Zugänglich und zupackend: der Theater-Intendant Christian Holtzhauer Foto: Mannheimer Nationaltheater

Er gehört zu einer neuen Generation von Theaterleitern: Christian Holtzhauer, der neue Schauspiel-Chef des Mannheimer Nationaltheaters, geht unverkrampft auf Menschen zu – und will sie mit einem Programm der Vielfalt für sein Haus gewinnen.

Stuttgart - Von der Last der Verantwortung lässt er sich nicht niederdrücken, ebenso wenig von der Tradition des Hauses, dem die Verantwortung gilt: Christian Holtzhauer, der neue Schauspiel-Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, sitzt hemdsärmelig am Tisch und plaudert über seine Arbeit. Wie sein Spielplan aussieht, warum darin das 20. Jahrhundert häufig auftaucht, weshalb die Mischung der Perspektiven fruchtbar ist und was ihn an Mannheim reizt – und als das Gespräch vorbei ist, bietet er für Nachfragen umstandslos seine Handy-Nummer an. Letzteres klingt banal, ist es aber im Theaterwesen keineswegs: Noch immer ist der Zugang zu Intendanten so feudal organisiert wie der Betrieb selbst – und wer als Journalist zu, sagen wir, Claus Peymann vordringen will, fühlt sich wie bei Kafka: Man nimmt Hürde um Hürde, um schließlich doch nicht zur Audienz des Bühnenpapstes zu gelangen. Und nun das: Kulturrevolution. Direktverbindung zum Chef.

Holtzhauer, geboren 1974 in Leipzig, ist Vertreter einer neuen Generation von Intendanten. Er fühlt sich nicht als Patriarch, sondern als Teamplayer. Er regiert nicht autoritär, sondern kollegial. Er schottet sich nicht ab, sondern zeigt sich auch jenseits des unverkrampften Umgangs mit Mobilnummern zugänglich und zupackend – Eigenschaften, die ihn mit seinem Amtsvorgänger Burkhard Kosminskiverbinden, der Mannheim verlassen hat, um das Stuttgarter Schauspiel zu übernehmen. Dass sich die beiden Chefs in ihrem uneitlen Selbstverständnis ähneln, mag ein gutes Omen fürs Nationaltheater sein. Kosminski hat dort nämlich zwölf Jahre lang spannendes Autorentheater auf die Bühne gebracht. Holtzhauer will es ihm nun nachtun, nur anders: Autorentheater für Zeitgenossen, dazu aber in der ersten Spielzeit – dem Genius loci verpflichtet – zweimal Schiller und eine Reihe von Projekten, die von seiner interkulturellen Mannschaft gewuppt werden sollen. „Ich biete keinen Gemischtwarenladen an. Aber eine vielfältige Gesellschaft braucht vielfältiges Theater“, sagt der Schauspiel-Mann des Nationaltheaters, des größten, kommunal geführten Vierspartenhaus Europas: Neben dem Schauspiel gibt es noch Jugendtheater, Oper und Ballett.

Zur Eröffnung stürmen Schillers „Räuber“ heran

Mit Nationaltheatern kennt sich der 44-jährige Holtzhauer aus. In Deutschland gibt es zwei davon. Als Theatermanager, der selbst nicht Regie führt, kommt er geradewegs vom anderen, von jenem in Weimar. Unter der Intendanz von Hasko Weber – mit ihm war er auch in Stuttgart – leitet er dort seit 2013 das Kunstfest. In diesem August findet die letzte, von ihm kuratierte Ausgabe des Festivals statt. Thema: Wie das Bauhaus vor hundert Jahren nach Weimar kam und die Welt veränderte. Doch die zeitgleich mit der Gründung der Kunstschule zum Nationaltheater umgetaufte Bühne, sagt Holtzhauer, müsse sich hinter Mannheim anstellen, wo es seit 1777 das originale Nationaltheater gibt, als Theater des Bürgertums in strikter Opposition zum Repräsentationstheater der Aristokratie: „Mannheim war von Anfang an ein modernes, selbstbewusstes Haus, das mit Mut und Witz auf die Bedürfnisse des Publikums einging.“ Stimmt. Als 1782 in der Quadrate-Stadt Schillers „Räuber“ zur Uraufführung kamen, lösten sie einen Skandal aus – und aus Verbeugung vor der großen Tradition des Hauses startet der in historischen Kategorien denkende Holtzhauer seine Intendanz nun just mit diesem schöpferischen Urknall.

