In Testlaboren werden auch am Wochenende PCR-Testergebnisse verarbeitet, im Landesgesundheitsamt nicht mehr. Foto: dpa/Uwe Anspach

Nach einem Wochenende ohne Coronameldungen aus Baden-Württemberg sinkt die Inzidenz nur scheinbar. Die Umstellung habe nichts mit dem Ärger über die Coronapolitik des Bundes zu tun, beteuert das Sozialministerium.

Am Wochenende wurde in quasi allen Nachrichtenmedien eine bundesweit leicht gesunkene Coronainzidenz berichtet. Tatsächlich ging die Zahl gemeldeten Infektionen aber vor allem zurück, weil Baden-Württemberg erstmals am Wochenende keine Daten mehr ans Robert-Koch-Institut (RKI) übermittelt hat. Hätte das Land ähnlich viele Infektionen gemeldet wie am Wochenende davor, wäre die bundesweite Inzidenz nicht gesunken, wie Berechnungen unserer Zeitung ergeben.

Durch die Umstellung ist die Inzidenzkurve fürs Land regelrecht abgestürzt – eine reine Folge der umgestellten Meldeweise. Die Inzidenz bezieht sich auf die Infektionszahlen der zurückliegenden sieben Tage. Wenn an zwei der sieben Tage null Infektionen übermittelt werden, fällt automatisch die Inzidenz.

Das Sozialministerium hatte den Schritt vergangenen Mittwoch per Pressemitteilung angekündigt. Mit dem Ende des Stufensystems haben die vom Landesgesundheitsamt gemeldeten Daten keine unmittelbaren Auswirkungen mehr auf das geltende Regelwerk, hieß es zur Begründung. Deshalb habe das Land „auf die im Infektionsschutzgesetz festgelegten Meldefristen umgestellt“ und übermittelt an Wochenenden und Feiertagen keine Zahlen mehr. Mit dem Ärger der Landesregierung über die Schwierigkeiten, einschränkende Regeln zu erlassen, habe der Schritt nichts zu tun, sagte ein Sprecher von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) auf Nachfrage.

Alle anderen fahren Sonderschichten

Trotz ähnlicher Rechtslage fahren außer in Brandenburg und nun eben Baden-Württemberg die Gesundheitsbehörden wie auch die Testlabore am Wochenende Sonderschichten und melden aktuelle Infektionszahlen. Weil vermutlich nicht alle Labormeldungen vom Wochenende am Montag abgearbeitet werden können, ist die kommenden Tage für Baden-Württemberg, aber auch bundesweit, mit zusätzlichen Verzerrungen bei der ohnehin schon lückenhaften Datenlage zu rechnen.

Eine Sprecherin der Gesundheitsministerkonferenz erklärt, Meldungen müssten „spätestens zum darauffolgenden Arbeitstag“ erfolgen. Dass das regelmäßig nicht gelingt, zeigen die vielen Nachmeldungen. Durch sie erhöhte sich die Inzidenz nachträglich um knapp 10 Prozent pro Tag. Vergangenen Montag beispielsweise waren bundesweit 1733 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner gemeldet worden, inklusive Rückmeldungen lag der Wert bei 1900. Baden-Württembergs Ausstieg aus den Meldungen an Wochenenden und Feiertagen verstärkt diesen Effekt diese Woche.

„Gesetzlich nicht verpflichtend“

Sollte so eine Umstellung nicht möglichst gemeinschaftlich stattfinden, möglichst aber nicht mitten in der aktuell noch rollenden sechsten Infektionswelle? Die Übermittlung von Daten am Wochenende sei „gesetzlich nicht verpflichtend“, heißt es in dem vom Robert-Koch-Institut betriebenen Coronadaten-Dashboard im Internet. Mit dem Auslaufen inzidenzabhängiger regeln übermittelten außerdem „zunehmend weniger Gesundheitsämter an den Wochenenden“.

Dass ein ganzes Bundesland die Meldungen am Wochenende aussetzt, ist zumindest bis jetzt außergewöhnlich. Zwar erklärt eine Sprecherin der Gesundheitsministerkonferenz, dieses Thema stehe derzeit „nicht auf der Tagesordnung“. Dennoch liegt die Vermutung liegt nahe, dass weitere Länder nachziehen.

Man habe die anderen Landesregierungen sowie das RKI vorab informiert, so ein Sprecher des baden-württembergischen Sozialministeriums. Ein abgestimmtes Vorgehen sei aber „ausdrücklich nicht erforderlich“. Wenn in den kommenden Wochen andere große Flächenländer womöglich über mehrere Wochen verteilt dem baden-württembergischen Vorbild folgen, ist die Inzidenz als Pandemiemaß vollends unbrauchbar.