Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Frau Gerlinde. Foto: dpa/Marijan Murat

Am Sonntagabend wollten Kritikerinnen und Kritiker der Corona-Politik ihren Unmut vor das Haus des baden-württembergischen Ministerpräsidenten tragen. Es war nicht der erste Vorfall dieser Art. Entsprechend scharf wird das Ereignis nun verurteilt.

Sigmaringen/Stuttgart - Kritikerinnen und Kritiker der Corona-Schutzmaßnahmen haben am Sonntagabend versucht, zum Wohnhaus des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) vorzudringen. Eine kleine Gruppe von Demonstrierenden ist nach Angaben der Polizei in einen abgesperrten Bereich an der Zufahrtsstraße zum Haus des Regierungschefs gelangt, wo sie von Polizeikräften gestoppt wurde. Fragen und Antworten dazu.

Wie kam es zu dem Vorfall?

Nach Angaben des zuständigen Polizeipräsidiums in Ravensburg fand am Sonntag zwischen 17 Uhr und 18.30 Uhr in Sigmaringen-Laiz ein sogenannter „Spaziergang“ statt, der unangemeldet war. Rund 60 Menschen haben teilgenommen, der „Spaziergang“ führte demnach an der Straße zu Kretschmanns Haus vorbei. Der Demonstrationszug sei vor der Absperrung stehengeblieben und habe mit Einsatzkräften diskutiert, sagte ein Polizeisprecher, anschließend seien die Menschen weitergezogen. Zehn Personen aber seien durch einen Durchgang zwischen zwei Häusern in den abgesperrten Bereich gelangt. Nach kurzer Diskussion mit der Polizei hätten sie den Bereich wieder verlassen. Ein Einsatz von Zwangsmitteln war nicht erforderlich. Die Versammlung sei ansonsten gewaltfrei verlaufen. Gegen eine Person, die womöglich als Versammlungsleiter fungiert habe, sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Zuerst hatte die „Schwäbische Zeitung“ über den Vorfall berichtet.

Wie wird das Haus des Ministerpräsidenten üblicherweise abgesichert?

Zu den Sicherungs- und Schutzmaßnahmen an seinem privaten Wohnhaus gibt die Polizei keine Informationen heraus. Der Ministerpräsident selbst hat Personenschutz, er war am Sonntagabend allerdings nicht zuhause. Kretschmanns Ehefrau Gerlinde, die in der betreffenden Zeit nach Hause kam, sei durch die Polizei informiert worden. Die Zufahrtsstraße zum Haus der Kretschmanns sei laut Polizeisprecher „anlässlich des Aufzugs“ abgesperrt worden, normalerweise sei sie frei befahrbar.

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Was ist über diejenigen bekannt, die beteiligt waren – und was sagt die Stadt?

Laut Polizeisprecher hatte der Protest am Sonntagabend zum ersten Mal in im Sigmaringer Ortsteil Laiz stattgefunden – zuvor immer direkt in Sigmaringen. „Bei einem Großteil der gestrigen Teilnehmer dürfte es sich um die Personen gehandelt haben, die sonst in SIG unterwegs waren“, sagte der Polizeisprecher am Montag. „Die Stimmung war weder angespannt noch aggressiv, lediglich im Bereich der Polizeiabsperrungen wurde versucht, Grenzen auszuloten.“

Bürgermeister und Gemeinderat in Sigmaringen reagierten am Montag – man habe am Montag „mit Erschrecken“ Kenntnis von dem Protestzug erhalten. Demokratie müsse zwar unterschiedliche Meinungen aushalten, hieß es in einem Schreiben. „Aber Politiker und ihre Familien sind kein Freiwild und Hetze hat bei uns keinen Platz. Als Fraktionen des Gemeinderats und legitimierte Vertretung der Sigmaringer Bürgerschaft stellen wir uns geschlossen gegen diese Verhaltensweisen.“ Wer vor den privaten Räumlichkeiten eines demokratisch gewählten, politischen Verantwortungsträger aufziehe und damit Druck erzeugen und Schrecken verbreiten wolle, verlasse den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Hat Winfried Kretschmann auf den Vorfall reagiert?

Der Ministerpräsident selbst hat sich am Montag nicht geäußert. Eine Sprecherin sagte aber: „Legitimer Protest endet da, wo Beleidigungen, Aggressionen und Gewalt ins Spiel kommen.“ Das gelte erst recht, wenn der Privatbereich betroffen sei. „Da ist die rote Linie überschritten. Das geht nicht und da wird sich der Staat wehrhaft zeigen.“

Was sagen andere Politikerinnen und Politiker?

In der Pandemie sind Protestierende bereits mehrfach vor Wohnungen von Politikerinnen und Politikern gelangt, haben sie teils heftig angefeindet oder bedroht. Entsprechend scharf haben Politikerinnen und Politiker aus dem Südwesten am Montag die Vorkommnisse in Sigmaringen verurteilt. „Wer unter dem Deckmantel eines Aufzugs durch Städte und Dörfer irrlichtert und vor dem Wohnsitz von Politikern aufmarschieren möchte, überschreitet eine Grenze“, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU). „Das ist Psychoterror. Derartige Einschüchterungsversuche werden wir in Baden-Württemberg keinesfalls dulden.“

Auch die Fraktionsspitzen der Grünen und der CDU im Baden-Württembergischen Landtag sehen in dem Vorfall eine Grenzüberschreitung. „Diese kalkulierte Einschüchterung ist erschreckend und inakzeptabel“, hieß es von den Grünen. Unangemeldete Demonstrationszüge, abgehalten unter dem Tarnbegriff Spaziergänge, seien „strategische Selbstverharmlosung“. CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sagte: „Es ist okay, wenn Menschen in unserem Land gegen die Corona-Politik der Regierung demonstrieren. Das unterscheidet uns von vielen anderen Staaten auf der Welt.“ Jedes Recht habe aber auch seine Grenzen, jede Freiheit ihre rote Linie – mit dem Versuch, vor das Haus des Ministerpräsidenten vorzudringen, hätten einige Demonstranten das überschritten, so Hagel.

Gibt es auch Reaktionen aus der politischen Opposition?

Der Vorsitzende der SPD im Stuttgarter Landtag verurteilte das Ereignis am Montag ebenfalls: „Vor dem Privathaus des Ministerpräsidenten zu demonstrieren geht gar nicht“, sagte Andreas Stoch. Dabei gehe es nicht darum, seine Meinung kundzutun, sondern um reines Machtgehabe und den Versuch von Einschüchterung. „Wer in unserem Land Kritik äußern will, hat vielfache Möglichkeiten dazu. Wer andere belagern und bedrängen will, geht zu weit und muss in die Schranken gewiesen werden.“