Christo 2018 vor seinem Werk „The Mastaba“ im Londoner Hyde Park: Eine viel größere Variante davon plante er für Abu Dhabi. Foto: AFP/Niklas Hallen

Der Künstler und Reichstags-Verhüller Christo ist im Alter von 84 Jahren gestorben. In einem seiner letzten Interviews vor einigen Wochen sprach er auch darüber, wie es nach seinem Tod mit seinem Werk weitergehen soll.

New York - Die Bilder des verhüllten Reichstags gingen im Juni 1995 - vor genau einem Vierteljahrhundert - um die Welt und brannten sich auch ins kollektive Gedächtnis der Deutschen ein. Wenige Jahre nach dem Fall der Mauer hatten der in Bulgarien geborene Künstler Christo und seine Frau Jeanne-Claude mit dem Kunstprojekt das Symbol für eine Art Neuanfang des wiedervereinten Deutschlands geschaffen.

Unter anderem darüber und über seinen anstehenden 85. Geburtstag am 13. Juni sprach Christo noch Mitte April in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in New York – und wirkte dabei konzentriert, fröhlich und voller Energie. Das im folgenden dokumentierte Gespräch ist nun eines der letzten Interviews überhaupt des am 31. Mai 2020 in New York verstorbenen Künstlers.

Dieses Interview sollte eigentlich bei Ihnen im Studio stattfinden, Christo. Sie haben immer wieder gesagt, dass Sie keine Telefoninterviews mögen. Aber die Corona-Pandemie zwingt uns dazu. Deswegen auch das Wichtigste zuerst: Wie geht es Ihnen?

Ja, danke, das verstehe ich. Mir geht es gut. Ich arbeite in meinem Studio.

Sie werden am 13. Juni 85 Jahre alt, ihre 2009 gestorbene Frau Jeanne-Claude wäre an diesem Tag ebenfalls 85 geworden. Was sind Ihre Pläne?

Jeanne-Claude und ich haben unsere Geburtstage nie gefeiert. Unsere Partys waren immer unsere Projekte. Unsere Geburtstage haben wir dagegen immer sehr privat verbracht, ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern. Natürlich ist es gut, dass ich 85 Jahre überlebt habe. Aber das ist auch der Grund, warum ich nie Retrospektiven mochte: Ich schaue nicht gerne zurück. Das braucht so viel Anstrengung. Ich habe immer gesagt, die Leute sollen Retrospektiven über mein Werk machen, wenn ich tot bin. Dann haben sie alle Zeit und ich bin nicht mehr da. Es geht für mich darum, gesund zu sein und neue Werke zu schaffen.

Eines Ihrer berühmtesten Kunstprojekte war die Verhüllung des Reichstags in Berlin, die im Juni genau 25 Jahre her ist. Was bedeutet dieses Projekt heute rückblickend für Sie?

Ich hatte schon seit den 60er Jahren daran gearbeitet. Wie mit allen unseren Projekten war die größte Herausforderung daran, die Erlaubnis zu bekommen. Da kann man nicht einfach nur einen Brief schreiben, da muss man sich wahnsinnig engagieren. Die Erlaubnis für die Verhüllung des Reichstag musste vom Bundestagspräsidenten kommen. Wir haben uns unglaublich angestrengt - und wir haben sechs Bundestagspräsidenten verschlissen. An einem guten Tag im Jahr 1988 ist dann Rita Süssmuth zur Bundestagspräsidentin gewählt worden. Sie hat Jeanne-Claude und mich in ihr Haus nach Bonn eingeladen, um mit ihr zu reden. Ich sage immer, wenn Rita Süssmuth nicht gewählt worden wäre, hätte das Reichstags-Projekt nicht stattgefunden. Sie hat darauf bestanden, dass das Projekt im Bundestag diskutiert und darüber abgestimmt wird. Jeanne-Claude und ich haben dann unzählige Stunden damit verbracht, Bundestagsabgeordnete zu besuchen, uns vorzustellen, ihnen das Projekt zu erklären und sie darum zu bitten, für uns zu stimmen. Manchmal mussten wir sogar mit ihrer Wählerschaft reden - in Kindergärten oder Schulen zum Beispiel. Danach hat Rita Süssmuth dann ihre Stimmen in der CDU gezählt und hat uns gesagt, dass wir keine Mehrheit haben, dass wir verlieren werden. Ich war am Boden zerstört. Jeanne-Claude war schon wieder zurück in New York und ich war völlig neben mir, aber sie haben mich gebeten, dass ich nach der Abstimmung eine Pressekonferenz geben soll. Während der Debatte saß ich mit einem Übersetzer auf den Besucherplätzen. Und dann haben wir die Abstimmung doch gewonnen - mit 69 Stimmen mehr. Das war unglaublich und völlig unerwartet, enorm.

Warum gerade der Reichstag?

Ich bin nicht deutsch. Ich bin aus dem Sowjet-Block geflohen. Dort gab es so viel Verfolgung, es war so schrecklich, ich rede da nicht gerne drüber. Ich war seit 1956 nicht mehr in Bulgarien, ich bin nie wieder zurückgegangen. Nie wieder. Für mich war das unmenschlich, wie die Menschen im sowjetischen Block behandelt worden sind. Dann habe ich in Paris gelebt, staatenlos, und mir gedacht, ich muss etwas machen, was meine Angst zeigt. Und der einzige Ort der Welt, an dem sich der Osten und der Westen auf dramatische Art und Weise getroffen haben, war Berlin. Deswegen wollte ich den Reichstag verhüllen, das einzige Gebäude, das unter der Aufsicht von allen Beteiligten war. Wir hatten auch schon vor dem Fall der Mauer mit den Sowjets darüber verhandelt, aber da gab es immer Probleme.

Welches Ihrer Projekte ist für Sie das wichtigste?

Wie auch Jeanne-Claude das immer gesagt hat: Es gibt Bilder unseres Lebens. und die haben alle die gleiche Bedeutung. Aber natürlich sind viele Projekte nie realisiert worden, die haben dann nicht dieselbe Bedeutung für uns.

Sehen Sie einen Nachfolger?

Nein. Wenn es mich nicht mehr gibt, dann sollte niemand diese Projekte umsetzen. Die Projekte sollten verwirklicht werden, solange ich noch am Leben bin.

Gibt es denn ein bestimmtes Projekt, dass Sie unbedingt noch verwirklicht sehen wollen?

Wir arbeiten schon seit vielen Jahren an „Mastaba“, einer Skulptur aus Ölfässern in Abu Dhabi. Aber wir arbeiten immer an mehreren Projekten gleichzeitig, nicht immer nur an einem, denn wir wissen nie, ob es auch wirklich stattfinden kann.

Zur Person

Der aus Bulgarien stammende Christo war für seine großen Installationen bekannt. Jahrzehntelang arbeitete der Künstler mit seiner Frau Jeanne-Claude zusammen, bis sie 2009 starb. Das Paar verhüllte unter anderem den Reichstag in Berlin, die Pariser Brücke Pont Neuf und stellte im New Yorker Central Park Tausende Tore auf. Christo starb am 31. Mai 2020 in New York im Alter von 84 Jahren.