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Die Grünen-Chefin Claudia Roth will trotz vieler Optionen ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen. Sie hofft, dass die Grünen die dritte Kraft werden. Ein Interview.

Berlin - Die Grünen-Chefin Claudia Roth will trotz vieler Optionen ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen. "Wir sind nicht beliebig", sagt sie und hofft, die dritte Kraft vor der FDP zu werden. Hier das Interview:

Frau Roth, liefern Sie und die SPD mit der Debatte um mögliche rot-rot-grüne Bündnisse auf Landesebene dem bisher farblosen Merkel-Wahlkampf jetzt die Munition?Ich glaube nicht , dass das wirklich noch mobilisiert. Wenn Frau Merkel darauf gesetzt hat, war das sicher ein strategischer Fehler. Denn bei allen Vorbehalten gegenüber Studien zur Wählerwanderung gibt es Hinweise auf eine massive Wählerwanderung sowohl im Saarland als auch in Thüringen von der strukturkonservativen CDU zur ebenfalls strukturkonservativen Linkspartei. Auf so unterschiedlichen Planeten sind diese Wählerschichten gar nicht unterwegs.

Sie erwarten also keinen Lagerwahlkampf zwischen bürgerlicher Mitte und dem größer werdenden linken Potenzial?Bundeskanzlerin Merkel verweigert sich bislang vollständig dem Wahlkampf. Sie präsidiert und gibt keine Antworten nach dem Motto: Bloß nicht anecken, bloß kein Thema benennen, über das man mit der Union kontrovers diskutieren könnte. Aber damit kommt sie nicht mehr durch. Sie glänzt nicht mehr, sondern scheint nur noch.

Wurde Steinmeier bestätigt, indem er für die Länder freie Fahrt für rot-rote Bündnisse gegeben hat?Es hat der SPD nicht geschadet, sie hat sich auf niedrigem Niveau stabilisiert. Davon ausgehend könnte sie jetzt durchstarten. Aber wir haben keine Stimme abzugeben und keinen Mitleidsbonus zu verteilen. Wir kämpfen auf eigene Rechnung, wir führen keinen rot-grünen Wahlkampf. Die SPD muss erklären, was Sozialdemokratie heutzutage bedeutet, und ihre Klientel überzeugen, dann ist der Politikwechsel möglich. Die SPD sollte dabei jetzt nicht versuchen, sich wieder in die Große Koalition hineinzukuscheln.

Läuft der Wahlkampf bei Ihnen ähnlich fad wie bei SPD und Union?Nein, unsere Wahlprogramme gehen weg wie warme Semmeln. Der Wahlkampf von Union und SPD geht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Im politischen Dunstkreis hat sich der Eindruck breitgemacht, die Wahl sei schon entschieden. Was stört ist, dass da noch Wähler und Wählerinnen sind, die abstimmen. Union und FDP haben die Ministerien schon unter sich aufgeteilt. Dabei wollen die Menschen vor allem eines wissen: Wo bleibt die Gerechtigkeit bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise? Sie nehmen niemandem ab, dass angesichts der Staatsverschuldung Steuersenkungen drin sind.

Nehmen es Ihnen Ihre Wähler ab, wenn die Grünen jetzt einen steuerpolitischen Wahlkampf führen und der FDP Konkurrenz als grüne Wirtschaftspartei machen?Es ist ein Durchbruch, dass wir inmitten einer Wirtschaftskrise in drei strukturschwachen Ländern in die Landtage gewählt werden - in einer Zeit, in der die Menschen Angst haben, weil die Arbeitslosigkeit steigt, wo Kurz- und Zeitarbeitsregelungen ausgelaufen sind. Und das in Regionen, wo es hieß, die Grünen könnte man sich in schlechten Zeiten gar nicht leisten. Die Leute fragen uns, wie wollt ihr eine Million Jobs schaffen - wie geht das? Sie hören uns also zu, auch wenn wir keine einfachen Antworten haben. Und sie vergleichen, denn sie haben nicht vergessen, wer ihnen vor der letzten Wahl beispielsweise versprochen hat, dass die Mehrwertsteuer nicht steigt, und sie dann doch erhöht hat.

Mit wem wollen Sie denn Ihre Ziele erreichen?Mit dem, der nicht für die Atomkraft ist, sich nicht einer Mindestlohnregelung verweigert und keinen Überwachungsstaat aufbauen will. Ich kann mir Schwarz-Grün also beim besten Willen nicht vorstellen. Die SPD ist uns deutlich am nächsten - bei aller Kritik. Aber wir gehen ohne Koalitionsaussage in die Wahl, weil wir weder Anhängsel noch Juniorpartner, sondern eigenständig grün sein wollen - das ist neu an diesem Wahlkampf. Es geht um uns, um soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz, um neue Jobs durch neue Technologie. Was wir ausschließen, ist Jamaika, weil wir nicht Mehrheitsbeschaffer sein wollen, wenn Schwarz-Gelb keine Mehrheit für ihre neoliberale Politik bekommen. Wir wollen dritte Kraft im Bund werden und einen Politikwechsel hinbekommen. Maßstäbe sind aber immer unsere Inhalte, und die liegen klar auf dem Tisch.

Fällt bei Ihnen und der Basis diese Besinnung auf grüne Wurzeln und Werte deshalb so selbstbewusst aus, weil es Sie angesichts der dramatischen Krisenlage gar nicht unbedingt in die Regierungsverantwortung drängt?Nein, überhaupt nicht. Über unsere Inhalte wird doch deutlich, mit wem was geht und was nicht. Die Grünen ergötzen sich nicht an vermeintlicher Oppositionssehnsucht - gerade unsere Anhänger erwarten, dass wir unsere Inhalte auch an die Macht bringen.