Die Spieler des TVB Stuttgart haben mit ihrer Spendenaktion für Aufsehen gesorgt. Foto: Baumann

Der Handball-Bundesligist spendet ein Prozent der Gehälter und hat auch eine Partner-Schule gefunden. Der Start war vielversprechend – bis zur Corona-Krise.

Stuttgart - Carlos Prieto bleibt wie derzeit viele Menschen zu Hause – allerdings an einem etwas privilegierten Ort, am Rande von Wetzlar, wo er zumindest joggen oder Radfahren kann. Handball spielt der Spanier nicht mehr, dafür hat er sich mit Share (teilen) und Play (spielen) einem sozialen Projekt verschrieben – doch das ruht. Weil die Schulen dicht sind. Auch die Grund- und Werkrealschule in Stuttgart-Ostheim, die der Handball-Bundesligist TVB Stuttgart als Modellobjekt auserkoren hat. Kurz zur Erinnerung: Alle Angestellten des Bundesligisten verzichten seit diesem Jahr auf ein Prozent ihres Gehalts. Nicht wegen der Corona-Krise, sondern um sich der Kampagne Common Goal anzuschließen – als erster Handballclub der Welt überhaupt.

Diese Initiative hat für viel Aufsehen gesorgt, weil sie nachhaltig unterstrich, dass der gesamte Verein hinter der Aktion steht, die maßgeblich von Kapitän und Torwart Johannes „Jogi“ Bitter angestoßen wurde. Der war dann auch einer der Initiatoren, die sich für die Schule stark gemacht hat, obwohl ihr ein negatives Image anhaftete. Denn just Bitter und David Schmidt waren Monate zuvor schon mal dort vor Ort bei einer Trainingseinheit, die TVB-Spieler regelmäßig mit Jugendlichen absolvieren. Und die in diesem Fall in einem kleinen Debakel geendet hatte, weil die Schüler schlecht vorbereitet waren. Doch der Vater von drei Kindern wollte dem „Chaos-Club“ eine zweite Chance geben.

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Anfang März war es schließlich so weit, die beiden ersten Einheiten (Klassenstufe fünf/sechs) wurden absolviert – vorerst die letzten. Dennoch war Prieto sehr angetan von der Premiere. Zunächst einmal kam alles auf den Prüfstand, in einer Art Schüler-Tüv: Es gab physikalische Tests, kognitive und auch soziale. Denn Prieto geht es auch um Integration. „Viele Schüler haben mit Handball oder Sport bisher keine große Erfahrung“, sagt der Ex-Profi. Das sei zwar schade, „ist aber gut für uns, weil wir so einen Input an die Jungen und Mädchen geben können.“ Von Vorteil ist dabei auch deren Herkunft aus vielen Herren Ländern. Denn neben Gesundheit („Wir machen alles in Bewegung“), geht es um soziale Inklusion. Und da kommt die Mischung sehr gelegen, „weil alle unterschiedliche Kulturen und Denkweisen haben“, sagt der 40-jährige gebürtige Spanier, der sich bestens in die Kinder hineinversetzen kann.

Alles gut also mit der Schule. Die Sportlehrerin Christine Maurer steht voll hinter dem Projekt. „Der erste Eindruck ist überaus positiv – die Schüler und Schülerinnen waren mit Begeisterung dabei. Carlos Prieto hat sie super motiviert und wirklich zum Handballspielen gebracht, obwohl sie das noch nie zuvor gemacht hatten. Besonders toll fand ich, dass auch eher unsportliche Kinder engagiert mitgemacht haben.“

Wenn Mathematik Spaß macht

Und sogar etwas von Mathematik angetan waren. Richtig gehört. „Die braucht man überall im Leben“, sagt Prieto. Und die kann man auch via Handball vermitteln, so lautet sein Credo. „Sportunterricht ist ein perfekter Ort, um verschiedene Lernziele zu erreichen.“ Die Schüler müssen sich rechnerisch zum Beispiel das Ergebnis während des Spiels merken oder auch, ob jetzt Über- oder Unterzahl auf dem Feld herrscht. „Der Kopf muss bereit sein, zu rechnen“, sagt Prieto.

Wer mit dem 40-Jährigen spricht, merkt schnell, dass ihm das eine Herzensangelegenheit ist. „Wir sind sehr emotional“, sagt der ehemalige Kreisläufer. Alle Ergebnisse werden gemessen und exakt erfasst. Rückschläge sind dabei durchaus einkalkuliert. „Es kann sein, dass wir unsere Ziele nicht zu 100 Prozent schaffen, sondern vielleicht nur zu achtzig oder weniger – aber auch das passt.“ Alles ist besser als nichts. Lesen Sie auch: „Wir müssen das Spiel gewinnen“

Und selbst jetzt in Zeiten von Ausgangs- oder Kontaktsperre gibt es zwar keine Live-Erlebnisse vor Ort, das heißt aber nicht, dass alles ruht. Im Zeitalter der sozialen Medien weicht Carlos Prieto gerne auf auf seine Instagram-Plattform aus. Auf der stehen wöchentlich eine Stunde lang bekannte Handballer zur Verfügung: Spaniens Idol Raul Enterrios oder Welthandballer Mikel Hansen waren schon dabei - und die Liste der Kandidaten ist noch lang. Dabei geht es dann nicht um banale Fragen, nach dem schönsten oder wichtigsten Tor, es darf schon ein bisschen tiefgründiger sein. Der Fair-Play-Gedanke spielt eine Rolle oder mentale Probleme für die Profis, wenn jetzt der Spielbetrieb ruht. Die Gesprächsrunden werden in Englisch, Spanisch oder auch Deutsch abgehalten und die zugeschalteten Schüler können oder besser sollen auch Fragen stellen, etwa: „Wie schaffen es Spieler, mit Druck umzugehen?“, erzählt Prieto.

Zurück zum TVB: Auch wenn das Projekt ruht, spenden Spieler und Angestellte selbstredend weiter ein Prozent des Gehalts: Das Geld geht nun zum Beispiel an die Tafel in Waiblingen, „die aktuell darunter leidet, dass sie wenig Lebensmittel zur Verfügung gestellt bekommt“, wie Trainer und Geschäftsführer Jürgen Schweikardt erklärt.

Wie lange das noch andauert? Die Antwort übersteigt die Kompetenz der Sportler. Prieto: „Ich hoffe, dass alles schnell vorüber ist, aber ich bin auch skeptisch.“ In Sachen Corona – nicht, was sein Projekt angeht.