Nur nicht erwischen lassen: das Indiegame „Inside“ Foto: Hersteller

Das dänische Indiestudio Playdead hat mit „Inside“ ein verstörendes Kunstwerk geschaffen.

Stuttgart - Der Geschichte, die dieses Spiel erzählt, fehlt der Anfang. Es gibt keine erklärenden Worte, keine einleitende Videosequenz. Unvermittelt finden wir uns wieder im Körper eines vielleicht zehnjährigen Jungen, mitten in einem düsteren Wald. Es regnet. Und wir sind auf der Flucht: vor Männern mit Taschenlampen, Lastwagen und Spürhunden. Warum wissen wir nicht. In die Welt von „Inside“ wird man einfach hineingeworfen.

 

Das Spiel ist der zweite Titel, den das dänische Indiestudio Playdead bisher veröffentlicht hat. Im Jahr 2010 war „Limbo“ erschienen, das bereits ähnlich düster und opak war. Spieler und Kritiker waren damals gleichermaßen begeistert. Sechs Jahre lang arbeiteten die Programmierer an dem Nachfolger. Der Aufwand hat sich gelohnt: Playdead ist erneut ein großer Wurf gelungen.

Man stirbt unzählige Tode

Dabei ist „Inside“, was die Spielmechanik angeht, eher einfach gestrickt: Im Wesentlichen handelt es um eine Mischung aus Geschicklichkeits- und Knobelspiel. Das Ziel ist stets, von links weiter nach rechts zu gelangen, was insofern ein Problem darstellt, als immer wieder neue Hindernisse auftauchen: Mal ist eine Tür verschlossen, dann wieder muss man unbemerkt an den Scheinwerfern vorbeischleichen, die den Boden absuchen, oder eine Maschine clever umprogrammieren. Allzu schwierig sind diese Rätsel nicht, auch wenn man im Verlauf des Spiels unzählige Tode stirbt. Doch jedes Mal erwirbt man dadurch Hinweise darauf, wie es weitergehen könnte. Den Entwicklern ist es auf diese Weise geglückt, ein Spielerlebnis zu kreieren, das nahezu perfekt die Balance zwischen Herausforderung und Frustration hält.

Packend ist „Inside“ aber vor allem dank seiner außergewöhnlichen Dramaturgie. Man weiß nicht, warum der Junge flieht und vor wem, und auch nicht, wohin er eigentlich zu gelangen versucht. Da es sich aber um einen wehrlosen Halbwüchsigen handelt, der offenkundig von skrupellosen Erwachsenen bedroht wird, identifiziert sich der Spieler dennoch sofort mit dem Protagonisten. Und so rennt man einfach immer weiter, erst durch den Wald, später durch eine verfallene Industrieanlage, stets getrieben von dem Wunsch, endlich zu erfahren, was das alles überhaupt soll.

Eine Atmosphäre der Bedrohung

Auf diese Frage erhält man jedoch allenfalls bruchstückhafte Hinweise. Subtil zeichnet „Inside“ das Bild einer dystopischen Welt, fast beiläufig wird der Spieler mit Szenen konfrontiert, die auf den politischen Horror der realen Geschichte verweisen – etwa wenn wir unbemerkt an apathisch wirkenden Menschen vorbeigelangen müssen, die Schlange stehend darauf warten, von einer Wachmannschaft untersucht und registriert zu werden.

Es fällt bei „Inside“ kein einziges Wort, was eine rational kaum zu greifende Atmosphäre der Bedrohung erzeugt. Genau so funktionieren Albträume. Dass man nur weiterkommt, indem man die eigenen Kombinationsfähigkeiten bemüht, ist geradezu ein Segen, denn es erinnert daran, dass in dieser Welt wenigstens die logischen Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft gesetzt sind. Anders wäre das Ganze   kaum zu ertragen. Wer glaubt, das ästhetische Potenzial des Genres der Jump’n’Runs könne nicht das überbieten, was Mainstreamtitel wie „Super Mario“ zeigen, wird hier eines Besseren belehrt.

Zuletzt nimmt „Inside“ eine genauso überraschende wie groteske Wendung, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Vermutlich hilft allein, alles noch einmal von vorn zu beginnen, in der Hoffnung, einen entscheidenden Fingerzeig zu entdecken, der beim ersten Mal übersehen wurde. Diese Geschichte hat nicht nur keinen Anfang, sondern auch kein Ende.