Cornelius Straub bei seinem bisher letzten Besuch in der Mercedes-Benz-Arena Foto: Straub

Er hat Fritz Szepan, Ernst Kuzorra und Robert Schlienz in natura Fußball spielen sehen. Seit Jahrzehnten hält Cornelius Straub (89) dem VfB die Treue. Erstmals war er Mitte der 30er Jahre bei einem Spiel des Clubs.

Göppingen/Stuttgart - Wer seit fast sieben Jahrzehnten verheiratet ist, der braucht nicht viele Worte. Und der kann auch füreinander schwätzen. Sind Sie ein großer VfB-Fan, Herr Straub? „Haja“, wirft Frau Helga (88) ein. Damit ist alles gesagt. Nun gut, fast alles. Ein bisschen was gibt es natürlich schon zu erzählen aus mehr als 80 Jahren des Leidens, Freuens und Mitfieberns.

Extra für den Besuch hat Cornelius Straub (89) sein Gedächtnis durchforstet und notiert, was er so erlebt hat mit seinem VfB. Angefangen hat alles in den 30er Jahren. Straubs Vater Karl Völker hat bei Wormatia Worms gekickt, ein „fantastischer und leidenschaftlicher Fußballer“, so Straub. Doch vom Sport habe man ja damals nicht leben können, sagt Straub. So zog es Völker mit der Familie Anfang der 30er Jahre nach Esslingen. Als man ihm nach einer Meniskusverletzung „das ganze Knie aufschnitt“, war Schluss mit dem Kicken.

Damals kostete das Ticket zwei Mark

Doch nicht mit dem Fußball. Vater und Sohn pilgerten regelmäßig zum VfB. In die Adolf-Hitler-Kampfbahn, wie das Stadion damals hieß. Lange vor dem Anpfiff war man am Kartenhäusle und zückte die zwei Mark für das Ticket. „Das waren alles Stehplätze. Wenn man was sehen wollte, musste man früh da sein“, erinnert sich Straub. Und natürlich wollte er seine Idole sehen, Otto Bökle und Erwin Haaga etwa, die 1935 den VfB ins Finale um die Deutsche Meisterschaft führten. In Köln verloren die Schwaben gegen Schalke 04 mit 4:6. „Das war eine tolle Mannschaft“, sagt Straub über die Schalker, „die haben nur Flachpässe gespielt, das kannte man damals nicht.“ Schalker Kreisel nannte man die Art und Weise, wie Fritz Szepan, Ernst Kuzorra und Kollegen sich den Ball zupassten, der Urahn des Tikitaka des FC Barcelona.

Die Schalker spielten 1936 in Stuttgart

1936 traten die Schalker zum Pokalspiel in Stuttgart an. Straub war dabei.Ein Erlebnis, auch wenn es ein schnödes 0:0 war. Szepan und Kuzorra, tolle Spieler, klar, aber die allerbesten waren halt doch die „Vollblutfußballer Barufka und Schlienz“. Besonders Robert Schlienz hatte es ihm angetan. Der größte Fußballer, den der VfB je hatte. Über den der geniale Alfredo di Stefano nach einem Spiel sagte: „Der beste Mann auf dem Platz war der Einarmige. Was ich von dem gesehen habe, war für mich unvorstellbar.“ An die Tragödie um Schlienz’ Unfall kann sich Straub noch gut erinnern. „Was hängt der Kerle bloß den Arm raus“, habe er damals gedacht, als die Kunde die Runde machte, Schlienz sei mit dem Auto verunglückt. 1948 war das. Bei großer Hitze hatte Schlienz während der Fahrt den Arm aus dem Fenster gehalten, der Wagen überschlug sich, die Ärzte mussten den linken Arm abnehmen. „Das war ein Schlag“, sagt Straub, „aber er hat sich nicht unterkriegen lassen.“

Schlienz führte den VfB zu zwei Meisterschaften und zwei Pokalsiegen. Im Stadion war Straub da nur noch selten. 1945 musste er zur Wehrmacht, kam in amerikanische Gefangenschaft. Hernach machte er seinen Parkettlegemeister, heiratete, „dann ist man nicht mehr so fortgekommen“. Zudem zog er gen Göppingen. Aber er fieberte weiter mit. Am Radio hörte er 1950, wie der VfB in Berlin Kickers Offenbach mit 2:1 schlug und Deutscher Meister wurde. Die Meistermannschaft von 1952 hat Straub noch parat: „Bögelein im Tor, Barufka, Schlienz, Steimle, Baitinger, Krauß, Kronenbitter, Wehrle, Krieger, Blessing, und der Retter, der hat ja eine Tankstelle gehabt.“

Der Zwischenstand auf Zuruf

Getankt hat Straub dort nie. Mangels Wagen. Man fuhr mit dem Zug ins Geschäft. So auch am 30. Juni 1954, als Deutschland im WM-Halbfinale gegen Österreich spielte. Auf dem Heimweg von Stuttgart stand Straub auf der Plattform. „An den Bahnhöfen haben wir runtergerufen: Wie steht’s?“ In Untertürkheim lautete die Antwort: „2:0!“ In Esslingen stand es 3:0, in Plochingen 4:0 und in Göppingen 6:1, der Endstand.

Heute hat man es da einfacher. Straub hat ein Abo für den Bezahlsender Sky, der jedes VfB-Spiel überträgt. Der Fernsehsessel ist allemal bequemer als die Hartschale im Stadion. Vor vier Jahren allerdings war er nochmals in der Mercedes-Benz-Arena. Ein Herzenswunsch war es gewesen, „einmal noch den VfB im Stadion zu sehen“. Seine Enkel Mark und Michael erfüllten ihn. 2013 gegen Gladbach nahmen sie ihn mit. „Das sah schon anders aus ohne Aschenbahn“, sagt Straub. 2:0 gewann der VfB.

So ein Ergebnis wäre ihm recht für den Sonntag in Hannover. „Der Terodde macht das, der VfB steigt auf.“ Wird er gucken? Blöde Frage. Frau Helga sagt nur: „Haja!“