Der ehemalige KSC-Spieler bleib lange unter dem Radar – Mit 28 Jahren ist er in der Nationalmannschaft angekommen. Foto: Bongarts

Er kommt aus der Jugend vom KSC und ist auch heute noch Fan. Als Spätberufener begeistert der unangepasste Angreifer Lars Stindl beim Confed-Cup nicht nur Bundestrainer Jogi Löw.

Kasan - Wenn Joachim Löw heute seinen WM-Kader für 2018 zusammenstellen müsste, hätte plötzlich und unerwartet ein Mann gute Chancen, an dem die Nationalmannschaftskarriere schon ohne Halt vorbeigezogen zu sein schien. Lars Stindl ist bereits 28 Jahre alt und hat gerade viermal für Deutschland gespielt. Alle vier Partien fanden in den vergangenen zweieinhalb Wochen statt. Der Spätberufene hat seine Sache jeweils gut, bisweilen sogar sehr gut gemacht. Bei dem Offensivmann von Borussia Mönchengladbach paart sich Spielintelligenz mit Technik auf einem Niveau, das die Erwartungen des anspruchsvollen Bundestrainers erfüllt. Entsprechend zufrieden äußert sich der vielfach Belobigte: „Ich kann nicht meckern momentan“, sagte er nach dem 1:1 gegen Chile beim Confed-Cup, bei dem er nun nach zwei Spielen bereits zwei Tore auf dem Konto hat.

Stindl bezeichnet sich selbst als Verbindungsspieler, er liefert den Klebstoff zwischen Mittelfeld und Angriff, er ist am liebsten in den kleinen Zwischenräumen unterwegs, die für die gegnerischen Abwehrspieler zu weit vorn und für die defensiven Mittelfeldspieler zu weit hinten sind. In genau diesem Niemandsland findet nur ein schlauer Spieler Platz. Lars Stindl ist so ein oberschlauer Spieler. Und weil er seinen Job qua Stellenprofil möglichst heimlich verrichten muss, bleibt er oft Jahre unerkannt. Er findet adäquate Lösungen unter Termindruck, und er schießt Tore. Er kann genau jene Aufgaben lösen, die Löw einem gesunden Mario Götze zutraut.

Stindl lernte früh das Fan-Dasein

Während Götze schon als 17-Jähriger internationale Lobgesänge erfahren hat und als WM-Finaltorschütze Heldenverehrung erlebte, flog Geheimagent Stindl fast ein ganzes Fußballerleben unter dem großen Radar durch. Als Fan des KSC jubelte er einst Thomas Häßler zu, fünf mehr als solide Jahre bei Hannover 96 brachten ihm dann einen Vertrag bei Borussia Mönchengladbach, wo er zum stillen Anführer wurde. Eines aber ist Stindl auch in Zeiten sportlicher Höhenflüge stets geblieben: ein einfacher Fan.

So durchforstet die neue Hoffnung von Joachim Löw das Internet nach wie vor nach Videos von Fangesängen. Er interessiert sich auch brennend dafür, wie viele Fans auf Auswärtsfahrten in der Liga so mitreisen. Als er mit Hannover 2011 im Europapokal spielte, begeisterte er sich für den berühmten „Europapokaaaaal“-Fangesang. In einer Textstelle heißt es: „In Kopenhagen schellt das Telefon. “Im Interview mit der Zeitschrift „11 Freunde“ erinnerte sich Stindl später: „Dann spielten wir ausgerechnet in Kopenhagen, ich erzielte das Siegtor. Wir waren damit weiter, mir kam diese Textzeile in den Sinn. Ich lief also zum Fanblock und imitierte einen Telefonanruf. Das war schon ein geiles Gefühl.“

Das Dasein als Fan lernte Stindl quasi von der Pike auf – von frühester Kindheit an. „Wir unternahmen immer Ausflüge mit der gesamten Familie zum KSC: Opa, Papa, Onkel, mein Cousin, ich. Nach den Spielen habe ich dann alle auf dem Bolzplatz nachgeahmt. Die Trikots mit Häßler hinten drauf habe ich bis heute“, sagt er.

Der ehemalige Karlsruher ist ein unangepasster Profi

Bewahrt hat sich Stindl auch seine Haltung als Fan – und als solcher sieht er vor allem die Entwicklungen des modernen Fußballgeschäfts kritisch. „Alle schreien nach neuen Reformen, sei es gerade bei der Champions League oder auch, was das Spiel selbst betrifft. Aber lasst den Fußball doch so, wie er ist“, sagt er zum Beispiel. Auch zu Emporkömmlingen wie RB Leipzig hat Stindl eine klare Meinung.

„Wenn sich ein Investor zu Werbezwecken einen Verein strategisch raussucht, ohne regionalen Bezug, nur um ihn nach oben zu bringen, dann finde ich das schon fragwürdig“, meinte er – und brach später eine Lanze für die Ultras, die viele Experten und Verantwortliche oft zuallererst mit Gewalt in Verbindung bringen. „Ich verurteile auch jede Form von Gewalt“, sagte Stindl. „Doch Ultras stehen für mich unter anderem für die Eingliederung von Fans: Sie organisieren die Busfahrten, Spendenaktionen, Veranstaltungen. Sie schaffen ein Gemeinschaftsgefühl. Diese soziale Komponente sollte man wertschätzen.“

Lars Stindl also ist außerhalb des grünen Rasens ein ziemlich unangepasster Fußballprofi – auf dem Platz dagegen, besitzt er die Gabe, sich jeder größeren Aufgabe anpassen zu können. Genau das wollte Löw nun beim Confed-Cup testen. Mit Stindl als Mann zwischen den Linien sieht eine Mannschaft besser aus. Löw bezeichnet ihn als „raffinierten Spieler mit unglaublicher Spielintelligenz und guter Orientierung im Raum, der fast alle Bälle behauptet“. Klingt fast so, als hätte sogar der Fachmann Lars Stindl über Jahre hinweg unterschätzt.