Tierpflegerin Tamara Köppler und ihre Kollegen müssen sich auch um viele Kleintiere im Tierheim Esslingen kümmern Foto: Roberto Bulgrin

Das Virus hält auch das Tierheim Esslingen fest in seinen Klauen. Der Tagesablauf der 21 festangestellten Mitarbeitenden und der etwa 150 tierischen Bewohner hat sich komplett verändert. Das Tierheim läuft nun im Corona-Modus. Mit unterschiedlichen Auswirkungen.

Esslingen - Nein, sie haben keine blauen Haare und ihre Gesichter sind auch nicht gelb. Trotzdem heißen sie Marge und Homer – wie das Ehepaar Simpson in der gleichnamigen Zeichentrickserie. Und im Gegensatz zu ihren Namensgebern wohnen sie auch nicht in Springfield. Die Großkaninchen sind zwei der insgesamt gut 150 Bewohner des Tierheims Esslingen. Ihr Tagesablauf hat sich gänzlich verändert, genau wie der Arbeitsalltag der 21 Festangestellten und vielen Ehrenamtlichen in der Einrichtung auf der Neckarinsel. Denn das Tierheim befindet sich im Corona-Modus.

 

Schlimme Tierschicksale

Er ist ein echter Unglücksrabe. Bogancs kam aus einem Tierheim in Ungarn zu einer Familie im Kreis Esslingen. Der Puli-Rüde sieht niedlich aus, hat aber seine Marotten. Er hat Angst vor Treppen und Türen, lässt sich nicht auf den Arm nehmen, verteidigt Futter und Spielzeug und schnappt zu. Seine Halterfamilie war überfordert, deshalb landete der Hund im Tierheim Esslingen. Ein tierisches Corona-Schicksal. Homeoffice, mehr freie Zeit durch Kurzarbeit, Einsamkeit, fehlende Sozialkontakte oder der Wegfall von Alternativangeboten sorgen für die Sehnsucht nach einem tierischen Begleiter, erklärt Tierheim-Leiter Horst Theilinger.

Nachfrage nach Haustieren

Durch die Coronapandemie ist die Nachfrage nach Haustieren gestiegen, der Bedarf wird deshalb auch durch Hunde aus dem Ausland abgedeckt. Doch die oft unter schlechten Bedingungen gehaltenen Tiere können Probleme mit sich bringen: Oft fehlen Impfungen, Krankheiten sorgen für Einschränkungen und können sogar auf den Menschen übertragen werden. Viele dieser Tiere landen dann im Tierheim. Durch den Wunsch nach einem Haustier ist auch die Vermittlungsquote sehr hoch. Aber die großen Verlierer sind Tiere wie Bogancs, die schwierig in der Haltung oder schon älter sind und nur an erfahrene Tierfreunde abgegeben werden können.

Tierliebe auch nach Corona

Allerdings hat sich auch der Beratungsbedarf bei Vermittlungen verringert. Das Tierheim ist coronabedingt für den Publikumsverkehr geschlossen, die Abgabe der Tiere erfolgt nur nach vorheriger Terminabsprache. Alle Tiere, so Horst Theilinger, sind auf der Homepage der Einrichtung aufgeführt, dort können sich Interessenten vorab informieren. Und Telefonische Absprachen verhinderten Enttäuschungen: „Wer einen Dackel sucht, möchte keinen Schäferhund. Wenn also jemand einen kleinen Hund will, wir aber nur große Tiere hier haben, dann macht ein Besuch bei uns keinen Sinn.“ Der Tierheimleiter hofft, dass die Begeisterung für die vermittelten Tiere auch in Nach-Coronazeiten mit einem Ende von Homeoffice, Kurzarbeit und Lockdown anhält. Ein Kanarienvogel und eine Katze, deren Besitzer an der Pandemie verstorben sind, werden zur Zeit in der Einrichtung betreut.

Schwierige Finanzierung

Das Virus hat den Terminkalender des Tierheims durcheinander gebracht. Veranstaltungen, Tage der offenen Tür, Info-Stände, die Teilnahme an Festen und auch Besuche fallen weg, sagt Horst Theilinger. Dadurch kommen vor Ort weniger Spenden zusammen. Doch die Online-Überweisungen haben sogar leicht zugenommen, ergänzt David Koch vom Tierschutzverein Esslingen und Umgebung e. V. als Träger des Tierheims. Durch den Lockdown hätten die Menschen mehr Geld in der Tasche. Das Tierheim finanziere sich über die Beiträge der gut 1600 Mitglieder, Gelder aus Fundtierverträgen durch die Kommunen, Patenschaften, Spenden und Erbschaften. Etwa 1,2 Millionen Euro koste der Betrieb im Jahr, nur etwa 40 Prozent der Ausgaben seien durch feste, kalkulierbare Größen abgedeckt. Hinter dem Eingang und der Höhe von Spenden oder Erbschaften stehe ein großes Fragezeichen. Daher bedauert der erste Vorsitzende des Tierschutzvereins, dass von der Stadt Esslingen nur der für gemeinnützige Vereine übliche Zuschuss in Abhängigkeit zur Anzahl der Mitglieder gezahlt werde: „Dabei leisten wir zu 100 Prozent einen Beitrag für die Allgemeinheit, indem wir uns zum Beispiel um Wildtiere kümmern.“

Neue Formen des Spendensammelns

Den Ausfall der Einnahmen aus Veranstaltungen und Präsenzbesuchen versucht der Verein, durch alternative Ideen und neue Konzepte aufzufangen. So wurden Videos auf der Homepage eingestellt, und auch Spendenaufrufe für bestimmte Projekte über die Plattform „Betterplace“ hätten sich als sinnvoll erwiesen: „Die Menschen geben lieber, wenn sie genau wissen, wofür die Gelder verwendet werden.“ So sei zum Beispiel um Unterstützung für die Neugestaltung der Hundeausläufe im Tierheim gebeten worden. Der Untergrund war matschig und rutschig gewesen, das Wasser schlecht abgelaufen, darum mussten Verbesserungsarbeiten wie das Abtragen des Bodens um 30 Zentimeter und der Einbau eines festeren Untergrunds unternommen werden. Die Kosten: etwa 30 000 Euro.

Viele Bauvorhaben

Der Bedarf an Spenden sei weiterhin vorhanden, sagt David Koch. Er weist auf Bauvorhaben im Tierheim hin. Unvorhergesehen müsste nun auch noch das Abwasserpumpsystem aus dem Jahr 1964 ersetzt werden. Und die bisherige Heizung reiche für den neuen Anbau nicht aus, sodass eine komplett neue Anlage für insgesamt rund 55 000 Euro installiert werden müsse. Dafür müsste auf die Rücklagen zurückgegriffen werden. Doch alle Mitarbeitenden hoffen auf eine Normalisierung in Nach-Coronazeiten. Den „Tag der Begegnung“ im September würde Horst Theilinger gerne organisieren, und die bereits zwei Mal verschobene Mitgliederversammlung muss nachgeholt werden. Marge und Homer ist das egal. Die Kaninchen genießen die von Tierpflegerin Tamara Köppler gereichten Kleeblätter und machen sich, anders als ihre Vorbilder aus der Zeichentrickserie, nicht selbst das Leben schwer.

Mehr zum Tierheim steht unter https://www.tierschutzverein-esslingen.de.