Die Regierung von Angela Merkel hat in der Corona-Krise viele Vollmachten – aber wie lange noch? Foto: AP/Markus Schreiber

Abgeordnete fordern die Rückkehr zum parlamentarischen Normalbetrieb – auch aus den Regierungsparteien. Sie wollen ein Ende der Corona-Sonderrechte während der nationalen Pandemie.

Berlin - Angesichts deutlich sinkender Infektionszahlen dringen immer mehr Abgeordnete darauf, die Feststellung einer epidemischen Notlage aufzuheben und damit Bundestag und Bundesrat wieder volle Mitsprache an der Corona-Politik einzuräumen.

Das ist der Hintergrund: Am 25. März stellte der Bundestag fest, dass „in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite“ bestehe. Das Gesundheitsministerium konnte dadurch weitreichende Anordnungen und Rechtsverordnungen ohne Zustimmung von Bundestag oder Bundesrat treffen. Durch die Ausrufung der epidemischen Lage nach Artikel 5 des Infektionsschutzgesetzes werden zudem Grundrechte befristet eingeschränkt, etwa die Freiheit der Person bei Quarantäne-Anordnung, das Recht auf freie Religionsausübung durch das Verbot von Gottesdiensten, die Versammlungsfreiheit, die Freizügigkeit oder das Recht auf freie Berufsausübung.

Keine „dynamische Ausbruchssituation“ mehr

Am lautesten ruft derzeit die FDP nach einer Rückkehr zum Normalbetrieb. Der südbadische FDP-Bundestagsabgeordnete Christoph Hoffmann fordert die Bundesregierung auf, zu überprüfen, ob die Notlage noch gegeben ist. Sein Argument: „Die Einschränkungen und das Durchregieren via Infektionsschutzgesetz ist bei nur 7100 aktiven Fällen und klar abgrenzbaren Hotspots unter 83 Millionen Deutschen nicht mehr gerechtfertigt.“

Die ausgerufene epidemische Lage nationaler Tragweite gebe es nicht mehr. Der Bundestag müsse nun „selbstbewusst auftreten. Mit jedem Tag steige die Gefahr, „dass Einschränkungen unter dem Corona-Deckmantel dauerhaft beibehalten werden“. Ähnlich argumentiert auch der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Konstantin Kuhle.

Es könne „nicht mehr von einer sich dynamisch entwickelnden Ausbruchssituation gesprochen werden“, mit der die Pandemie-Notlage ursprünglich begründet wurde, sagte Kuhle unserer Zeitung. „Freiheitseinschränkungen und Sonderermächtigungen dürfen nicht länger aufrechterhalten werden als unbedingt nötig“ sagte Kuhle. Die Forderung der FDP findet auch innerhalb der Parteien Widerhall, die die Regierung tragen.

Gespräch zwischen den Fraktionschefs von Union und SPD

So findet der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, im Gespräch mit unserer Zeitung deutliche Worte: „Der Bundestag muss selbstbewusster sein und von seinen Kompetenzen Gebrauch machen. Wichtige Entscheidungen wie die Verlängerung der weltweiten Reisewarnung oder zu den Grenzöffnungen müssen von der Volksvertretung mitentschieden werden“, sagte Fechner. Auch dass der Gesundheitsminister in Pandemie-Situationen von beschlossenen Gesetzen per Rechtsverordnung ohne Einflussmöglichkeiten des Bundestags abweichen kann, müsse „beendet werden“. Natürlich müsse in Krisen schnell und ohne langen Debatten entschieden werden, sagte Fechner, „aber zumindest nachträglich muss der Bundestag das Recht haben, Entscheidungen des Bundesgesundheitsministers zu ändern.“

Nach Recherchen unserer Zeitung hat es in der vergangenen Woche zu diesem Thema auch ein Gespräch der Fraktionschefs von SPD und Union, Rolf Mützenich und Ralph Brinkhaus gegeben. Beide haben vereinbart, auf eine stärkere Rolle des Bundestages zu drängen. Das zeigt, dass auch die Unionsfraktion mit dem gegenwärtigen Zustand nicht glücklich ist. Der Fraktionsvize Thorsten Frei warnt gegenüber unserer Zeitung davor, Dinge „zu überstürzen“. Er sagt aber auch: „Klar ist für mich: Am Parlament führt kein Weg vorbei.“ Man beobachte sehr genau, welchen Gebrauch die Bundesregierung von den Vollmachten mache.

Für das Ministerium ist die Pandemie „noch nicht vorbei“

Falls erforderlich, „werden wir die Kompetenzen zurückverlagern“. Im Moment sieht Frei dafür allerdings „keinen Anlass“. Manche in der Union formulieren da härter. Der Nürtinger Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte Michael Hennrich sagte, die Beschlüsse seien zwar notwendig gewesen. „Nun aber dürfen wir beim Thema Aufhebung des Notfalls nicht in die Lage kommen, in Europa die Letzten zu sein, die das Licht ausmachen“. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte unserer Zeitung, das Thema sei „Sache des Parlaments“. Das Ministerium gehe allerdings davon aus, „dass die Pandemie noch nicht vorbei ist.“