Die Stuttgarter Kickers im 3D-Vereinsgelände. Screenshot: privat

Fast 15 Jahre haben die Fans der Fußballsimulation Anstoss warten müssen. Jetzt gibt es vom legendären Erfinder der Reihe, Gerald Köhler, eine Art Fortsetzung: We Are Football. Kann das neue Spiel mithalten?

Stuttgart - Der VfB Stuttgart führt im Finale der Champions League gegen den FC Barcelona mit 1:0, nur noch wenige Minuten sind zu spielen – doch da dribbelt sich Lionel Messi vor das Tor, spielt einen genialen Pass – und Barca macht den Ausgleich. Diese Szene ist natürlich nicht die Realität, sondern findet in der Fußball-Managersimulation „We Are Football“ statt, in der man jeden beliebigen Verein weltweit trainieren und zu höchstem Ruhm führen kann.

Das Spiel ist mit dem Start der EM am 10. Juni herausgekommen – und findet seither regen Anklang in der großen Fanszene vor allem im deutschsprachigen Raum. Es gibt Facebook-Gruppen, Discord-Server und Livestreams mit dem Entwickler Gerald Köhler, der Änderungswünsche dort aufnimmt und schnell umsetzt. Es ist ein wenig so, als hätte man lange, sehr lange auf ein solches Spiel gewartet.

Denn Gerald Köhler ist der wohl bekannteste PC-Spieleentwickler der 90er-Jahre in Deutschland. Als er 1992 die Fußballsimulation „Anstoss“ auf den Markt brachte, setzte ein reisiger Hype ein. Die Idee war damals so einfach wie sie es heute ist: Man wählt sich einen Wunschverein, von Bayern München bis zum FC Chelsea, ist sozusagen Manager und Trainer in einer Person: Spieler verpflichten und verkaufen, den Kader zusammen stellen, das Training perfekt auf die Strategie abstimmen, unzufriedene Spieler trösten – und dann die Aufstellung für den Spieltag festlegen. Langfristig kann man das Vereinsgelände und Stadion ausbauen oder sich im Jahr 2032 selbst ein Denkmal errichten.

Das Prinzip von Fußball-Managerspielen

Dieses Prinzip feierte große Verkaufserfolge, das bekannteste und stilprägende Computerspiel war Anstoss 3 im Jahr 2000. Besonderes Markenzeichen war vor allem der Humor – da bekam ein Vereinsveteran schon mal einen hysterischen Anfall, wenn in der 92. Minute der Ausgleich fiel. 2007 wurde Anstoss eingestellt, Gerald Köhler wechselte zur US-Sportspielschmiede Eletronic Arts (EA), die den Fußball Manager herausbrachten – eine weiter entwickelte Version, in der man das Fußballspiel dann auch als 3D-Animation anschauen konnte. Doch auch diese Reihe wurde 2014 aufgegeben.

Seither ist die Fanszene weitgehend heimatlos. Ein Teil nutzt den Karrieremodus der Fußballsimulation Fifa, in diesem Spielmodus gibt es einige Features wie den Transfermarkt und die Kaderentwicklung oder Training in abgespeckter Variante. Auch hier ist die Fanszene groß und gewachsen. Andere haben den Fußball Manager als Fanprojekt einfach weiter entwickelt und stets auf die aktuellen Saisons angepasst, wie die Website von FM-Zocker.

Einen Vergleich von We Are Football, Fifa-Karrieremodus und Fußball Manager finden Sie hier.

Doch jetzt gibt es eben We Are Football, Gerald Köhler hat mit einigen Programmierern von damals dazu extra eine eigene Firma gegründet. Seit dem Relase am 10. Juni explodieren die Fanforen, Youtube-Kanäle und Twitch-Livestreams geradezu mit Reaktionen und Diskussionen. Es gibt viel Kritik an den beim Start solcher komplexen Simulationen üblichen Bugs, aber es überwiegt die Freude über den neuen Manager.

Selbst bekannte Youtuber wie Chris Lechleitner aus der Nähe von Sinsheim, der mit dem Fifa-Karrieremodus bald 50 000 Fans auf Youtube hat, ist begeistert – und hat es selbst schon gespielt und darüber gestreamt. „We Are Football zeigt, wie Fußball-Manager richtig geht“, sagt er, „ein rundum gelungenes Spiel, absolute Empfehlung von mir.“

Wie spielt es sich also, We are Football? Zum Test haben wir selbst eine Karriere gestartet – mit dem VfR Aalen in der Regionalliga. Einem Club, der schon mal in der zweiten Liga war und zurück zu neuen Größen geführt werden soll.

Grafik und Menüführung

Im Vergleich zum letzten Anstoss-Spiel von 2006 ist die Grafik deutlich modernisiert, bunte Menüs wecken das Gefühl vom Fußballplatz, das Büro ist mit einem kleinen Bild animiert. Generell spart das Spiel an opulenter Optik und 3D-Spielszenen – das könnte später noch dazu kommen. Es konzentriert sich alles auf die Mannschaft, den Kader, das Vereinsumfeld – die Menüs sind ansprechend gestaltet.

