Christian Müller ist der weltweite Kommunikationschef bei Car2go, Daimlers Carsharing-Anbieter. Der Diplom-Kaufmann und Kommunikationsfachmann war zuvor in verschiedenen Positionen in der Finanzdienstleistungs- und Mobilitätssparte bei Daimler tätig. Foto: privat

Christian Müller vom Carsharingdienst Car2go ist überzeugt, dass Menschen auch in Zukunft ein eigenes Auto haben werden.

Stuttgart - Christian Müller vom Carsharingdienst Car2go berichtet über die Entwicklung der Automobilindustrie zum Thema Elektromobilität und wie die Zukunft der Mobilität aussehen wird.

Herr Müller, US-Forscher machen sich Sorgen um die deutsche Autoindustrie: Unter anderem Daimler habe nicht verstanden, wie schnell der turbulente Wandel die Automobilindustrie treffen würde. Verschläft Daimler eine Entwicklung?
Die amerikanischen Kollegen stellen gern zugespitzte Thesen auf, ich sehe das nicht ganz so. Wir sehen uns da ganz gut aufgestellt.
Dem Silicon-Valley-Unternehmer und Stanford-Dozenten Tony Seba zufolge sollten Sie sich auf der Stelle ein neues Geschäftsmodell suchen . . .
Kaum ein anderes Unternehmen hat so früh und so konsequent in die Veränderung investiert wie Daimler. Wir sagen schon lange, dass die Zukunft des Autos autonom, geteilt und elektrisch ist. Nehmen Sie nur das Beispiel des free-floating Carsharings von Car2go. Der Start ist fast zehn Jahre her. Und heute betreiben wir vollelektrische Flotten in den Großstädten der Welt und lernen jeden Tag dazu für das Zeitalter des autonomen Fahrens.
Nehmen Sie die Elektromobilität ernst genug?
Wenn Sie die Kunden anschauen, dann stellen Sie fest, dass wir schon seit vielen Jahren Elektrofahrzeuge haben, aber die wenigsten kaufen eins. Auch hier spielt das Carsharing eine wichtige Rolle. Jeden Tag fahren mehr als 10 000 Menschen einen Elektro-Smart oder -Mercedes von Car2go. Viele davon zum ersten Mal. So wird die Elektromobilität für viele erst greifbar und alltagstauglich.
Wird sich das Verhalten der Kunden rasant ändern, wenn die Technologie günstiger wird?
Darum bringt Daimler bis 2022 insgesamt mehr als zehn rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge auf den Markt. Darüber hinaus werden wir das gesamte Mercedes-Benz-Portfolio elektrifizieren und unseren Kunden so in jeder Mercedes-Benz-Baureihe mindestens eine elektrifizierte Alternative anbieten – vom Kompaktwagen bis zum großen SUV.
Gerade wir Deutschen glauben sehr an das Konzept des eigenen Autos. Ein Denkfehler?
Aus unserer Sicht wird es immer beides geben: das eigene Auto und das Carsharing. Das gilt auch für das autonome Fahren. Wir hatten erst kürzlich im Haus die Debatte, ob das autonome Fahren zu mehr Carsharing führen wird oder zu mehr individualisierten Fahrzeugen, die wir uns ganz persönlich einrichten. Es wird beides geben. Der Autobesitz wird sich nicht in 15 bis 20 Jahren erledigen.
In US-Großstädten steigt der Markt für sogenanntes Transport as a Service rapide an. In New York City nutzen schon heute 500 000 Passagiere pro Tag Transportdienste wie Uber – dreimal mehr als im Jahr zuvor. Unterschätzen Sie das?
Nein, im Gegenteil. Und im Gegensatz zu Uber haben wir Erfahrung in der intelligenten Steuerung von Flotten. Das wird künftig ein wichtiger Vorteil sein, denn autonome Flotten sind etwas anderes als Tausende von Taxifahrern, die mit ihrem eigenen Kopf und quasi zufällig durch die Stadt fahren.
Sie spielen auf die Demand Prediction an, die Vorhersage, wo wann ein Fahrzeug gebraucht wird?
Genau. Car2go steuert schon heute 14 000 Fahrzeuge: Da muss alles geplant werden, vom Reifenwechsel bis zum Stellplatz. Mit Mytaxi, Moovel und Car2go haben wir all die Daten, um daraus Wissen zu generieren. Das tun wir gerade in zahlreichen Simulationen. Zudem muss man das alles zentral steuern, davon bin ich überzeugt. Das wird nicht die Schwarmintelligenz regeln, wahrscheinlicher ist eine zentrale Flottenintelligenz. Jede Bewegung eines Fahrzeugs in einer Stadt hat Auswirkungen auf alle anderen. Das sind zu viele Daten für ein verteiltes System.
Wird das mit Elektrofahrzeugen und deren Ladezyklen aufwendiger?
Ja, das wird noch aufwendiger. Autonome Flotten in der Stadt werden bis 2030 vollelektrisch sein. Smart Maintenance, also ein intelligenter, lernorientierter Betrieb, wird ein großes Thema, vom Laden bis zum Wischwasser-Nachfüllen. Und auch die Flottensteuerung ist nicht ganz trivial: Es kann nicht einfach immer das nächste Fahrzeug auf dem kürzesten Weg den Fahrgast abholen. Da ist nach einem VfB-Spiel schnell die ganze Stadt leer von Autos – aber da werden trotzdem Fahrzeuge gebraucht. Das alles muss gut geplant werden. Und wir sind ein Anbieter von wenigen, die jetzt schon Daten dazu sammeln und das simulieren: Zentral für alle 26 Städte steuern wir im Car2go-Headquarter den Bedarf – und wir verfeinern unseren Algorithmus ständig.