Die Geschwister mitten in Stuttgart, in der Stadt, die ihr Zuhause ist. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Für zwei junge Leute geht trotz Abi und Jobangeboten nichts voran. Ihr Fehler: Sie sind Kinder einer Chinesin, die vor 25 Jahren illegal eingereist ist. Sie dürfen nicht arbeiten und fürchten die Abschiebung nach China.

Stuttgart - Die Kinder sind geradezu ein Musterbeispiel gelungener Integration“, sagt Siegfried Kasper. Deshalb vertritt der Rechtsanwalt und ehemalige Stuttgarter Verwaltungsrichter nun die Interessen von Yu-Hong, einem bildhübschen 20-jährigen Mädchen, und deren lausbübisch wirkenden 18-jährigen Bruders Ruiyu.

Aufgewachsen sind Yu-Hong und Ruiyu mitten in Stuttgart, beide sprechen perfekt Deutsch. Yu-Hong hat die Realschule abgeschlossen, Ruiyu hat dieses Jahr Abitur gemacht. Beide sind nur geduldet in Deutschland. Die Geschwister wollen ihren echten Namen nicht nennen, denn ihre Altersgenossen wissen bis heute nichts von Yu-Hongs und Ruiyus Status. Beide haben keinen Pass und durften nicht mit zu Klassenfahrten oder zum Schüleraustausch ins Ausland. Werden sie kontrolliert, zeigen sie eine Bescheinigung, wonach ihr Aufenthalt bis zur Abschiebung legal ist. Aufhalten durften sie sich bisher nur im Bundesgebiet. „Als unsere Klasse einen Geldpreis gewonnen und beschlossen hat, in die Schweiz zu fahren, habe ich behauptet, irgendwas mit meinem Ausweis hätte nicht rechtzeitig geklappt“, erzählt Ruiyu. Erst spät erfassten die jungen Erwachsenen, wie wichtig ein legaler Status für sie und ihre Mutter ist.

Mutter hat inzwischen legalen Pass

„Mutter Shao hat vor fast 25 Jahren unter falschem Namen hier in Deutschland Asyl beantragt, sie dachte, das würde sie vor einer Abschiebung schützen“, sagt Siegfried Kasper. Ihr Antrag wurde abgelehnt, ihre Klage dagegen abgewiesen. 1996 beantragte sie eine Aufenthaltsbefugnis, die 2001 (!) abgelehnt wurde, weil sie ihr Ausreisehindernis „aufgrund ihrer Falschangaben selbst zu verschulden“ hatte, teilt das Amt für öffentliche Ordnung in Stuttgart auf Anfrage mit.

Seither lebt die mittlerweile 61-jährige Chinesin nur geduldet in Deutschland, nahm Jobs in Restaurants an und hat kaum Deutsch gelernt. Einen chinesischen Pass beschaffte sie aus Angst vor Abschiebung nicht. „Seit 2016 hat Shao einen chinesischen Pass und trägt ihren echten Namen“, so Kasper, „doch die Kinder lässt man für den Fehler der Mutter büßen.“

Den Akten nach habe die ganze Familie vor fünf Jahren in Frankfurt beim chinesischen Generalkonsulat um Pässe für die Kinder vorgesprochen, „der Antrag wurde aber abgelehnt wegen der Namensungleichheit mit der Mutter“, so der Rechtsanwalt. Aktuell wirft das Regierungspräsidium der Familie vor, sie habe ihre Mitwirkungspflichten nicht erfüllt: „Für eine wirksame Passbeantragung ist erforderlich, dass eine persönliche Vorsprache beim chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt erfolgt und ein Passantrag in Hochchinesisch mit den richtigen Personalien ausgefüllt wird. Eine Bestätigung über eine wirksame Antragstellung liegt somit nicht vor“, heißt es in einem Brief der Karlsruher Regierungspräsidentin Nicolette Kressl, an die sich Kasper zuletzt hilfesuchend gewandt hatte.

