Dave Rowntree, Alex James, Damon Albarn und Graham Coxon (von links) sind wieder Blur Foto: Linda Brownlee

Die Mädchen, die früher in der ersten Reihe kreischten, mühen sich heute zwischen Job und Sandkasten, Karriere und Kita ab. Und bei all den Diskussionen über die Alles-ist- möglich-Lüge, freuen sie sich einfach darüber, dass Blur endlich ein neues Album gemacht haben.

Das schrammelige Lied „I Broadcast“ bietet das perfekte Rückwärtsgefühl: Da ist man wieder im Jahr 1993, als „Modern Life Is Rubbish“ veröffentlicht wurde. Heute ist klar: Das moderne Leben ist Müll. Blur wussten schon früh Bescheid.

Man kann es kaum glauben, dass Graham Coxon, der verträumte Gitarrist, der mit Alkohol und anderen Dingen zu kämpfen hatte, und Sänger Damon Albarn wieder gemeinsam Musik machen.

Eine Boygroup ohne Choreografien

Seit ihrer Kindheit waren die beiden befreundet, gründeten eine Band, wie das viele Jungs so machen. Mit dem Unterschied, dass sie als Blur und gemeinsam mit dem blasierten Bassisten Alex James und dem konservativ aussehenden Schlagzeuger Dave Rowntree sehr viel Erfolg hatten.

Blur waren eine Boygroup, nur ohne Choreografien. Und eine, auf die sich nicht nur Mädchen mit Geschmack, sondern auch Herren mit Hang zu poppigen Melodien einigen konnten. Auf einmal – es war in den 1990er Jahren nach dem Karohemden-Grunge – gab es den Begriff Britpop für all jene Bands, die Gitarren in der Hand hatten und aus Großbritannien stammten.

Dazu gesellte sich der von den Medien und auch ein bisschen von den Künstlern inszenierte „Battle Of The Bands“ zwischen den schnöseligen Blur aus Westlondon und den rüpeligen Oasis aus Manchester. Kommerziell wurden die Gallagher-Brüder erfolgreicher. Blur gewannen künstlerisch.

Nach dem Album „Think Tank“ war die Band Blur Geschichte

Getrennt hatten sich die vier Herren im Jahr 2001 bei den Aufnahmen zu „Think Tank“. Besser gesagt: Coxon trennte sich von Albarn. Das Album erschien dennoch. Aber Blur waren damit Geschichte.

Sänger Damon Albarn kümmerte sich um seine sehr erfolgreichen Projekte wie die Cartoon-Pop-Truppe Gorillaz und The Good, The Bad & The Queen, Alex James trug Cordjacketts mit Ellenbogenflicken und produzierte Käse und fünf Kinder in Oxfordshire und schrieb in seiner Biografie „Bit Of Blur“ über die verrückten, dekadenten 1990er im Popgeschäft.

Dave Rowntree beschäftigte sich mit Politik und seinem Pilotenschein, während Coxon weiter Musik machte und als bildender Künstler in London ausstellte.

Es war im Sommer 2009, als Blur überraschten und für zwei Konzerte im ausverkauften Hyde Park in London wieder auf der Bühne standen. Die Hoffnung auf eine Reunion war da, so richtig glauben konnten es die Fans von früher aber nicht. Sie hatten ja auch viel zu tun: Kinder, Beruf, Kita, Sandkasten – und wo war die gute Popmusik?

Die ersten Skizzen zu „The Magic Whip“ entstanden in China

Dann in den ersten Monaten des Jahres 2015 vermeldeten Blur, dass sie wieder gemeinsam im Studio an neuen Songs gearbeitet hatten. Die ersten Skizzen zu „The Magic Whip“ entstanden in China, als Konzerte der Band abgesagt wurden, und sie die Zeit zwischen Hotelbett und Pool mit Musikmachen verbrachten. Diese Ideen fanden ihren Weg mit dem früheren Produzenten Stephen Street ins Studio.

So kam es also zu „The Magic Whip“. Was für ein Glück von Zufällen. Was für ein Album, das in jeder wunderbaren Sekunde überrascht, sich so bekannt anfühlt, klug, lustig und traurig zugleich ist. „There Are Too Many Of Us“ nimmt einen fest in den Arm, „Ong Ong“ ist ein fröhlicher Schunkelsong.

Eines der schönsten und zugleich traurigsten Lieder ist „My Terracotta Heart“, das Albarn angeblich für Coxon geschrieben hat. Das aber wiederum ist egal. Es ist ein Lied, das für jeden und jede Situation funktioniert. Bei all der Melancholie, die einen beim Hören der zwölf ganz unterschiedlichen Lieder von „The Magic Whip“ natürlich überkommt, freut man sich, dass Blur so würdevoll im Jahr 2015 angekommen sind.