Kim Jong Un hat staatlichen Medien zufolge die gesamte 200 000-Einwohner-Stadt Kaesong abriegeln lassen (Archivbild). Foto: AP

Ein ehemaliger nordkoreanischer Überläufer soll nach Darstellung Pjöngjangs über die verminte Grenze aus Südkorea zurückgekehrt sein und möglicherweise das Virus eingeschleppt haben. Für 200 000 Menschen gilt deshalb nun eine Ausgangssperre.

Seoul - Nach einem einzigen Corona-Verdachtsfall hat der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un staatlichen Medien zufolge die gesamte 200 000-Einwohner-Stadt Kaesong abriegeln lassen. Möglicherweise sei das Virus durch einen ehemaligen Überläufer erstmals in Nordkorea eingeschleppt worden, sagte Kim nach einem Bericht der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA vom Sonntag. Bei einer Krisensitzung des Politbüros der Kommunistischen Partei verhängte Kim demnach den Notstand über den Großraum Kaesong an der Grenze zu Südkorea.

Nach offizieller Darstellung hat es im abgeschotteten und autoritär regierten Nordkorea seit Beginn der Pandemie keine einzige Infektion mit dem Virus Sars-CoV-2 gegeben. Experten aus dem Ausland zweifeln das allerdings an. Bei der nun möglicherweise infizierten Person handelt es sich dem Bericht zufolge um einen Nordkoreaner, der vor Jahren nach Südkorea geflohen sei und Anfang vergangener Woche illegal die Grenze zurück nach Nordkorea überquert habe. Ein Abstrich und ein Bluttest hätten eine „mögliche Infektion“ ergeben, hieß es. Die Person sowie alle ihre Kontaktpersonen der vergangenen Tage seien isoliert worden. Abgeriegelt wurde Kaesong laut dem Bericht bereits am Freitagnachmittag.

Bei Verdachtsfällen in den vergangenen Monaten waren in Nordkorea immer wieder Quarantäneanordnungen verhängt worden. Allerdings gab es - soweit bekannt ist - bisher noch nie einen kompletten Lockdown für eine ganze Stadt.

In Kaesong leben geschätzt 200 000 Menschen

In Kaesong leben geschätzt 200 000 Menschen. Die Stadt liegt unmittelbar nördlich der streng bewachten Grenze zu Südkorea. In Kaesong steht auch ein Industriepark, den beide Koreas gemeinsam betrieben hatten. Seit 2016 steht die Arbeit dort allerdings wegen des Streits um Nordkoreas Atomwaffenprogramm still. Im Juni sprengte Nordkorea ein Verbindungsbüro in der Stadt, nachdem südkoreanische Aktivisten Flugblätter mit Botschaften gegen die Führung in Pjöngjang mit Ballons über die Grenze fliegen hatten lassen.

Man befinde sich in einer kritischen Lage, in der das bösartige Virus möglicherweise ins Land gekommen sei, wurde Kim von KCNA zitiert. Unmittelbar nachdem er die Nachricht erhalten habe, habe er Kaesong und jeden Bezirk der Stadt abgeriegelt.

Bei einem Krisentreffen des Politbüros am Samstag wurde dem Bericht zufolge auch über die laxe Bewachung der Grenze gesprochen, die den Grenzübertritt der mutmaßlich infizierten Person überhaupt erst möglich gemacht habe. Man ziehe eine harte Bestrafung der Verantwortlichen in Erwägung, hieß es.

Mehr als 33 000 Nordkoreaner sind in den vergangenen 20 Jahren in den Süden geflohen, die meisten von ihnen über die durchlässige Grenze nach China. Dass ein nordkoreanischer Überläufer zurückkehrt und dann auch noch über die verminte Grenze zwischen den Koreas ist mehr als ungewöhnlich. Das südkoreanische Militär teilte mit, es untersuche Videoaufnahmen von der Grenze. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf eine Einzelperson, die die Grenze möglicherweise überschritten habe, hieß es.

Indem ein geflüchteter Nordkoreaner aus dem Süden für die Einschleppung des Virus verantwortlich gemacht wird, wolle die Führung in Pjöngjang vermutlich Südkorea die Schuld zuschieben, sagte Leif-Eric Easley von der Universität Ewha in Seoul. Experte Cheong Seong Chang vom Sejong- Institut in Südkorea sagte hingegen, er glaube nicht, dass die Geschichte vom Überläufer erfunden sei.