Arbeitserlaubnis für Ferienjob kam einen Tag zu spät

Seit Februar 2018 gehen die Briefe hin und her zwischen Anwalt, Regierungspräsidium Karlsruhe, Amt für öffentliche Ordnung in Stuttgart. Das Generalkonsulat schweigt, obwohl um einen (weiteren) Besuchstermin gebeten, das Regierungspräsidium wiederum beschränkte im Juli den Aufenthalt der beiden jungen Menschen auf das Stadtgebiet von Stuttgart und widerrief die Arbeitserlaubnis wieder.

„Als ich mich auf Ausbildungsstellen beworben habe, ist mir das Dilemma erst bewusst geworden“, sagt Yu-Hong. Einen Beruf als Kinderpflegerin oder Bürokauffrau könne sie sich gut vorstellen, „aber ein Jahr lang bekam ich keine Arbeitserlaubnis, dann doch, dann ist sie mir nach einem Monat wieder entzogen worden und ich hatte den Job los“, erzählt sie. Keiner wolle sie einstellen in dem Wissen, „dass ich möglicherweise bald nicht mehr kommen darf“. Bei Ruiyu kam die Arbeitserlaubnis einen Tag zu spät an, „da war der Ferienjob bei Bosch leider wieder weg“, sagt sein Rechtsanwalt. „Dabei wäre das sicher ein guter Einstieg gewesen“, klagt der 18-Jährige, „ich kann mir schon vorstellen, Mathe oder so was zu studieren, ich hatte ’ne Zwei im Abi.“ Die Aufenthaltsbeschränkung aufs Stadtgebiet macht die Sache nicht einfacher: „Alle sagen, die Zeit zwischen Schule und Beruf sei die beste Zeit unseres Lebens. Das nervt“, sagt Ruiyu.

Anwalt will Härtefallkommission anrufen

Eine gute Nachricht gibt es inzwischen: Das Regierungspräsidium Karlsruhe teilt auf Anfrage mit, dass gegen die Geschwister „kein Ausweisungsverfahren anhängig“ und gegen die Mutter „aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht geprüft“ würden. Laut Amt für öffentliche Ordnung „muss noch geprüft werden“, ob die Krebserkrankung der Mutter eine Ausreise unmöglich mache. Der Sohn, so Amtsleiterin Dorothea Koller, „hat gute Chancen auf einen rechtmäßigen Aufenthalt, bei der Tochter könnte ein Aufenthalt aus humanitären Gründen in Betracht kommen“. Bis Ende September hat das Regierungspräsidium eine Ausnahmeregelung für den Aufenthalt der Geschwister erteilt, vorausgesetzt sie legten bis dahin ihre Pässe vor. Notfalls will Siegfried Kasper, Mitglied der CDU Waiblingen, die Härtefallkommission des Landtages anrufen.

Die Familie hofft auf ein Gesetz, das einen Spurwechsel vom Asyl- zum Einwanderungswesen zulässt, so wie es von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) vorgeschlagen worden ist. Doch Günthers Parteikollege, der Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), ist skeptisch: „Das ist eine schwierige Balance, die man finden muss. Eine Ausreisepflicht, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt wurde, ist grundsätzlich durchzusetzen – ansonsten macht sich der Rechtsstaat unglaubwürdig.“ Andererseits sehe er die „berechtigten“ Interessen der Unternehmen. Die bestehenden Regelungen sind seiner Ansicht nach ausreichend: „Mit dem, was wir, unter anderem auf meine Initiative und mein Betreiben, im Bund in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, sind wir auf einem guten Weg.“

Aufenthaltsgesetz schützt rund 1800 Personen

Laut Innenministerium Baden-Württemberg verfügten zum Stichtag 30. Juni 2018 gemäß Ausländerzentralregister rund 1800 Personen über Aufenthaltstitel auf Grundlage des Aufenthaltsgesetzes. Die Aufenthaltsgenehmigungen wurden aus persönlichen oder humanitären Gründen oder wegen außergewöhnlicher Härte erteilt. Nach Angaben des Innenministeriums Baden-Württemberg waren darunter auch gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende sowie Personen, die sich „nachhaltig“ integriert hatten.