Neben dem Homeoffice auch noch Homeschooling oder Kinderbetreuung – Eltern befinden sich derzeit im Dauerstress. Foto: dpa

Mütter und Väter von der Filderebene erzählen von ihrem Spagat zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung in der Corona-Krise. Vor allem die Frauen ächzen unter der Doppelbelastung. Eine Psychologin erklärt, was ihnen helfen kann.

Filder - Die meisten Eltern sind gerade im Notmodus“, sagt Stéphane Lacalmette, „das sind die Rückmeldungen, die wir bekommen“. Er ist Vorsitzender des Gesamtelternbeirats der Kindergärten in Filderstadt.

Dieser Notmodus in der Corona-Krise betrifft auch Stéphane Lacalmette selbst: Er ist gemeinsam mit seiner Frau im Homeoffice, und sie betreuen nebenbei ihre fünf Kinder zu Hause. Er beginnt um 6.30 Uhr mit der Arbeit, solange seine Frau bei den Kindern ist, mittags ist Schichtwechsel. Auch abends muss meist noch Arbeit erledigt werden. „Es funktioniert“, sagt Lacalmette, „aber es ist eine Belastung, die wir noch nie so hatten“. Auch weitere Probleme werden ihm zugetragen: „Viele Eltern haben finanzielle Probleme, mussten freinehmen oder haben Kurzarbeit“, erzählt er, „viele Kinder sind traurig, weil sie ihre Freunde über Wochen nicht sehen dürfen, keine Routine in der Kita oder in der Schule haben“.

Der Sohn ist sehr unausgeglichen, er vermisst seine Freunde

Das erzählt auch Vanessa Lucania aus Leinfelden-Echterdingen. Sie betreut die beiden Kinder alleine zu Hause, ihr Partner ist selbstständig und arbeitet Aufträge ab. „Mein Sohn ist sechseinhalb und soll nach den Sommerferien in die Schule kommen“, erzählt sie. „Er verpasst die Vorschulzeit im Kindergarten, er vermisst seine Freunde und ist sehr unausgeglichen deshalb.“ Auch die kleine Schwester, die fast zwei ist, will betreut sein. Und nebenher soll Lucania auch noch vier Stunden täglich arbeiten – sie ist Sachbearbeiterin in einem Industriebetrieb. „Es geht irgendwie, aber wir sehnen uns nach Normalität“, sagt sie.

Die Einschnitte, die die Menschen wegen der Corona-Pandemie hinnehmen müssen, versteht die Mutter. „Aber man wird alleingelassen“, findet sie. Sie hofft darauf, dass die Vorschulkinder nach den Pfingstferien wieder in den Kindergarten gehen dürfen. „Sonst fehlt die komplette Vorbereitung auf die Schule – und auch für die anderen Schüler klaffen doch dann viel zu große Wissenslücken.“

Die Tage seien jetzt doppelt so lang

„Mit viel Nervenverlust, so klappen die Tage“, beschreibt auch Nadine Redlich aus Filderstadt den neuen Alltag zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung, ihre Kinder sind zwei und sechs Jahre alt. Ihr Partner geht normal arbeiten, da bei ihm Homeoffice nicht möglich sei. „Mein Tag ist jetzt doppelt so lang“, sagt Nadine Redlich, „denn die meiste Arbeit kann ich erst abends erledigen, wenn die Kinder im Bett sind“. Als Vorsitzende des Grundschulelternbeirats findet sie die Entscheidung gut, nicht alle Kinder gleichzeitig in die Schule zu schicken. „Die Digitalisierung bei den Grundschulen hinkt leider noch sehr hinterher“, erklärt Redlich. „Wenig passiert über Videotelefonie wie Skype oder Zoom, einmal in der Woche kommt eben eine E-Mail von der Lehrerin.“

Sicher seien die Maßnahmen, um die Corona-Pandemie einzudämmen, sinnvoll. „Aber auf Dauer ist das einfach nicht zu leisten“, sagt Nadine Redlich. Besonders schwierig sei auch, dass momentan noch nicht abzusehen sei, wie lange der Ausnahmezustand andauern wird.

