Charlotte Isler kam 2018 zur Eröffnung der Gedenkstätte im Hotel Silber Foto: Lg/Zweygarth

Als Kind hatte Charlotte Isler eine unbeschwerte Zeit in Stuttgart – bis sie vor den Nazis fliehen musste. Ihre Erinnerungen hat sie in Gedichten verarbeitet. Am Sonntag wird das Buch im Württembergischen Kunstverein vorgestellt.

S-Mitte - „Gedichtle“ nennt Charlotte Nussbaum Isler ihre gereimten Betrachtungen über die Welt. In der schwäbischen Verkleinerungsform, ganz bescheiden. Was ihr so eingefallen ist zu Menschen und Tier, zu Natur und Kultur, zum Leben an sich. Auf Deutsch, obwohl sie seit mehr als 80 Jahren in Amerika, nahe New York, zuhause ist.

Ihre poetische Ader entdeckte Charlotte Isler, als sie nach einem häuslichen Unfall lange zum Nichtstun verdammt war. Denn das ist für die agile Dame, die im November 96 Jahre alt wird, überhaupt nicht zu ertragen. Zu diesem Geburtstag schenkt ihr der Stuttgarter Freundeskreis die Veröffentlichung ihrer Gedichtle unter dem Titel „Das Leben ist trotzdem schön“.

„Ich hatte eine unbeschwerte und schöne Kindheit“

„Der Titel sagt alles“, schreibt Charlotte Isler, geborene Nussbaum, in ihrem Vorwort. Trotz Flucht aus Deutschland, in höchster Gefahr, nachdem der Vater am Morgen nach dem Reichspogrom verhaftet worden war, trotz den Mühen einer neuen Existenz in der Fremde „betrachte ich die Welt immer noch als schön und interessant.“ Ihre Muttersprache wollte sie nie vergessen und hat sie konsequent in Sprache und Schrift weiter geübt. Sie wurde in New York heimisch, heiratete den aus Berlin stammenden Werner Isler und bekam zwei Söhne. Aber sie wollte auch Stuttgart nicht vergessen: „Wir wohnten in der Hohenstaufenstraße 17 A, und ich hatte eine unbeschwerte und schöne Kindheit. Aber ich kannte keine Seele mehr, als ich 1967 das erste Mal wieder zurückkam.“

Dann sei 2008 eines Tages ein Anruf aus Stuttgart gekommen, der alles änderte: Angerufen hat Irma Glaub von der Initiative Stolperstein Stuttgart-Süd. Sie hatte Charlotte Isler als Enkelin von Siegmunde Friedmann ausfindig gemacht, die 1944 in Theresienstadt umgekommen war und für die in der Hohenstaufenstraße ein Stolperstein verlegt werden sollte. „Die Großmutter war in Stuttgart geblieben, weil sie uns nicht zur Last fallen wollte“, erzählt Charlotte Isler.

1942 gehörte die 70-Jährige zu den mehr als tausend Juden aus Stuttgart und Württemberg, die vom Nordbahnhof aus deportiert wurden. Mit diesem Stolperstein, vor dem Charlotte Isler dann einige Monate später stand, erfüllte sich ihre Beziehung zu Stuttgart mit neuem Leben und vielen neuen Freunden.

Für den Erhalt des Hotels Silber eingesetzt

Geschrieben hat Charlotte Isler immer: Als gelernte Krankenschwester Artikel für eine medizinische Fachzeitschrift, Bücher über das Gesundheitswesen, Kinderbücher und ihre Autobiografie. Und 2008 einen Brief von besonderer Bedeutung: An Ministerpräsident Stephan Mappus, an OB Wolfgang Schuster, an die Fraktionen im Gemeinderat und an Willem van Agtmael, Chef von Breuninger. „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das Hotel Silber nicht zerstören“, schrieb sie, nachdem sie von Harald Stingele, damals Vorsitzender der Initiative für den Erhalt der ehemaligen Gestapozentale, vom Kampf um das Gebäude gehört hatte. Nachzulesen im Gedichtband. Der Kampf war erfolgreich, wie man weiß. 94-jährig und kaum von den Folgen eines Unfalls genesen, kam sie im Dezember 2018 als Gast der Stadt zur Eröffnung des Lern- und Gedenkortes Hotels Silber, um als Zeitzeugin zu berichten. Rede und Antwort stand sie auch den Schülern ihrer ehemaligen Schule, dem Königin-Charlotte-Gymnasium, aus dem sie am Morgen nach dem Reichspogrom geflogen war. Ihre Biografie ist außerdem festgehalten in dem Filmprojekt „Fragezeichen – Jugendliche im Gespräch mit Zeit-zeug*innen“ von Harald Stingele.

Seither haben immer wieder Freunde aus Stuttgart Charlotte Islers Gastfreundschaft in Irvington on Hudson genossen. Nun würde sie viel drum geben, wieder nach Stuttgart reisen zu können. Denn das Buch (erhältlich im Buchhandel für 10 Euro), das der Freundeskreis, an der Spitze Harald Stingele, aber auch mit einem Beitrag von OB Fritz Kuhn, ermöglicht hat und das mit Zeichnungen von Alina Lingel im Peter Grohmann-Verlag der Anstifter veröffentlicht ist, wird am 25. Oktober um 16 Uhr im Württembergischen Kunstverein präsentiert. (Anmeldung über zentrale@wkv-stuttgart.de oder 0711-223 370).

Die Autorin ist per Zoom zugeschaltet. Höchst lebendig und eindrucksvoll.