Die Ankunftshalle: Hier treffen alle Proben, die Synlab analysiert, ein. Das sind bei Weitem nicht nur PCR-Tests. Foto: Horst Rudel

Infektionszahlen steigen, Testkapazitäten werden knapp: In den Laboren im Land herrscht Land unter. Wie ist es, jetzt dort zu arbeiten? Besuch an einem Ort, der vor Corona kaum Beachtung fand.

Leinfelden-Echterdingen - Hätte das kleine Röhrchen Ohren und Augen würde ihm sehr wahrscheinlich sehr schwindelig werden in diesem riesigen Raum, wo es zischt fast wie in einer Großküche und piepst wie an einer Supermarktkasse. Und die Prozedur im Anschluss würde ihm wohl den Rest geben. Bei diesem Geschüttel und diesen Hitzewallungen, die es über sich ergehen lassen muss.

 

Aber: Natürlich hat das kleine Röhrchen weder Augen noch Ohren noch sonst eine Wahrnehmung. Es kann sich also auch nicht wundern. Über die Unscheinbarkeit dieses Gebäudes zum Beispiel, das umgeben von einem Asia-Restaurant, einer Dekra-Prüfstelle und einer Waschstraße im Echterdinger Gewerbegebiet steht. Oder die gute Stimmung im Inneren, obwohl dort eigentlich die Luft brennt.

Auch Profis lernen dazu

Das optisch unscheinbare Gebäude beherbergt die Firma Synlab. Sie gehört aktuell zu den gefragtesten Unternehmen in Deutschland, weil sie etwas kann, was aktuell zu den wichtigsten Aufgaben zählt: PCR-Tests analysieren. Es gibt also, nicht nur in Echterdingen, Arbeit ohne Ende. Eberhard Wieland, der ärztliche Leiter des Labors, sagt jedoch ganz ruhig: „Wir haben langjährige Erfahrung darin, Erreger nachzuweisen.“

Die erste Maschine, die das Virus kennenlernt, ist der Extraktor. Er schüttelt den Inhalt aus dem Röhrchen, so lange, bis sich die Hülle des Virus auflöst und sein Erbmaterial freigelegt ist; vorausgesetzt, das Virus ist da. Irgendjemand hat auf den Extraktor einen Aufkleber gepappt, der Wolverine zeigt, den Superhelden aus dem Hause Marvel. Und er verrät damit auch etwas über die Atmosphäre in diesem Teil des Hauses Synlab.

Von den Männern und Frauen, die den Extraktor bestücken oder entleeren, die Proben vor- oder nachbereiten, ist nicht viel zu erkennen. Sie schauen konzentriert auf Bildschirme oder Pipetten, tragen eilig Proben von einer Station zur nächsten – und außer reinen Kitteln und sterilen Handschuhen natürlich Maske. Trotzdem kann man erkennen: Die Virusfahnder scheinen ihre Arbeit gerne zu machen. Vielleicht haben auch sie Superkräfte?

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Auf jeden Fall sind sie Superkräfte. Wenn es immer öfter und immer dringlicher heißt, die Kapazitäten der Labore seien erschöpft, liegt das hauptsächlich am Personalmangel. Bei Synlab in Leinfelden-Echterdingen arbeiteten vor zwei Jahren, also vor Corona, rund 220 Mitarbeiter. Inzwischen sind es 240. Das entspricht einem Plus von zehn Prozent. Und die befassen sich exklusiv mit den PCR-Tests. „Dass sich 20 Leute ausschließlich um eine Sorte Tests kümmern, das hatten wir noch nie“ sagt Eberhard Wieland, der auch die Arbeitszeiten ausgedehnt hat. An sieben Tagen die Woche testet Synlab, jeweils von 8 bis 23 Uhr. Vor Corona hatte die Arbeitswoche nur sechs Tage, und die waren um 21 Uhr zu Ende. So kommt es, dass das Labor zwischen 15 000 und 25 000 PCR-Tests pro Woche analysiert. „Die Dimension ist eine andere“, sagt Eberhard Wieland.

Spannendes Kopieren

Der Raum der Wahrheit ist ziemlich klein. Gerade mal zwei Leute haben halbwegs bequem Platz. Aber es kommt ja auf die Geräte an, die sieben Thermocycler, die aussehen wie überdimensionierte Karteikästen. In einen davon geht die Probe aus Wolverine. Was darin passiert, unter Zugabe von diversen Reagenzien und Hitzeschüben, war einst so bahnbrechend, dass der Erfinder der Methode, Kary Banks Mullis, 1993 den Nobelpreis für Chemie dafür bekam. Weniger nobelpreisverdächtig formuliert, passiert folgendes: Teile des Erbguts eines Coronavirus werden darin so oft kopiert, bis auch kleinste Mengen des Erregers nachweisbar sind – wenn er vorhanden ist.

