Nur wenn der Unionskandidat doch noch Kanzler einer Jamaika-Koalition würde, kann er sich als CDU-Chef halten. Viele in der Partei planen schon für das „Worst-Case-Szenario“ Opposition – ohne Laschet.
Berlin - Die Fassade des Konrad-Adenauer-Hauses ist noch im Wahlkampfmodus. „Wählen, was Deutschland stark macht: CDU“ steht da in großen Lettern neben dem Parteilogo. Beim Anblick der Berliner Zentrale deutet nichts auf die historische Demütigung der Christdemokratie hin, die gerade in eine Prozentregion hinabkatapultiert wurde, in der sich nur noch schwer von Volkspartei sprechen lässt. Plötzlich wird an diesem Mittwochabend jedoch eine leuchtende Botschaft auf die Hauswand projiziert: „Herr Laschet, Sie haben die Wahl verloren. Treten Sie zurück! Sofort.“
Die kleine Guerillaaktion ist von der sogenannten Werte-Union initiiert, einem Sammelbecken enttäuschter Konservativer, die eher selten den Nerv der gesamten Parteibasis trifft. Eine richtige Massenbewegung ist es bisher nicht, die so direkt den Rückzug des CDU-Vorsitzenden fordert, aber die Stimmen häufen sich. „Wer übernimmt denn Verantwortung wann?“ fragte Gitta Connemann, die stellvertretende Vorsitzende der geschrumpften Bundestagsfraktion, im ersten Zusammentreffen am Dienstagabend. Am Donnerstag, an Tag vier nach dem Wahldesaster, geht die Junge Union Stuttgart in die Offensive. „Wir dürfen die inhaltliche und personelle Erneuerung nicht auf die lange Bank schieben“, sagt der Kreisvorsitzende Leonard Rzymann, „deshalb sollte Armin Laschet jetzt den Weg dafür freimachen und nicht erst nach wochenlangen Koalitionssondierungen.“
Nichts ist zu hören vom Gang in die Opposition
Genau diese werden jedoch an diesem Donnerstag im Adenauerhaus vorbereitet. Per Videoschalte kommt das Präsidium zusammen, um letzte Details zu klären. Am Sonntagabend treffen Laschet und CSU-Chef Markus Söder auf FDP-Boss Christian Lindner, um auszuloten, ob sie zusammen mit den Grünen eine Jamaika-Koalition bilden könnten. Nichts ist da zu hören vom Gang in die Opposition, den die Wahlverliererin nun antreten sollte – oder wenigstens von Zurückhaltung bis zum möglichen Scheitern der rot-gelb-grünen Ampelgespräche der Gewinnerparteien. Stattdessen setzt die Partei das Segel in Richtung Karibik. „Die CDU will keine Minute verlieren, um eine Zukunftskoalition für Deutschland zu entwickeln“, heißt es aus der Parteizentrale.
Die Aussicht auf den Machterhalt verhindert das ganz große CDU-Chaos
Armin Laschet greift nach seinem letzten Strohhalm. Er weiß selbst, dass er kein sonderlich guter Kanzlerkandidat war, und hat in seiner verkleinerten Bundestagsfraktion auch um Entschuldigung für die Flapsigkeiten und Fehler seiner Kampagne gebeten. Der 60-Jährige glaubt aber immer noch, ein guter Kanzler sein zu können und Grünen wie Liberalen eine bessere Brücke in eine Koalition bauen zu können als SPD-Widersacher Olaf Scholz. Nicht zuletzt verhindert die noch nicht vollends versperrte Aussicht auf den Machterhalt das ganz große CDU-Chaos. Von Disziplinierung und „Stabilisierung“ der parteiinternen Lage ist die Rede.
Die Chance auf ein erneutes Comeback des Mannes, der schon so oft abgeschrieben war, schwinden freilich von Tag zu Tag. Dass Lindner und Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann Jamaika-Fans sind, könnte irgendwann nicht mehr ausreichen. Gerade weil es so viele interne Widersacher gibt, die Laschets Notfallplan durchkreuzen wollen, ist die Union keine so attraktive Partnerin mehr.
