Der CDU-Abgeordnete Carsten Linnemann spricht im Bundestag Foto: dpa

Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Unions-Wirtschaftsvereinigung, hält spürbare Steuerentlastungen für die Bürger für ein zentrale Thema in den Sondierungen. Die Politik müsse auch an die Angestellten, die Facharbeiter und den unternehmerischen Mittelstand denken.

Berlin - Der Unions-Wirtschaftsflügel warnt davor, Steuerentlastungen ein weiteres Mal hinauszuschieben. Dies soll ein Kernelement der Groko werden.

Herr Linnemann, die Union will mit der SPD über eine große Koalition verhandeln. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen ein?
Ich sehe die Chance bei fünfzig-fünfzig. Ich bin froh, dass es jetzt wenigstens den Versuch gibt, in ernsthafte Gespräche einzusteigen. Das hat lange genug gedauert. Zwölf Wochen sind seit der Wahl vergangen. Wir haben zwar keine Staatskrise. Wir müssen jetzt aber zu Potte kommen.
Die SPD will sich alle Formen der Zusammenarbeit offenhalten. Die Kanzlerin hat zu verstehen gegeben, dass sie eine Minderheitsregierung nicht will. Was heißt das?
Wenn es zu einer großen Koalition kommt, muss sie unter anderen Vorzeichen stehen. Die neue Groko darf nicht von der Substanz leben wie die alte, sondern muss zukunftsgerichtet sein, also Substanz aufbauen. Wir brauchen eine große Koalition mit voller Verantwortung. In der SPD glauben ja manche, dass es ausreicht, nur auf einigen Gebieten zu kooperieren, einige Minister in die Regierung zu entsenden und sich dann je nach Bedarf aus der Gesamtverantwortung zu stehlen. Das funktioniert nicht. Wenn Groko, dann richtig. Wenn die Verhandlungen scheitern, sollte die Union eine Minderheitsregierung ansteuern. Neuwahlen wären die schlechteste Lösung.
Wie lässt sich mit einer SPD regieren, die im Grunde lieber Opposition sein will?
Diese Frage muss in den Sondierungen beantwortet werden. Ich habe den Eindruck, dass die SPD einen Schritt weiter ist. Die SPD muss eine gemeinsame Regierung wirklich wollen. Taktieren hilft nicht.
Für die SPD sind Steuersenkungen nachrangig. Die Unionsspitze hat in den Jamaika-Gesprächen den schnellen Soli-Abbau abgeblockt. Muss sich der Union-Wirtschaftsflügel von großen Entlastungen verabschieden?
Viele Bürger haben das Gefühl, dass zuerst die Finanzkrise, dann die Eurorettungskrise und schließlich die Flüchtlingskrise Steuersenkungen verhindert haben. Wenn spürbare Entlastungen nun scheitern, weil wieder neue Gründe vorgeschoben werden, geht die Glaubwürdigkeit in der Steuerpolitik vor die Hunde. Die Union ist aufgerufen, in den Verhandlungen die Angestellten, Facharbeiter und Mittelständler zu vertreten, die den Sozialstaat in Deutschland finanzieren. Diese Gruppe ist in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden. Steuersenkungen sind für uns zentral.
Was fordern Sie?
Unser Wahlprogramm ist eindeutig: CDU/CSU wollen den sogenannten Mittelstandsbauch im Einkommensteuertarif verringern und die Bürger um 15 Milliarden Euro jährlich entlasten. Außerdem wollen wir den Kinderfreibetrag auf den Grundfreibetrag für Erwachsene anheben und entsprechend das Kindergeld erhöhen. Gleichzeitig muss der Einstieg in den Ausstieg aus dem Soli beginnen. Wenn wir das umsetzen, bin ich guter Dinge.
Die SPD will Sozialleistungen ausweiten. Macht der Unions-Wirtschaftsflügel da mit?
Ich mache nicht dabei mit, den Fehler bei den Jamaika-Verhandlungen zu wiederholen. Dort verhedderten sich die Beteiligten am Anfang in Details. Wir müssen zuerst die Frage beantworten, wohin die Reise geht. Was soll die gemeinsame Überschrift der großen Koalition sein? Die neue Regierung muss sich dafür einsetzen, dass der Wohlstand in Zukunft erarbeitet werden kann. Natürlich ist die Union auch bereit, soziale Probleme zu lindern. Hier müssen wir zielgerichtet vorgehen und nicht wie so oft mit der Gießkanne.