Sie sind wieder da: Abba. Foto: Industrial Light/dpa

1982 lösen sich Abba auf. Vier Jahrzehnte später veröffentlichen sie das neue Album „Voyage“ und tun einfach so, als hätte es die Zeit dazwischen nicht gegeben. Haben sie es noch drauf?

Stuttgart - Schon kurios: Für eine Band, die die Popmusik maßgeblich geprägt hat, haben Abba erstaunlich wenig von ihr mitbekommen. Wenn wir etwa mal grob vereinfachend von 60 Jahren Pop ausgehen, haben Abba allein die letzten 40 davon nicht existiert. Und von den 20 davor gerade mal zehn Jahre, genauer gesagt von 1972 bis 1982.

Dennoch ist ihr Einfluss auf Musik, Mode und Kultur fast nur mit dem der Beatles zu vergleichen. Entsprechend groß das Bohei um das Comeback einer Band, die es 40 lange Jahre nicht gab. Die so ziemlich jeden Trend seit Schulterpolstern und Haarspray nicht mehr mitgemacht hat. Und dennoch die ganze Zeit spürbar war. Denn die Musik der ehemaligen Paare Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus sowie Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad, hat längst ein Eigenleben entwickelt.

Niemand hat mehr daran geglaubt

Über 400 Millionen verkaufter Platten, das unverschämt erfolgreiche Musical „Mamma mia“ samt zweier Hollywood-Filme, Solokarrieren, Museen, Restaurants – was 1974 mit „Waterloo“ beim Eurovision Song Contest begann und 1982 in Tränen und einer Schlammschlacht mündete, entwickelte sich zum millionenschweren Weltkonzern.

Irgendwas fehlte aber anscheinend noch. Irgendein Grund, A, B, B und A wieder zusammenzubringen. Lange schon sprach Benny Andersson von neuen Songs, die angeblich längst fertig seien. Passiert ist eine gefühlte Ewigkeit nichts. Dann waren sie plötzlich da, die neuen Stücke „I still have Faith in you“ und „Don’t shut me down“. Fast schon surreal war das. Ihnen folgt mit „Voyage“ jetzt tatsächlich ein Album, an das eigentlich niemand mehr geglaubt hatte.

Schwedisch-melancholische Melodien

Dennoch weigert sich Andersson hartnäckig, von einem Comeback zu sprechen. „Ist schon eine ganze Weile her, dass wir das letzte Mal gemeinsam Musik gemacht haben“, so ließ er verlauten. „Knapp 40 Jahre, um genau zu sein. Im Frühjahr 1982 haben wir uns eine Auszeit genommen, und jetzt haben wir den Entschluss gefasst, diese Auszeit zu beenden. Man sagt uns, es sei ziemlich töricht, gut 40 Jahre zwischen zwei Alben verstreichen zu lassen, also haben wir einen Nachfolger zu ‚The Visitors‘ aufgenommen.“

Wenn das eine Auszeit war, dann war es die mit Abstand längste in der gesamten Musikgeschichte. Doch in einem Punkt hat er recht: „Voyage“ klingt, als wäre es ungefähr ein Jahr nach „The Visitors“ erschienen, dem 1981 erschienenen, vorerst letzten Abba-Album. Es ist alles da: die Gesangsharmonien von Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad, die schwedisch-melancholischen Melodien, die perlenden, himmelwärts strebenden Refrains und diese schunkelige Rhythmusart, die viele Songs in Bierzeltgefilde rücken würde, wären sie nicht so oft in skandinavisch-wohliges Moll getunkt.

Unvermindert große Anziehungskraft

Abba tun also einfach so, als wären die Madonnas, Lady Gagas und Billie Eilishs zwischendrin gar nicht passiert. Sie radieren die letzten 40 Jahre erfolgreich aus und haben mit „Just a Notion“ sogar einen Song auf ihr neues Album gepackt, der schon 1978 entstand – also zwischen „Abba – The Album“ und „Voulez-Vous“. „Weshalb wir dieses Stück damals ausgeklammert haben? Rückblickend muss ich sagen, dass ich keinen blassen Schimmer habe“, so Björn Ulvaeus. „Es ist ein toller Song mit großartigen Gesangsparts. Insofern ist es ein Rätsel – und wird wohl auch ein Rätsel bleiben.“

Ein Rätsel ist auch die Anziehungskraft, die Abba immer noch haben. Sie schaffen es mit einem hoffnungslos anachronistischen, oftmals melodramatischen, gerne kitschigen Album, eine Hysterie loszutreten, wie sie sonst der Generation Z vorbehalten ist. Allein in Großbritannien wurden in den ersten drei Tagen nach der Albumankündigung mehr als 80 000 Vorbestellungen registriert. Das haben nicht mal die Beatles oder Oasis geschafft.

Eigene Zeitrechnung

Zurecht? Das lässt sich bei diesem Gigantismus an Erfolg, Einfluss und Vermächtnis kaum erfassen. Schon im Opener „I still have Faith in you“ fragt sich Anni-Frid Lyngstad: „Do I have it in me?“ – hab ich es noch drauf? Und man stellt fest: Ja, das hat sie. Ja, das haben sie alle. Abba hatten schon in den Siebzigern das große Talent, sagenhaft zeitlose Songs zu schreiben. Das tun sie noch immer. Abba vermessen ihren eigenen Kosmos, sehen es gar nicht ein, sich dem Zeitgeist anzubiedern. Sie sind ihre eigene Zeitrechnung, ihr eigener Taktgeber, ihre größte Inspiration.

Deswegen funktionieren schillernde Pophymnen wie „Keep an Eye on Dan“ auch immer noch so gut. Weil sich Abba einfach auf das besinnen, was sie am besten können. Und da macht ihnen eben bis heute niemand was vor. Das böse Blut, das es zwischen ihnen gab, scheint getrocknet. Zumindest äußerlich. „Was für eine riesige Freude das war, endlich wieder mit der Gruppe zu arbeiten“, gibt sich Anni-Frid Lyngstad versöhnlich. „Ich bin so glücklich über das, was wir da erschaffen haben, und ich hoffe sehr, dass unsere Fans das auch so sehen werden.“

Sagen wir es mal so: Bei wenigen anderen Bands dürfte Geld eine derart nebensächliche Rolle gespielt haben wie bei diesem Comeback.

Das Bühnencomeback von Abba

Avatare
Neben dem neuen Album „Voyage“ werden Abba 2022 auch auf die Bühne zurückkehren. Allerdings werden sie dabei nicht selbst auf der Bühne stehen: Digitale Avatare aus ihren Glanzzeiten werden die neuen Songs nebst den Klassikern des Katalogs zum Besten geben.

Liveshow
Los geht die etwas andere Liveshow am 27. Mai 2022 in der speziell dafür entworfenen „Abba Arena“ im Queen Elizabeth Olympic Park von London. Unterstützt werden die Hologramme der vier von einer zehnköpfigen Band. Die ist, soweit wir wissen, aus Fleisch und Blut. Zunächst sind in London Shows bis Ende 2022 geplant – teilweise sogar zwei Vorstellungen am Tag. Die Nachfrage ist riesig: In den ersten 72 Stunden wurden mehr als eine Viertelmillion Tickets verkauft.