Der Bayer Söder hat schon eine rote Linie gezogen, mit der sich Laschet „nicht um jeden Preis“ nach Jamaika retten kann. Nicht beschädigt werden dürfe der „Markenkern der Union“ – von dem manches Parteimitglied nicht mehr weiß, was ihn ausmacht – sagte der CSU-Chef in dieser Woche. Im Frühjahr im Kampf um die Kandidatur unterlegen, wird ihm unterstellt, keinen Doch-noch-Kanzler Laschet zu wollen – sei es um die eigenen Chancen 2025 zu erhöhen oder 2023 bei seinen Landtagswahlen ein gutes Ergebnis einzufahren. Dass Söder selbst Jamaika-Kanzler werden könnte, hält man in CDU-Kreisen für „illusorisch“. Dafür hat das stete „friendly fire“ aus München im Wahlkampf zu viel Schaden angerichtet.
Am größten ist die Fraktion derer, die Laschet noch eine Schonfrist gewährt
Die nächste Stichelei der kleinen Schwester lässt nicht lang auf sich warten. Kaum sind am Donnerstag die zehn Namen des CDU-Sondierungsteams öffentlich, kommt aus dem Süden der Hinweis, dass die Lehre aus den gescheiterten Jamaika-Gesprächen 2017 kleinere Teams für größere Vertraulichkeit seien.
Am größten ist die Fraktion derer, die Laschet noch diese letzte Schonfrist gewährt. Sie endet aber in der Sekunde, wenn die Ampel auf Rot, Gelb und Grün springt. „Sobald die Option Jamaika weg ist, ist auch Laschet weg“, heißt es ausgerechnet aus dem Umfeld seines Zukunftsteams. „Die Fraktionssitzung am Dienstag hat klar gezeigt“, sagt ein Abgeordneter, „dass Laschet dann weder Parteichef bleiben noch Fraktionschef werden kann – das weiß er auch.“
Der dort gefundene Kompromiss, Ralph Brinkhaus nur bis Ende April statt für ein ganzes Jahr zu wählen, hat zwei Seiten. Laschet könnte, wenn sein Traum vom Kanzleramt platzt, kurz darauf Oppositionsführer im Bundestag werden – die Position, auf die es für einen CDU-Chef dann vor allem ankommt. Seine Gegner kalkulieren anders. Sie begrüßen den Kompromiss, weil er nach dem Aus für Jamaika und Laschet genug Zeit ließe, um in den ersten Monaten die Mitglieder an der Suche nach einem neuen Vorsitzenden zu beteiligen. Laschets Nachfolger soll dann in Personalunion die Fraktion führen – und in vier Jahren die Macht zurückerobern.
Armin Laschet hat, wie ihm Vertraute bescheinigen, Nerven aus Stahl
Vier Männer haben sich schon ein wenig aus der Deckung gewagt. Offiziell nur als mögliche Fraktionschefs, inoffiziell aber wohl auch für eine Zeit nach Laschet. Norbert Röttgen und Friedrich Merz, die bei der Wahl im Januar den Kürzeren gezogen hatten, waren in den Fraktionskompromiss eingebunden. Der 56-Jährige und der 65-Jährige stünden nicht gerade für einen Generationswechsel, was bei Carsten Linnemann (44) oder Jens Spahn (41) schon etwas anders wäre – der Gesundheitsminister hat jedoch an Ansehen in der Partei eingebüßt.
Armin Laschet kennt diese Überlegungen, hat aber, wie ihm Vertraute bescheinigen, Nerven aus Stahl. Er kämpft weiter darum, das Büro im sechsten Stock des Adenauerhauses zu behalten und sich mit gelb-grüner Hilfe zum Kanzler wählen zu lassen.