Das Herzstück und die größte Stärke ist auf jeden Fall das Vereinsgelände – das man wie einst bei Anstoss 3 im Simcity-Stil selbst behauen und gestalten kann. Da prangt das Vereinslogo – in dem Fall der VfR Aalen – an einem Fahnenmast, die Trainingsplätze liegen in der Sonne (oder auch im Schnee, das Wetter wechselt), das Fitnessstudio dämmert im Hintergrund – hier kann man eine ganze Fußballstadt errichten, ausreichend Geld vorausgesetzt. Auch das Stadion kann bis auf 150 000 Plätze ausgebaut werden.

Dazu noch das Vereinsmuseum, durch das man dreidimensional spazieren kann – und die Trophäen vergangener Titel bewundern. Beim VfB Stuttgart etwa die Meisterschaften 1992 und 2007. Bei den Bayern muss man hingegen schon anbauen im Museum.

Gameplay und Management

Der Kern des Spiels ist aber die Mannschaft – Jugendspieler können entwickelt und hochgezogen werden, neue Spiele verpflichtet und alte verkauft werden. Dazu haben die Fangruppe von FM-Zocker schon wenige Stunden nach dem Release eine riesige Datenbank mit inzwischen 1700 Vereinen weltweit herausgebracht, die sich ins Spiel integrieren lässt. So kann man auch die vierte englische Liga, den Wettbewerb auf Island oder in Südkorea spielen.

Das Spiel glänzt vor allem durch enorme Tiefe und Detailversessenheit. Die Statistiken liefern zu fast jedem Detail auch rückblickend Unmengen an Daten, vom besten Torschütze der Vereinshistorie bis zur Ewigen Bundesliga-Tabelle. Der Mitarbeiterstab des Vereins kann aufgestockt und verbessert werden, Fans betreut, der Börsengang vorbereitet und das Stadionumfeld ausgebaut werden.

Vor allem geht die Saison auch schnell voran – in zwei Stunden kann man, wenn man sich beeilt, eine Spielzeit beenden, so das Credo von Spielentwickler Gerald Köhler. Das dauert in den anderen Fußballspielen deutlich länger.

Schwachpunkte und Verbesserungspotenzial

Woran fehlt es dem neuen Managerspiel (noch)? Das größte Manko ist sicherlich: Man sieht seine Mannschaft nie im Stadion spielen. Zwar kann man durch das leere Stadion marschieren im 3D-Modus, aber es gibt keine Spielatmosphäre, kein Torjubel vom Topstürmer Nicolas Gonzalez beim VfB Stuttgart. Stattdessen wird eine Art zweidimensionaler Liveticker angeboten – die Spielergesichter wandern übers Spielfeld, der Ball fliegt mit weißen und roten Linien zum Tor. Das ist dem kleinen Entwickler-Team und schmalen geschuldet – man konzentriert sich auf das Wesentliche.

Zu Beginn hatte das Game auch eine Reihe von Logikfehlern – wie horrenden Handgelder, wenn man Jugendspieler verpflichten wollte. Viele sind behoben, manchmal ist die Menüführung noch etwas umständlich – so kann man den Wochenablauf nicht unterbrechen oder hat keine gute Kalenderübersicht über kommende Spiele. Doch das Entwicklerteam von Gerald Köhler ist im ständigen Dialog mit den Fans, erst kürzlich kam Gerald Köhler zu einem Livestream mit dem Youtuber Writing Bull – und hat dort zahlreiche Wünsche aufgenommen. Das Spiel entwickelt sich, dreidimensionale Spielszenen, eine private Managervilla und verbesserte Statistiken sind schon angekündigt.

Fazit: Lohnt sich das Spiel im Vergleich zur Konkurrenz?

We Are Football bietet vieles, was die Fans von Anstoss und Fußball Manager jahrelang vermisst haben. Das sieht auch der Youtuber Chris Lechleiter so: „Man hat die zehnfache Zeit für die Vorbereitung der Saison im Vergleich zum Fifa Karrieremodus. So muss das auch sein, man kann die Spiele nur bedingt vergleichen.“ Während der Fifa-Karrieremodus das extrem realistische Stadionerlebnis mit Robert Lewandowski und Lionel Messi im Olympiastadion bietet, kann We Are Football das Managerherz begeistern.

Es ist der Langzeit-Spielspaß, der herausragt: Bei Anstoss haben einige Spieler bis ins Jahr 2158 simuliert. Auch bei We Are Football sind Karrieren über 30 und 40 Jahre und länger möglich, das Vereinsgelände gleicht dann einem Rummelplatz und das Vereinsmuseum platzt vor Trophäen.

Auch die Perspektive auf einen ständigen weiteren Ausbau des Spiels ist reizvoll. Letztlich aber setzen die Fußballsimulations-Spiele andere Schwerpunkte – wer mehr selbst zocken will, ist bei Fifa richtig, wer noch mehr Menüs und Einstellungen wünscht, kann den Fußball Manager von EA in der Fan-Aktualisierung fortsetzen – We Are Football bietet von allem etwas – und macht vor allem richtig Spaß.