Dass dieses offene Ende der Krise belastend für die Psyche sein kann, bestätigt die Filderstädter Psychologin Sarah Seidl. „Wir befinden uns alle in einer absoluten Ausnahmesituation, eine Blaupause gibt es nicht, Erfahrungswerte gibt es nicht, wir können nur von Tag zu Tag sehen, wie es klappen kann.“

An bestehenden Ritualen unbedingt festhalten

Seidl kümmert sich neben ihrer Arbeit mit ihrem Mann um die drei Kinder. „Was wir nicht machen sollten, ist, uns in Konkurrenz mit anderen zu sehen“, sagt sie. „Wir müssen jeden Tag so viele Rollen annehmen: Lehrer, Erzieher, Spielpartner, Arbeitnehmer – jeder Tag, der geschafft ist, ist ein guter Tag.“ Seidl rät, an bestehenden Strukturen festzuhalten, an den gemeinsamen Mahlzeiten, den Schlafritualen. „Auch für die Kinder ist es eine Ausnahmesituation“, sagt sie. „Sie müssen auf ihre sozialen Kontakte und Rituale verzichten, das ist nicht einfach.“

Was Seidl ebenfalls beobachtet: „Die Corona-Krise legt die Gesellschaft unter eine Lupe, und das vorhandene Ungleichgewicht wird noch deutlicher.“ In vielen Fällen seien es die Mütter, die sich um Arbeit und Kinder gleichzeitig kümmern. „Familie heißt aber nicht, dass Mama alles schmeißt“, sagt Seidl. „Es geht um das gemeinsame Leben, die Kinder, da müssen alle an einem Strang ziehen.“ Sie rät, offen zu besprechen, wie man sich am besten aufteilen könne. „Normalerweise ist man wenig experimentierfreudig in Krisen, verlässt sich auf das, was man kennt, aber jetzt gerade braucht man neue Ideen in der Familie.“

Müttern, die nicht wissen, wie lange sie noch durchhalten können, rät Sarah Seidl zu mehr Selbstfürsorge: „Am besten mit dem Partner feste Zeiten ausmachen, in denen Mama frei hat: keine Arbeit, keine Kinder, kein Haushalt. Und sich dann überlegen: Was tut mir gut?“ Egal, ob das ein Telefonat mit der Freundin oder Zeitunglesen bei einer Tasse Tee sei.

Die Perspektive von Eltern fehle auf vielen Ebenen

Der Filderstädter Gleichstellungsbeauftragten Susanne Omran ist bei den aktuellen Debatten aufgefallen, wie oft die Mehrfachbelastung von den Frauen getragen wird. „Wo mir die Debatte aber auch verkürzt vorkommt, ist die Tatsache, dass erst jetzt klar wird, wie wichtig die pädagogische Arbeit der Erzieher und Lehrer in Kitas und Schulen ist“, sagt sie. „Die Kinder sind ganzheitlich derzeit nicht versorgt: Wie sie in Kitas und Schulen gefördert und gefordert werden, welch soziales Miteinander das ist – das kann man nicht zu Hause nebenher leisten.“ Dass die Notfallbetreuung ausgebaut werden soll, „wird nicht reichen. Man merkt, dass auf vielen Entscheidungsebenen die Perspektiven von Eltern fehlen“.

Das kritisiert auch der Vater Stéphane Lacalmette: „Ich möchte, dass ein Dialog entsteht“, sagt er. Den habe man zwar mit der Filderstädter Stadtverwaltung, aber: „Die Eltern sind nach wie vor nicht im Boot, was die Landes- und Bundesebene angeht. Wir wollen, dass wir berücksichtigt werden.“ Es könne nicht sein, dass Experten, die die Probleme von Eltern mit Kindern nicht nachvollziehen könnten, wichtige Entscheidungen träfen. „Wir brauchen Vielfalt am Tisch, wir brauchen kreative Lösungen.“