Neue Aufenthaltsgenehmigung im Scheckartenformat Foto: Piechowski

Mit Chipkarte will die EU "Maßnahmen für eine einheitliche Einwanderungspolitik" ergreifen.

Stuttgart - Ausländer, die aus Nicht-EU-Staaten stammen, erhalten vom 1.September an einen elektronischen Aufenthaltstitel. Die neue Chipkarte ist für die Stadt logistisch und finanziell ein Kraftakt. Die Polizei kann die Sicherheitsmerkmale der Plastikkarte noch gar nicht nutzen.

Der 1.September 2011 ist für rund 80000 Ausländer, die derzeit in Stuttgart leben, ein wichtiges Datum: An diesem Stichtag wird der sogenannte elektronische Aufenthaltstitel (eAT) eingeführt - eine Chipkarte, auf die neben den Personalien und der behördlichen Aufenthaltserlaubnis auch Unterschrift, Augenfarbe, Größe, ein Porträtfoto und zwei Fingerabdrücke gespeichert werden.

Im August 2011 lebten in Stuttgart offiziell 125737 Ausländer. Die Chipkarte ist aber nur für die rund 80.000 Ausländer aus sogenannten Drittstaaten vorgesehen, die keinen deutschen Pass oder den Pass eines anderen EU-Landes besitzen. Sie müssen künftig - vom Säugling bis zum Greis - zum Nachweis des legalen Aufenthalts jeder eine eigene Chipkarte besitzen. Ab einem Alter von sechs Jahren werden erstmals die Fingerabdrücke gespeichert; im Alter von zehn Jahren kommt die Unterschrift hinzu.

Für Ausländer eine kostspielige Neuerung

Für die Stadt Stuttgart ist die Chipkarte, die am 1.September in allen EU-Staaten mit Ausnahme Dänemarks und in England eingeführt wird, eine große Herausforderung. "Anfangs werden wir gezwungen sein zu improvisieren", meint Harald Zagroll, Abteilungsleiter im Amt für öffentliche Ordnung. Im Vergleich zur alten Aufenthaltserlaubnis, die mit einem Klebeetikett in den Pass eingefügt wurde, bedeutet die Chipkarte von der ersten Antragsstellung bis zur Freischaltung diverser Zusatzfunktionen erhebliche Mehrarbeit. Dafür hat das Ordnungsamt 15 zusätzliche Stellen beantragt, wovon 7,5 Stellen bewilligt wurden. Personalkosten pro Jahr: 420.000 Euro.

Manche Aufenthaltserlaubnis gilt nur wenige Monate, etwa bei Praktikanten großer Unternehmen oder bei Flüchtlingen ohne Asyl. Die übliche Geltungsdauer liegt bei zwei bis drei Jahren. Auch wenn der Pass eines Ausländers abläuft, muss die Chipkarte neu erstellt werden. "Wir gehen davon aus, dass wir nach der Anlaufphase rund 26.000 Chipkarten Jahr für Jahr neu beantragen oder gespeicherte Daten bearbeiten müssen", sagt Gerda Kinateder, Leiterin der Stuttgarter Ausländerbehörde. Bis spätestens 30.April 2021 muss die Chipkarte EU-weit flächendeckend eingeführt sein.

Für die Ausländer ist die Chipkarte eine kostspielige Neuerung: Ist die Aufenthaltserlaubnis länger als ein Jahr gültig, kostet die bei der Bundesdruckerei hergestellte Karte 110 Euro Gebühr. Zum Vergleich: Die gleiche Erlaubnis auf einem Klebeetikett kostete bisher 60 Euro. Immerhin verspricht die Chipkarte einige Komfortfunktionen wie den elektronischen Identitätsnachweis oder die elektronische Signatur für Internetdienste. Von den 110 Euro Gebühren behält die Stadt 30,80 Euro, was laut Abteilungschef Zagroll "kaum kostendeckend" ist.

 Bisher haben die Behörden noch keine Lesegeräte für Chipkarten

Mit der Chipkarte will die EU-Kommission "Maßnahmen für eine einheitliche Einwanderungspolitik" ergreifen. Laut der entsprechenden EU-Verordnung soll die Chipkarte besonders fälschungssicher sein und somit "zur Verhinderung und Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des illegalen Aufenthalts" beitragen. Wenn die Karte europaweit eingeführt ist, könnten auch die nationalen Sozialbehörden erstmals Personendaten untereinander abgleichen.

Das höhere Maß an Sicherheit, das Brüssel verspricht, gibt es aber nicht umsonst. Um die im Chip gespeicherten Daten auch außerhalb der Ausländerbehörde einsehen zu können, benötigen Sicherheitsbehörden wie Polizei oder Zoll geeignete Lesegeräte. Davon ist man aber offenbar wegen Problemen mit der Hard- und Software noch weit entfernt, teilt das Stuttgarter Innenministerium auf Anfrage mit. "2013 wollen wir bei der Polizei mit der Einführung mobiler Lesegeräte für die Chipkarte beginnen", sagt ein Sprecher des Ministeriums. "Bis 2015 soll es landesweit 250 Geräte geben."

"Die Chipkarte überfordert uns noch alle", sagt ein baden-württembergischer Polizeibeamter. Die verzögerte Umsetzung im Südwesten löst bei Fachleuten in der Bundespolitik nur Kopfschütteln aus. Ein Fachmann, der sich nicht namentlich äußern mag, fasst die Kritik zusammen: "Seit drei Jahren wissen alle, was mit der Chipkarte auf uns zukommt - da kann keiner sagen, er hätte sich nicht vorbereiten können."