Die jüngsten Intendanten Deutschlands kommen nach Stuttgart! Am 31. August hat das Stück „Surreale Realität“ von Tobias Frühauf unter Philipp Wolperts Regie im Club Zollamt Premiere.
Stuttgart - Stuttgart ist eine Stadt mit einem gigantischen Kulturangebot. Hunderte werdende Künstler gehen jährlich von staatlichen und privaten Hochschulen ab und begeistern das Publikum als Musiker, Schauspieler oder Regisseure. Dass man den Weg zum Kulturschaffenden auch ganz anders gehen kann, beweisen die Cousins Tobias Frühauf und Philipp Wolpert, die 2017 ihre eigene Theaterproduktionsfirma gegründet haben.
Sie trägt den illustren Namen Tacheles und Tarantismus und steht für Unabhängigkeit und Experimentierfreude. Weder Frühauf, der sich als Dramaturg einbringt, noch Wolpert, der als Regisseur agiert, haben eine klassische Ausbildung an der Theaterschule hinter sich. „Ich war erst an der Realschule, dann habe ich eine Ausbildung als Industriekaufmann gemacht und meine Fachhochschulreife nachgeholt“, erzählt Frühauf. „An der Hochschule der Medien habe ich Verlagswesen studiert und nach dem vierten Semester abgebrochen. Das lag nicht an den Noten – aber damals hatten wir bereits unser Theaterlabel gegründet.“
Das Studium zu schmeißen war keine Bauchentscheidung für Frühauf. Er führte viele Gespräche mit Mentoren aus der Theaterszene. Und als freier Künstler zu arbeiten ist für ihn und Wolpert der beste Weg, um Ideale zu realisieren. Wolperts Ehrgeiz zog ihn schon früh zu den darstellenden Künsten. Im Alter von 14 Jahren schrieb er sein erstes Musical und inszenierte es auch selbst. Ein Intendant vom Theaterschiff Heilbronn wurde auf ihn aufmerksam; er vermittelte ihm immer wieder Regiejobs. Doch auch Wolpert verzichtete auf eine traditionelle Theaterausbildung. „Ich war an den Regieschulen schon in der Endrunde“, sagt er. „Aber dann habe ich dort angerufen und gesagt, dass Tobias und ich freischaffend sein wollen. Das ist unser Weg.“
Seit 2018 sind Frühauf und Wolpert die jüngsten Intendanten Deutschlands
Eine mutige Entscheidung, die sich als richtig erwiesen hat. Seit 2018 sind Frühauf und Wolpert die jüngsten Intendanten Deutschlands und leiten die Marbacher Theaterfestspiele. Jetzt holt der Club Zollamt auf der Kulturinsel die beiden nach Stuttgart: In ihrem Clubstück „Surreale Realität“ wird vieles anders gemacht als in den traditionelleren Theatern.
Da gibt es Kaspar, einen Jugendlichen, der drauf und dran ist, sich selbst zu verlieren. Ihn dabei begleiten kann das Publikum nicht bloß vom Zuschauerraum aus. Man betritt den Ort des Geschehens als Clubbesucher, ist direkt von Musik, Video, Tanz, Bildern und Performance umgeben und wirkt daran mit.
Die Schauspieler sind mal Erzähler und mal Darsteller. Die Figuren zeigen, sagen und sind abwechselnd, was sie fühlen – die Sprache, die Frühauf in seinem Stück benutzt, ist rapide und ästhetisch. Schon lange fühlt er sich von der Lyrik der frühen Moderne angezogen und beschäftigt sich in den meisten seiner Arbeiten damit. „Surreale Realität“ schrieb er im Anschluss an seine Schulzeit. Die Fragen, die ihn damals beschäftigten, finden in künstlerisch verfremdeter Form Ausdruck in seinen Zeilen: Worauf arbeite ich hin, wie fühlt es sich an, zurückzuschauen?
Vieles entsteht erst bei der Arbeit im Kollektiv
Eine der ersten Proben findet in einem weißen Konferenzraum statt, der ganz anders ist als die verwinkelten schwarzen Räume des Clubs. Kaspar, der Protagonist des Stücks, erinnert sich an den Moment, in dem er das Mädchen gesehen hat, das Auslöser für das riesige Chaos in seinem Kopf werden soll. „Sie ist es“, sagt Lara Haucke, die Kaspar spielt.
An einer Wand steht ein Whiteboard, an der anderen ein Konferenztisch. Die Kulturinsel vermietet solche Räume als Arbeitsplätze an Firmen und Privatpersonen, um ihr reichhaltiges Kulturangebot aufrechtzuerhalten. Nach den Sommerferien gehen die Proben für „Surreale Realität“ erst so richtig los, dann auch in den originalen Räumlichkeiten.
Jetzt sitzen Wolpert, Frühauf und Haucke erst einmal am Tisch und besprechen die Texte. „An dieser Stelle wollen wir eine Staccato-Sprache haben“, sagt Wolpert. „Das muss richtig panisch sein, weil du auf einem Trip bist.“
Der junge Regisseur weiß genau, was er will. Bei Tacheles und Tarantismus werden allerdings auch Bausteine der Probenarbeit auf die Gruppe ausgelagert. Vieles entsteht im Kollektiv. „Ich weiß noch nicht, wie es am Ende wird“, lacht Haucke. „Aber das liebe ich daran!“