Die „Räuber“ stürmen und drängen also am letzten September-Wochenende unter der Regie von Christian Weise auf die Bühne. Und wenn man schaut, welche Stücke, Stoffe, Themen auf den Schiller-Klassiker folgen, schaut man auch schon in die Herzkammer der Mannheimer Dramaturgie: Ebenfalls zur Eröffnung steuert die neue Hausautorin Enis Maci das Stück „Mitwisser“ bei, eine Reise um die Welt auf den Spuren der Gewalt – und zu vermuten steht, dass die in Gelsenkirchen geborene Jungautorin mit Migrationshintergrund so erfolgreich werden will, wie es der Schweizer Lukas Bärfuss schon ist. Denn auch er trägt sein Scherflein zum Opening bei. Der Titel des von ihm eigens für Mannheim geschriebenen Dramas: „Der Elefantengeist“. Das Thema: der aus dem benachbarten Ludwigshafen stammende Helmut Kohl. Und das Projekt: ein Coup!

Regionale Stoffe von überregionaler Bedeutung

Kohl, Weltpolitiker und Biedermann in Personalunion, wird in dieser Groteske als auftretende Figur nicht vorkommen. Dafür aber Kohls Geist, der im Bonner Kanzlerbungalow sieben aus der Zukunft angereiste Wissenschaftler in Bann schlägt. Dass die von Sandra Strunz zu besorgende Uraufführung des spukenden „Elefantengeists“ über die Kurpfalz hinaus mit Interesse verfolgt werden wird, darf als sicher gelten: ein regionaler Stoff von überregionaler Bedeutung – und ein ähnliches Gespür für Relevanz und Marketing beweist Holtzhauer mit der Verpflichtung des vom Darmstädter Theater kommenden Samuel Koch. Seit seinem Wettunfall bei „Wetten, dass?“ sitzt der Schauspieler querschnittsgelähmt im Rollstuhl, im Oktober gibt er in „Judas“ seinen Mannheimer Einstand. „Unabhängig von der Behinderung ist Koch ein toller Schauspieler“, sagt der Theaterchef, „er ist in der Lage, seine soziale Erfahrung auf der Bühne abzubilden.“

Und genau das ist Holtzhauer wichtig: soziale Erfahrung zeigen mit dem Effekt, dass sich Zuschauer in den Biografien der Darsteller wiederfinden, dass sie sich von ihnen angemessen repräsentiert fühlen. „Wenn sie Ihresgleichen auf der Bühne sehen, kommen sie wieder“ – und auch darum setzt er mit seinem Team auf die Vielfalt von Spielern und Spielformen, von Themen und Blickwinkeln. Sein offenes Konzept zielt auf eine offene Gesellschaft und könnte für das dynamische Mannheim mit Industrie, Verkehr und vielen Kulturen genau das Richtige sein. Den Mannheimer jedenfalls nimmt Holtzhauer als sympathisch wahr: bodenständig, direkt, gesprächig, ähnlich wie die Menschen in Berlin, wo er aufgewachsen ist. In einem aber würden sich die beiden Stämme unterscheiden: „Die Rotzigkeit des Berliners dämpft der Mannheimer mit kurpfälzischem Charme ab. Das gefällt mir ausgesprochen gut.“

Wer weiß, vielleicht hilft ihm dieses charmante Publikum auch über die bevorstehenden Jahre der Sanierung hinweg. Es ist ja überall das Gleiche: Wie das Staatstheater in Karlsruhe und das Opernhaus in Stuttgart muss auch das Nationaltheater generalüberholt werden. Die Betriebserlaubnis läuft wegen maroder Haustechnik sowie fehlendem Brand- und Arbeitsschutz 2022 aus. In Gedanken bereitet sich der Intendant deshalb schon jetzt auf die Zeit mit Baustellen und Interimsspielstätten vor. Da er aber nicht nur in künstlerischer Hinsicht ein Boss von kräftiger Statur ist, muss niemandem bange sein: Holtzhauer kann auch einen Bauhelm in aller Souveränität tragen.