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Um die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus in den Griff zu bekommen, muss das Land die Bewegungsfreiheit einschränken. Nach den Schulen, Kitas und Grenzen sollen nun auch Geschäfte und Spielplätze dicht machen.

Stuttgart - (dpa/lsw) Baden-Württemberg schottet sich im Kampf gegen das Coronavirus weiter ab und schickt sich zunehmend selbst in Quarantäne. Neben den Schulen und Kindergärten wurden am Montag die Grenzen weitgehend geschlossen, die Flughäfen sind bald dicht und Justiz, Politik und gesellschaftliches Leben werden auf das Nötigste reduziert. Alles mit einem einzigen Ziel: die Regierung will Zeit gewinnen und den schneller werdenden Anstieg der Infektionen mit dem ansteckenden Virus so gut es geht in den Griff bekommen, um das Gesundheitssystem zu entlasten.

Restaurants müssen zudem spätestens um 18.00 Uhr schließen und dürfen frühestens um 6.00 Uhr öffnen, es soll keine Übernachtungsangebote für Touristen mehr geben, bis auf weiteres werden auch Gottesdienste, Treffen in Vereinen und Busreisen verboten und Spielplätze geschlossen. Das geht aus einem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden Beschluss der Bundesregierung und der Regierungschefs der Länder vom Montag hervor, der daher auch für Baden-Württemberg gültig wäre.

Nicht notwendige Veranstaltungen absagen

Wie das Staatsministerium mitteilte müssen im Fall von Infektionen für einen Zeitraum von einem Monat mögliche Kontaktpersonen nachverfolgbar bleiben. Darüber hinaus gelte die dringende Empfehlung, alle nicht notwendigen Veranstaltungen abzusagen - auch etwa Familienfeiern mit weniger als 100 Gästen.

Am Montagmorgen wurden die Kontrollen an den Grenzen zu Frankreich und zur Schweiz verschärft, außerdem sollen die Flughäfen bis auf weiteres schließen, um das Tempo der Ansteckungen von außen so gut es geht zu bremsen. Reisende aus dem Ausland würden aber noch zurückgeholt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Montag aus Regierungskreisen in Stuttgart. Wer aus einer Krisenregion komme, müsse in Quarantäne. Der Beschluss soll im Lauf der Woche in Kraft treten.

Baden-Württemberg ist neben Nordrhein-Westfalen und Bayern das am stärksten von der Ausbreitung des Coronavirus betroffene Bundesland. Bis zum Sonntag waren in Baden-Württemberg bei den dortigen Behörden 977 Infektionen bestätigt. Drei infizierte Menschen sind bisher gestorben.

In Bayern gelten seit Montag noch schärfere Einschränkungen als in Baden-Württemberg: Der Freistaat rief den Katastrophenfall aus, um schnelle Entscheidungen treffen zu können. Außerdem wurde zum Schutz der Wirtschaft vor den nicht ansatzweise absehbaren Folgen der Coronakrise ein Hilfspaket in Höhe von zehn Milliarden Euro bereitgestellt.

Grenzen geschlossen

Vollständig geschlossen sind die Grenzen zur Schweiz und nach Frankreich aber noch nicht: Im südbadischen Weil am Rhein führten zum Teil mit Atemmasken ausgestattete Kontrolleure unter anderem Befragungen durch und schickten zahlreiche aus der Schweiz kommende Autos zurück in das Nachbarland. Bei Hinweisen auf eine Infektion oder auf Kontakt zu Infizierten können sie dies tun, außerdem müssen die Fahrer einen guten Grund für die Einreise vorweisen können. Berufspendler und Fahrzeuge des Warenverkehrs dürfen die Grenzen weiterhin überqueren. Die an Baden-Württemberg grenzende französische Region Grand Est (Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne) gilt als Risikogebiet.

Für die Schulen und Kindergärten sprach Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kurz vor der landesweiten wochenlangen Zwangsschließung der Einrichtungen von einer absoluten Notsituation. „Das gab’s so noch nie. Auf so was kann man sich auch nicht allumfassend vorbereiten.“ Jeder müsse seinen Teil beitragen.

Sie setzt in der Zeit ohne Unterricht und Betreuung auch auf digitale Lernangebote. Sie vertraue darauf, dass von den Schulen Übungen digital an die Schüler weitergegeben würden, sagte Eisenmann am Montagmorgen im Radioprogramm SWR Aktuell. „Und wenn es irgendwie gar nicht funktioniert, greifen wir vielleicht auch einfach auf die gute, alte Post zurück.“

Bis auf wenige bereits geschlossene Einrichtungen wurde am Montag landesweit zum vorerst letzten Mal in den Schulen unterrichtet und in den Kindergärten betreut. Kinder und Jugendliche sollten nach Angaben des Kultusministeriums Hausaufgaben und wichtige Informationen abholen können. Trotz einer häufig eingerichteten Notbetreuung dürfte die Zwangspause vor allem viele berufstätige Eltern vor Probleme stellen.

Auch die Justiz schränkt ihren Alltag ein

Von den Schul- und Kita-Schließungen könnten bis zu 1,6 Millionen Familien und Alleinerziehende mit Kindern betroffen sein. Trotzdem verteidigte die Landesregierung sie als einzig richtige Maßnahme. Auch andere Bundesländer hatten zuvor angekündigt, landesweit alle Schulen und Kindertagesstätten bis Ostern zu schließen.

Auch die Justiz schränkt ihren Alltag in den Gerichten und Gefängnissen so weit wie möglich ein. Häftlinge dürfen bis auf Weiteres nicht mehr besucht werden, es werden nur noch wichtige Prozesse verhandelt und die meisten Angestellten und Beamten nach Hause geschickt, wie Justizminister Guido Wolf (CDU) ankündigte. „Es muss sich niemand Sorgen machen. Der Rechtsstaat funktioniert auch in der Krise“, versicherte der Minister.

Geschlossen werden auch die sämtliche Schlösser, Klöster und Burgen sowie die Spielhallen und Wettbüros in Stuttgart. Der landesweit größte Krankenhausbetrieb, das Klinikum Stuttgart, hat wegen des Coronavirus alle Operationen abgesagt, die geplant und auch verschoben werden können. Die Notfallversorgung zum Beispiel nach Unfällen oder bei akuten Schlaganfällen werde selbstverständlich fortgesetzt, sagte ein Kliniksprecher. Ziel sei es, durch die Absage von Operationen Kontakte zu reduzieren. Außerdem würden Patienten und Mitarbeiter geschützt sowie vorsorglich Ressourcen für die Behandlung von infizierten Menschen geschaffen.

Dagegen setzten die Fachkliniken Hohenurach (Kreis Reutlingen) die Evakuierung eines Teils der Gebäude am Montag fort, nachdem am Freitagabend zwei Corona-Fälle an der Bad Uracher Klinik bekannt geworden waren. Infiziert hatten sich ein Patient und ein Arzt. „Für uns steht Sicherheit an erster Stelle“, sagte Sprecher Clemens Frankenberger. Seit dem vergangenen Samstag seien daher rund 450 Patienten in häusliche Quarantäne entlassen worden. Die Fachkliniken sind spezialisiert auf Akutmedizin und Rehabilitation. Sie verfügen über 555 Betten und 600 Mitarbeiter.