Colyn Heinze ist erst 24 Jahre alt und bereits der stellvertretende Bezirksvorsteher von Stuttgart-Vaihingen. Der Degerlocher hat ein bewegendes Jahr hinter sich. Ein Jahr, im dem er zu einer Persönlichkeit wurde.
Vaihingen/Degerloch - Colyn Heinze blickt abgeklärt in die Kamera. Es ist der 21. Juni 2020. Am Vorabend haben in der Stuttgarter Innenstadt Jugendliche Fensterscheiben eingeworfen, Läden geplündert und gegen die Polizei gekämpft. Heinze steht nun im Namen der sogenannten Partyszene dem Südwestrundfunk Rede und Antwort. Seine Antworten sind professionell. Er strahlt eine angenehme Unaufgeregtheit aus.
Mit nur 24 Jahren weiß Colyn Heinze, wofür er steht: „Ich will die Mitte finden, vermitteln, moderieren.“ Er redet druckreif, weiß immer eine Antwort. Die Diskussionsrunde im SWR zur Krawallnacht war einer von vielen aufregenden Momenten in einem für ihn unvergesslichen Jahr. Im Januar wurde Heinze stellvertretender Bezirksvorsteher in Stuttgart-Vaihingen.
Es war ein Neuanfang, nachdem er im Mai 2019 mit einer Kandidatur für das Regionalparlament gescheitert war. „Es hatte nicht viel gefehlt, aber trotzdem hat es mich getroffen.“ Auch mit seinem Job in der Stadtplanung war er unzufrieden. Das neue Amt in der Bezirksverwaltung Vaihingen brachte ihm mehr Verantwortung. Auf dem Plan standen für 2020 Verkehrskonzepte, die Organisation politischer Jugendbeteiligung und das Kennenlernen der Vaihinger. „Aber ab Februar war dann alles anders“, erinnert sich Heinze.
Die Pandemie machte seine Arbeit unpersönlicher. Der sonst „unglaublich aktive und diskussionsfreudige Bezirksbeirat“, wie er selbst sagt, musste Einschränkungen hinnehmen. Alle schalteten in den Krisenmodus. Eine wichtige Aufgabe sei es, die Vereine gut durch die Krise zu bringen, sagt Heinze. Aus der Situation müsse man das Beste machen. „Es warten noch große Aufgaben auf uns in Vaihingen“, sagt er. Es klingt, als hätte er jedes Wort vorbereitet. Ob er seine Aussagen auswendig lerne? „Nein – das kommt einfach so.“
Wird er mal Bundeskanzler?
Heinze war nicht immer Medienprofi. Zwar war er in der Schule diskussionsfreudig, „aber nicht der typische Klassensprecher“. Das kam erst zum Ende der Schulzeit. In der Abi-Zeitung haben ihm die Klassenkameraden Chancen ausgerechnet, Bundeskanzler zu werden. Heinze studierte Public Management in Ludwigsburg und wurde Semestersprecher. Mit 18 trat er der SPD bei. „Meine Themen waren die Jugendbeteiligung und Europa.“ Die internationale Politik beschäftigt ihn. Nur zusammen könne man was schaffen. Deshalb wurde er Landesgeneralsekretär der Jungen Europäer, fuhr als Delegierter zu internationalen Konferenzen in Barcelona oder Edinburgh. Aus Colyn, dem interessierten Schüler, wurde Colyn Heinze der Politiker.
Der Politiker – so nennen sie Heinze auch scherzhaft im Büro der Schräglage. Die Schräglage, eine Club- und Gastrokette, betreibt in Stuttgart mehrere Kneipen. Zeitweise versorgte sie das Stadion von Heinzes Lieblingsclub, den Stuttgarter Kickers, mit Wurst und Bier. Bei der Schräglage hat Heinze während des Studiums ein Praktikum absolviert. Er forschte für das Unternehmen über das Clubleben in der Stadt und beschäftigte sich mit dem Datenschutz. Prompt wurde Heinze Datenschutzbeauftragter. Seit Ende 2018 ist er außerdem zweiter Vorsitzender im Clubkollektiv, ein Verbund von 35 Club- und Kulturbetrieben. Dort setzt er sich für das Stuttgarter Nachtleben ein. „Das Clubkollektiv schafft bei den Betreibern ein Wir-Gefühl und hat uns eine Stimme in der Stadtpolitik verschafft“, erklärt Heinze stolz. In kurzer Zeit habe man einiges erreicht: Bald soll es extra eine Stelle bei der Stadt für die Clubs geben. Aktuell sind die Clubs aber mit Existenzängsten beschäftigt: „Es braucht zielgerichtete Hilfen und Perspektiven“, fordert Heinze. 2020 avancierte er zum Sprecher des Kollektivs, gab zahlreiche Interviews und landete in allen Medien.
Er bereitete sofort Presseauftritte vor
Während sich Gleichaltrige am 20. Juni auf eine verheerende Nacht eingestimmt hatten, war Heinze bei einem Videodreh. Eine Reportage sollte zeigen, wie die Clubbetreiber zu kämpfen haben. Später ging Heinze auf einen Geburtstag. Am Morgen wusste er nichts von dem, was in der Innenstadt passiert war. „Ich hab meinen Laptop aufgeklappt und konnte nicht fassen, was ich lesen musste.“
Trotz einer langen Nacht bereitete er sofort Presseauftritte vor. Die Clubszene, seine Clubszene, war mit den Randalierern in Zusammenhang gebracht worden. „Das wollten wir zurechtrücken.“ Die Wahrheit sei, dass all das bei geöffneten Clubs wohl nie passiert wäre. Die Clubs seien elementarer Teil der Sicherheitsstruktur. Heinze argumentiert schlüssig. Das kann er. Eines Tages, sagt Heinze, will er sich für ein höheres Amt bewerben. Er hat Ziele, will die Gesellschaft zusammenhalten. Außerdem will er der Stadt treu bleiben. In acht Jahren wäre wieder OB-Wahl. Ein Ziel für Colyn Heinze? „Das zu sagen, wäre vermessen.“