Treffen der Popgenerationen: Chris Martin (Mitte) und Coldplay schmücken sich mit BTS aus Südkorea Foto: Warner/James Marcus Haney, Heo Jae Young

Zum 25. Geburtstag der Band Coldplay erscheint das neue Album „Music of the Spheres“ und zeigt: Für ihren Welterfolg zahlen die Briten um Chris Martin einen hohen Preis.

Stuttgart - Am University College London kann man allerlei studieren: Alte Geschichte wie Chris Martin oder Mathematik, Astrophysik und Astronomie wie Johnny Buckland. Will Champion verlegte sich auf Anthropologie; Guy Berryman versuchte es erst mit Ingenieurwissenschaften, dann mit Architektur. Oder man tut sich auf dem Campus zusammen und gründet eine Band – so wie diese vier Briten im September 1996. Wie Coldplay, deren Erfolgsgeschichte damit vor 25 Jahren ihren Anfang nahm.

Künstlerischer Abstieg

Coldplay-Frontmann Chris Martin ist im Idealfall (und im Verbund mit seinen Kollegen) ein versierter Komponist, ein passabler Pianist und ein charismatischer Performer, der die Herzen von Popfans weltweit berühren kann – ein guter Neinsager war er nie. Diese Eigenschaft führte ihn mit seinen drei Mitstreitern immer tiefer hinein in die musikalische Bedeutungslosigkeit. Denn standen Coldplay einst für eine brillante Symbiose aus Eingängigkeit und Kunstfertigkeit, so ist die Band längst nur noch eine blasse Erinnerung an ein schon vor langer Zeit aufgekündigtes Versprechen.

Der künstlerische Abstieg von Chris Martin & Co. lässt sich dabei recht genau datieren. Hatte man sich 2008 auf „Viva la Vida (Or Death and all his Friends)“ noch mit viel Mühe und unter Einbeziehung eines Streichorchesters zu einem aparten Dreiklang aus Pop, Rock und Kammermusik durchgekämpft, so setzen Coldplay seit 2011 und „Mylo Xyloto“ auf eine bedingungslose Internationalisierung ihrer Musik in Form von Kooperationen mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt und aus allen möglichen Genres: von Rihanna und Beyoncé über Avicii und David Guetta bis zu Jay-Z. Und mit jedem dieser Gemeinschaftsprojekte verzwergten sich Coldplay weiter zur bloßen Jukebox, die ausspuckt, was gerade vom Markt nachgefragt wird. Wie sehr man seither ohne eigenen Kompass durch den Mainstream surft und sich überwiegend von den gerade aktuellen Trends der Popszene fremdbestimmen lässt, zeigt nun auch „Music of the Spheres“.

Esoterisches Science-Fiction-Szenario

In ein esoterisch verquastes Science-Fiction-Szenario eingebettet, gibt es hier neben Balladen im sehnsuchtsvollen Coldplay-Stil ein Sammelsurium aus bedeutungsschweren Soundlandschaften mit Ambientcharakter sowie jeder Menge aktionistischem High-Energy-Pop für die Tiktok-Klientel. Von letzterem kündete schon die im Mai erschienene, zappelig-vollsynthetische Single „Higher Power“, und diese Tonart bespielen auch „Humankind“, das brachiale Rhythmik mit breitwandiger Elektronik und allerlei produktionstechnischen Gimmicks kombiniert, das mit der koreanischen Boyband BTS aufgenommene, mit einem banalem Chorus und stotternden Soundfetzen ausgestattete „My Universe“ sowie „Biutyful“, das eine Fantasystimme im Stil japanischer Manga-Comics in den Fokus rückt. Auch „Let somebody go“ mit Selena Gomez als Gastsängerin richtet sich erkennbar an eine Zielgruppe, die von der frühen Bandphase nichts mitbekommen und Coldplay erst in den letzten Jahren für sich entdeckt hat.

Ruhm statt Relevanz

Den Reigen der acht konventionellen Tracks komplettieren das quasi a cappella intonierte „Human Heart“, das tanzbare, aber melodisch magere Fast-Instrumental „Infinity Sign“ sowie „People of the Pride“, das mit herben Gitarren und Synthies im Kontext der übrigen Songs wie ein Fremdkörper wirkt. Hinzu kommen drei Miniaturen sowie das zehnminütige Finale „Coloratura“, das mit Spieluhrklimpern, Grand Piano und Saiten- und Tastensounds in Pink-Floyd-Manier die Überführung irdischer Vergänglichkeit in eine himmlische Ewigkeit beschwört.

Wer diese Band für Songs wie „Yellow“, „Trouble“ oder „Clocks“ liebte, wird mit diesem Album einmal mehr Nein sagen zu einer Band, die sich bestürzend bereitwillig dafür entschieden hat, Relevanz gegen Ruhm einzutauschen.   

Coldplay: Music of the Spheres. Parlophone/Warner.

Drei Coldplay-Meisterwerk

Parachutes (2000)
Eines der besten Debütalben der jüngeren Popgeschichte: Gitarren, Piano, Elektronik, alles perfekt platziert in Arrangements, denen mühelos der Spagat zwischen Kunsthaftigkeit und Pop gelingt. Die Kirsche auf der Torte: die Performance von Chris Martin, der mit gerade mal 23 Jahren noch gar nicht wusste, wie gut er als Sänger schon war.

A Rush of Blood to the Head (2002)
Eines der besten zweiten Alben der jüngeren Popgeschichte, voll melodischer Pracht, großen Momenten und kleinen Raffinessen. Um mit einem Song ohne Refrain einen Tophit zu landen („Clocks“): Dafür braucht es schon das große Einmaleins der Popmusik – und ein Pianothema von Chopin’scher Schönheit.

X&Y (2005)
David Bowie, Kraftwerk und die Simple Minds: Coldplay entdecken die Elektronik- und New-Wave-Sounds der 70er und frühen 80er Jahre und landen einen Volltreffer – zum Beispiel im Cinemascope-Pop von „White Shadows“.