Selbst von ihrer Familie wird die Protagonistin im Comic „Anna“ schikaniert – die Episode im Bild hängt am Schaukasten vor der Liederhalle. Foto:  

Ein Mutmach-Comic für Ausgegrenzte: Die Stuttgarter Leibinger-Stiftung hat den Comicbuchpreis 2021 vergeben und stellt das preisgekrönte Werk rund um die langbeinige Anna als öffentlichen Stadtspaziergang aus.

Stuttgart - Anna 3 hat es nicht leicht im Leben: Ihre Großmutter, Anna 1, ist eine große Frau. Sie zeugte mit einem großen Mann ein großes Kind, das ist Anna 2. Anna 2 suchte sich absichtlich einen kleinen Mann, aber dennoch: Anna 3 ist riesig geworden. Ihre Beine überragen nicht nur jeden Mann in ihrem Bergdorf, sondern sogar das Stuttgarter Literaturhaus – zumindest auf der im Comicstil gezeichneten Karte zum Ausstellungsspaziergang, bei dem man Anna durch die Stuttgarter Innenstadt begleiten kann.

Auf dem Weg vom Literaturhaus bis zum Schlossplatz zeigen Schaukästen und Fenster einzelne Episoden aus Annas Dilemma: Auf der Rückseite des Gebäudes der Motor-Presse Stuttgart geht sie im Club feiern, überragt aber alle anderen Partygäste. Gegenüber dem Hospitalhof schafft sie es nicht, ein Kind an die Hand zu nehmen, weil ihr Arm nicht so weit hinunterreicht. Am Haus der Kulturgemeinschaft verliert sie sogar einen Schwimmwettbewerb, und die Nachbarin stänkert: „Das Kind ist zu lang zum Schwimmen!“

Erst auf dem letzten Teil des Weges rund um den Königsbau findet Anna schließlich ihr Glück – so viel sei verraten. Wer die ganze Geschichte und das Happy End erfahren möchte, ist gut beraten, den Weg von Anfang bis Ende abzulaufen – die einzelnen Episoden sind für sich genommen zwar witzig, aber erst der Gesamtzusammenhang erzählt die Geschichte. Einige der Stationen liegen darüber hinaus fernab der üblichen Spazierwege durch die Innenstadt, weshalb man sich an die Karte halten und sich für die Ausstellung etwa eine Stunde Zeit nehmen sollte.

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Eine „Groteske mit Tiefgang“

Der ausgestellte Comic „Anna“ ist ein Werk der Hamburger Illustratorin Mia Oberländer, die das Leben und Leiden als große Frau auf humorvolle Art überzeichnet. Andreas Platthaus sieht darin eine „Groteske mit Tiefgang“ und verleiht ihr als Juryvorsitzender der Berthold-Leibinger-Stiftung den Comicbuchpreis 2021. „Es ist ein Buch, das denjenigen Mut machen will, die aufgrund von Äußerlichkeiten ausgegrenzt werden. Indem es mit all den Klischees spielt, die es entlarvt, und sie somit lächerlich macht“, schreibt er zur Begründung.

Zu lesen ist sein Statement im digitalen „Hub“ der Preisträger-Ausstellung: einem virtuellen Galerie-Raum, in dem man als Computerfigur – sogenannter Avatar – vorbei an großen Ausstellungstafeln spazieren kann, fast wie „in echt“. Neben Oberländers Comic sind in der VR-Welt auch die Werke des Preisträgers von 2020 sowie die der Finalistinnen und Finalisten beider Jahre ausgestellt. Üblicherweise werden sie nach einer Preisverleihung im Stuttgarter Literaturhaus gezeigt. Diese musste jedoch aufgrund der Pandemiebedingungen zum zweiten Mal in Folge abgesagt werden.

Comics im öffentlichen und im virtuellen Raum

Aus diesem Grund geht die Stiftung nun den kreativen Weg der Kombination einer virtuellen Ausstellung mit einem ganz analogen Spazierweg im öffentlichen Raum – wobei auch dieser ein paar digitale Überraschungen bereithält. An Station 4 werden die Betrachtenden zum ersten Mal aufgefordert, die App „Artivive“ herunterzuladen und damit eins der Kunstwerke zu scannen. Wer den Anweisungen folgt, wird mit einem Lacher belohnt.

Zwei Tipps zum Schluss: die App vor dem Spaziergang herunterladen. Und statt der digital verfügbaren Karte die Print-Version am Literaturhaus mitnehmen – hier sind einige hilfreiche Hinweise zum Weg vermerkt.