Die Verhandlungsführer Georg Müller (Arbeitgeberverband, links) und Peter Hausmann (Chemiegewerkschaft) sind zufrieden. Foto: dpa

Mit Lohnsteigerungen von 3,0 und 2,3 Prozent für insgesamt zwei Jahre setzen die Tarifpartner der chemischen Industrie wieder einmal Maßstäbe. Im Arbeitgeberlager gibt es allerdings Diskussionsbedarf.

Lahnstein - Die Arbeitgeber haben sich noch etwas geziert am Ende der entscheidenden Verhandlungsrunde und ausgiebig über den Kompromiss debattiert. Dann aber haben auch sie dem Tarifkompromiss für die Chemie-Industriebranche mehrheitlich zugestimmt. Um 3,0 und 2,3 Prozent werden die Einkommen der 550 000 Beschäftigten in 1900 Betrieben binnen 24 Monaten erhöht. Auf diesen höchsten Abschluss des Jahres hatten sich Gewerkschaft und Arbeitgeber am Donnerstagnachmittag im rheinland-pfälzischen Lahnstein geeinigt.

Die erste Lohnstufe für 13 Monate tritt regional zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft – in Baden-Württemberg zum 1. September. Es folgt jeweils die zweite Stufe für elf Monate. Entsprechend gelten die Tarifverträge je nach Bezirk bis Ende Juli beziehungsweise Ende September 2018.

Für Unternehmen in „besonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ gilt eine Öffnungsklausel. Wenn sie zum Beispiel im abgelaufenen oder laufenden Geschäftsjahr Verluste erleiden oder mit ihrer Nettoumsatzrendite unter drei Prozent bleiben, können sie die Tariferhöhungen um jeweils zwei Monate nach hinten verschieben. Dieses Instrument soll der unterschiedlichen Situation der Branche Rechnung tragen.

„Kraftakt“ für die Arbeitgeber

„Für die Unternehmen ist dieser Abschluss zweifellos ein Kraftakt, der nur durch die lange Laufzeit tragbar ist“, gestand der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Georg Müller. Als Pluspunkte zählte er die Planungssicherheit und die betriebliche Flexibilität auf. Verbandspräsidentin und BASF-Vorstandsmitglied Margret Suckale nannte das Ergebnis „anspruchsvoll, aber für beide Seiten tragbar“. Damit werde Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern ausdrückt, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Branche aus den Augen zu verlieren.

In der vergangenen Tarifrunde hatten sich 100 000 Beschäftigte an Protestaktionen beteiligt. Zudem hatte sich gerade bei den kleineren Betrieben Unmut angestaut. Dies mündete dann in einem ungewohnt niedrigen Angebot der Arbeitgeber. Nun hat der zwischenzeitliche Wechsel der Verhandlungsführer sich positiv ausgewirkt: Bayer-Personalchef Georg Müller, ein Diplom-Psychologe mit rheinländischem Gemüt, war wohl hauptverantwortlich für die Rückkehr zum alten konsensualen Stil. Sein Vorgänger Hans-Carsten Hansen (BASF) war eher knorrig aufgetreten.

Mehr Engagement für den Nachwuchs

Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis lobte, dass die Beschäftigten wieder am Erfolg der chemischen Industrie beteiligt würden. „Unsere hohe Tarifbindung in der Branche gewährleistet, dass die Entgelterhöhungen auch bei allen ankommen“, sagte er. Sein Verhandlungsführer Peter Hausmann mochte sich nicht den Hinweis in Richtung IG Metall und Verdi verkneifen, dass sich „die Prozentzahlen auch im Branchenvergleich sehen lassen können“.

Vereinbart wurde auch, das Engagement in der Nachwuchssicherung auszubauen. Ein neues Programm mit dem Titel „Pre-Start“ verbessert die Chancen von Jugendlicher mit besonderem Entwicklungsbedarf – etwa durch die Vermittlung von sprachlichen und sozialen Kompetenzen. Während eines bis zu dreimonatigen Kurses erhalten die Teilnehmer 450 Euro monatlich, die vom Unterstützungsverein der chemischen Industrie finanziert werden. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung der Tarifpartner. Sie übernimmt zudem die Kosten der sozialpädagogischen Betreuung. Für dieses Projekt wird ein Topf von einer Million Euro bereitgestellt.

Ausbildungsniveau soll gehalten werden

Das bereits erzielte hohe Ausbildungsplatzniveau solle trotz sinkender Schulabgängerzahlen oder trotz des Trends zur akademischen Abschlüssen gehalten werden, heißt es von beiden Seiten. Unverändert gelte der Grundsatz „Ausbildung geht vor Übernahme“. Zur Analyse der Ausbildungs- und Übernahmesituation sind auf regionaler und Bundesebene paritätisch besetzte Runde Tische eingerichtet, die mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden.