Schon 70!: Theater- und Opernregisseur Christoph Marthaler. In Stuttgart inszenierte er zuletzt im Opernhaus „Hoffmanns Erzählungen“. Foto: dpa/Ina Fassbender

Der Sinn fürs Absurde, die Schönheit des Schweigens – und wofür der vielfach ausgezeichnete Schweizer Theater- und Opernregisseur noch alles gefeiert werden sollte.

Stuttgart - Konsterniert, mindestens etwas erschreckt, mit fragenden Gesichtern, oder irgendwie abwesend, mit großem Ernst und eleganten Bewegungen die banalsten Dinge vollführend, Stühle schiebend, mit Trompeten gegen die Wand blasend, gern viele Male hintereinander. So sind die Schauspieler, Sänger, Musiker in den Inszenierungen des am 17. Oktober 1951 in der Schweiz geborenen Künstlers Christoph Marthaler zu erleben.

Sie singen murmelnd „ich weeeiß nicht, waaas ich will. Ich möcht’ am lieeebsten steeer-ben“, während eine coole Frau mit Sonnenbrille rabiat einen unterm Klavier liegenden Mann hervorzieht – wie in „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ im Jahr 2016, in Marthalers Abschiedsinszenierung zum Ende von Frank Castorfs Intendanz an der Volksbühne Berlin.

Marthaler-Abende in Stuttgart

Was den Humor betrifft: zwischen Buster Keaton und Stan & Olli. Dazu Musik. Oft, aber nicht immer, folgt irgendwann ein Text, gesprochen oder gesungen. Lustig sind sie oft, mit Sinn fürs Absurde, für die Poesie der Langsamkeit, melancholisch, pointenreich, bissig, politisch, die Marthalerabende.

Mit herzergreifend schiefen Tönen im Theater, wie etwa in den „Seemannsliedern“, 2005 bei Theater der Welt in Stuttgart; mit Notenheft und virtuosem Gesang in der Oper. In Stuttgart zuletzt im Jahr 2016 inJacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“.

Zwischendurch hat vielfach ausgezeichnete Marthaler mit wechselndem Geschick Institutionen geleitet, das Schauspiel Zürich, das Festival Ruhrtriennale. Dass dies hinter ihm liegt, erfreut Freunde der Kunst, weil er mehr Zeit für ebendiese hat und die Kunst immer auch in seinen Arbeiten reflektiert.

Kurz vor Weihnachten gibt’s in der Staatsoper München Léhars Operette „Giuditta“, inszeniert von dem Duo Christoph Marthaler und Anna Viebrock, die dem Regisseur immer wieder surreale Bühnenbilder baut.

„Der letzte Pfiff – ein Drehschwindel“ ist in seiner alten Wirkungsstätte, dem Theater Basel, fürs Jahr 2022 geplant. Dass er und die Künstler, die ihn seit Jahrzehnten begleiten, den ersten Teil des Titels nicht wörtlich nehmen mögen, ist ihm und einem Publikum zu wünschen, das in der Kunst Fragen mehr schätzt als Antworten.