Ungewohntes Interesse

So wie Eberhard Wieland von RNA und DNA spricht, von Polymerase, Nukleotiden und Doppelsträngen und wie er interessiert auf die Farbkurven in seinem Computer schaut, muss man sich den Professor als glücklichen Menschen vorstellen. Wann hat sich die Öffentlichkeit jemals so für das interessiert, was er und seine Kollegen tun?

Rund 1000 Fachärzte für Laboratoriumsmedizin gibt es in Deutschland. Das entspricht, sagt der Berufsverband Deutscher Laborärzte, weniger als einem Prozent der gesamten Ärzteschaft. Zugleich werden 70 Prozent aller medizinischen Entscheidungen von dem beeinflusst, was in Laboren ermittelt wird. Marker für einen Tumor, Hinweise auf eine Hormonerkrankung, Antikörper, die auf eine Autoimmunerkrankung schließen lassen – ohne Eberhard Wieland und seine Kollegen könnte vielen Patienten nicht geholfen werden.

Goldene Zeiten für Labore?

Das ist zweifellose lukrativ. Bei der Synlab-Gruppe etwa, die ihren Sitz in München hat und in ganz Europa aktiv ist, lief das vergangene Jahr noch besser als vorangegangene Jahre. Allein im dritten Quartal 2021 setzte das börsennotierte Unternehmen mehr als 300 Millionen Euro mit Covid-19-Tests um.

Der Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) relativiert diese Zahlen ein wenig. Die zusätzliche Personal und die zusätzlichen Geräte kosteten schließlich auch sehr viel Geld. Und durch abgesagte Operationen und minimierte Arztbesuche brächen viele Einnahmen weg. Bei Synlab zum Beispiel waren es in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 mehr als 170 Millionen Euro. Eberhard Wieland äußert sich nicht zu Zahlen. Er sagt nur: „Wir können unseren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie gut leisten.“

Vier Stunden bis zum Ergebnis

Bevor der Inhalt aus dem Röhrchen im Thermocylcer kopiert werden konnte, wurde er in einem Spezialraum mit Ingredienzen vermischt, ohne die das Kopieren nicht funktionieren würde. Und bevor die winzige Menge Abstrichstoff im Wolverine-Extraktor geschüttelt werden konnte, musste sie aus dem Röhrchen in ein extraktionstaugliches Behältnis befördert werden. Bevor das Röhrchen unter einem Spezialsicherheitsabzug mit einer Pipette geleert werden konnte, musste es zu allererst gescannt und registriert werden.

Theoretisch könnte das Ergebnis nach gut vier Stunden bekannt sein. Länger dauern die Prozesse im Labor nicht – wenn die Probe erst mal da ist. Theoretisch wäre es also geschickt, an jeder Schnellteststation auch ein kleines Labor einzurichten. Dann müssten Betroffene nicht 48 Stunden oder länger auf ihr Ergebnis warten. Praktisch ist das natürlich größtmöglicher Humbug. Allein deshalb, weil die Hygiene in den Testhütten an den Straßenecken rein gar nichts mit den Hygieneanforderungen eines Labors zu tun hat.

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Praktisch wird es deshalb bald so sein, dass nicht mehr jeder einen PCR-Test machen darf. Das soll dann Risikogruppen vorbehalten sein und Beschäftigten, die diese Menschen betreuen. Patientenschützer kritisieren, dass dadurch pflegende Angehörige außen vor sind. Auch Lehrer fühlen sich übergangen.

Neue Schicht und neue Mitarbeiter

Synlab bewertet den jüngsten Beschluss von Bund und Ländern nicht, hat aber schon reagiert. In Leinfelden-Echterdingen wurde eine dritte Schicht eingeführt. Seit dieser Woche laufen die Maschinen also auch nachts. Das bringt bis zu 8000 zusätzliche Analysen pro Woche. Dass es weniger Arbeit gibt, ist ja nicht zu erwarten. Dafür steigen die Infektionszahlen zu stark.

Außerdem hat die Firma fünf weitere Stellen ausgeschrieben. Bewerben können sich nicht nur Mediziner und medizinisch-technische Assistenten . Auch Studenten aus biotechnologischen Fächern werden mit Kusshand genommen. Hauptsache, die Pandemie ist bald im Griff.

Die Probe aus dem Röhrchen ohne Augen und Ohren übrigens war positiv.