen erzählen, wie ihre Realität in Zeiten von Corona tatsächlich aussieht – und was möglich ist und was nicht.

Sie sind zurzeit besonders gefordert: Laborärzte, die Coronatests auswerten. Auch das Labor Laborärzte Sindelfingen arbeitet gerade zwölf Stunden täglich und sieben Tage die Woche, um die große Menge an Tests bewältigen zu können. Dennoch wird es immer wieder auch mit Kritik konfrontiert. Oft heißt es etwa, die Tests ließen sich schneller auswerten. Martina Burchert-Graeve und Michael Steidle erklären, wie viele Tests in welcher Zeit tatsächlich zu bewältigen sind, und berichten von ihrem Alltag.

Frau Burchert-Graeve, Sie sind Laborärztin und Partnerin bei den Laborärzten Sindelfingen, Herr Steidle, Sie leiten dort die molekulare Diagnostik. Für welche Landkreise sind Sie hauptsächlich zuständig?

Burchert-Graeve: Wir versorgen den Landkreis Böblingen mit zwei Testzentren, den Landkreis Calw mit zwei Drive-Ins, den Landkreis Göppingen, wir haben jetzt Teile des Landkreises Ludwigsburg übernommen, und wir versorgen hier im Raum den Südwest-Klinikverbund und die ganzen Arztpraxen, die mit uns zusammenarbeiten.

Ihre Arbeit steht derzeit im Fokus der Öffentlichkeit . . .

Buchert-Graeve: Ja, und es ärgert mich, wenn manche Medien schreiben, der Coronatest sei ein Speicheltest. Das ist falsch. Sie müssen einen tiefen Rachenabstrich machen, Sie müssen über die Mandeln fahren oder Sie müssen einen tiefen Nasenrachenabstrich machen, also bis tief runtergehen, weil das Virus sich ja im Rachen vermehrt. Es ist nicht so, dass ich kurz in ein Röhrchen spucke und dann mein Ergebnis bekomme. Und noch mehr ärgert mich, dass es immer wieder heißt, dass Labore 5000 Tests am Tag messen könnten oder dass man mit dem von uns verwendeten Roche Cobas System 4000 Patienten am Tag messen kann. Das stimmt so nicht. Man kann damit viel messen, aber nicht 4000 Proben auf einem System am Tag.

Wie viele Tests am Tag schaffen sie denn tatsächlich?

Burchert-Graeve: Wir sind hier ein Labor mittlerer Größe, und wir können zurzeit 1200 Proben am Tag abarbeiten. Das ist eine ganze Menge. Ein Test dauert bis zum Ergebnis mindestens dreieinhalb Stunden. Jede Abstrichprobe kommt in das Diagnosegerät, das wiederum getaktet ist. Gleichzeitig können 96 Patienten getestet werden, und jeder Patient dauert eben dreieinhalb Stunden. Insofern komme ich niemals auf 4000 Tests, es sei denn, ich habe mehrere Geräte, dann kann ich das natürlich machen.

Sie bräuchten also ein zweites – wäre es möglich, sich noch eines anzuschaffen?

Burchert-Graeve: Wir haben bereits zwei. Wir sind sehr gut aufgestellt. Wenn sie jetzt noch ein zusätzliches Gerät irgendwo hinstellen würden, dann bräuchten sie etwa zwei Wochen, um das überhaupt zum Laufen zu bringen. Und wir müssen ja aktuell messen.

Sie sagten, ein Test dauert dreieinhalb Stunden, aber wie lange dauert es von dem Moment an, wenn beim Patienten der Abstrich genommen wurde, bis er das Testergebnis erfährt?

Steidle: Die Probenlogistik dauert meist mindestens so lange wie der Test an sich. Sie müssen die Probe hierher bekommen, sie müssen die ganzen Patientendaten erfassen. Sie müssen von mindestens vier bis fünf Stunden ausgehen – und das ist der Idealfall. Es kann aber auch den ganzen Tag brauchen. Wir versuchen, hier im Labor die Einsendungen so zu bearbeiten, dass wir den Großteil noch tagesgleich fertig bekommen. Bei allem, das bei uns bis 14 oder 14.30 Uhr ankommt, schaffen wir das auch.

Schnellere Tests sind nicht einsetzbar?

Steidle: Die Tests sind, das möchte ich betonen, keine Schnelltests. Das sind aufwendige PCR-Tests.

Burchert-Graeve: Es gibt mittlerweile Angebote für Schnelltests auf dem Markt, aber wir haben keine Erfahrung damit. Der Virologe Christian Drosten fordert den Antigentest. Das tun wir auch. Der Test wäre einfacher zu handhaben als die PCR-Tests. Deswegen sollte das die Zukunft sein. Aber die Forscher sind noch nicht so weit, er ist noch nicht auf dem Markt. Den Antikörpertest können wir nutzen, wenn die Infektionen abgeklungen sind, um zu sehen, ob eine Immunität erreicht ist. Das etablieren wir auch zurzeit im Labor. Aber im Moment arbeiten wir mit den klassischen PCR-Tests.

Und Sie haben genug Tests zur Verfügung?

Burchert-Graeve: Dieser neue Test der Firma Roche, der ist nicht in diesen Massen verfügbar, aber wir nutzen unsere Diagnosegeräte auch, um etwa den PCR-Test von Professor Drosten einzusetzen. Denn das Cobas-Gerät hat einen offenen Kanal, den man auch für eigene entwickelte Tests nutzen kann. Dadurch sind wir nicht so abhängig von dem neuen Test der Firma Roche. All diese Verfahren setzen wir ein, um damit die Kapazität zu steigern. Das ist natürlich ein großer Vorteil.

Mussten Sie auch anderweitig Kapazitäten aufstocken?

Steidle: Hier arbeiten alle Mitarbeiter gerade zehn bis zwölf Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Das machen sicherlich alle Labore so, die kämpfen alle am Limit.

Wie viel Prozent Ihrer Proben werden denn positiv getestet?

Burchert-Graeve: Etwa zehn bis elf Prozent – angefangen haben wir mit fünf Prozent. Damit liegen wir gut im Schnitt dessen, was in Deutschland getestet wird. Es gibt Zahlen von 86 Laboren, da waren es in der vergangenen Woche 9,8 Prozent.

Die Firma Bosch bietet seit kurzem auch Schnelltests an – was halten Sie denn von diesen?

Steidle: Diese Tests sollen in die Praxen und Krankenhäuser gehen und sind für Großlabore weniger geeignet. Sie dauern auch zweienhalb Stunden und stellen somit auch keinen klassischen Schnelltest dar.