Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz muss alle poltitischen Ambitionen begraben und verzichtet auf das Amt des Außenministeriums. Der gescheiterte Kanzlerkandidat aus Würselen steht vor dem politischen Nichts.
Berlin - Am Ende seiner ziemlich beispiellosen Politikerkarriere steht Martin Schulz nicht neben der überlebensgroßen Bronzestatue von Willy Brandt in der SPD-Zentrale, die alle SPD-Chefs wie Zwerge wirken lässt. Das Ende kommt trocken und nüchtern und ohne Bilder. Es ist die Pressemitteilung 18/18. „Erklärung des SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz“ steht darüber. Es wird seine letzte sein. Den Rückzug von der Parteispitze hat Schulz zwei Tage zuvor schon angekündigt. Aber jetzt zeigt sich, dass das nicht genügt. Schulz muss auch den Plan aufgeben, das Außenministerium in der nächsten Regierung zu übernehmen.
Freiwillig tut er das nicht. Er wollte weitermachen. Aber das ist nicht drin. Es ist nicht mehr drin, seit sein Vorgänger als SPD-Chef, Sigmar Gabriel, ihm öffentlich Wortbruch und Respektlosigkeit vorgeworfen hat. Weil Schulz, der ja laut eigener Aussage nie Minister unter Merkel werden wollte, auch an dieser Stelle eine 180-Grad-Wende vollzieht und nun doch das Außenamt für sich reklamiert. Seit er diese Entscheidung verkündet hat, wächst die Kritik – an der Basis, bei den Funktionären, in der Bundestagsfraktion und bei den Wählern.
Am Ende ist es Sigmar Gabriel, der Martin Schulz den entscheidenden Schlag versetzt
Dass Schulz zugleich auf den SPD-Vorsitz verzichtet und die Fraktionschefin Andrea Nahles als seine Nachfolgerin vorschlägt, ist als Befreiungsschlag gedacht. Aber es verfehlt seine Wirkung. Am Ende ist es Sigmar Gabriel, der Martin Schulz den entscheidenden Schlag versetzt. Binnen Stunden ist die Sache gelaufen. „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten in der SPD beendet sind“, teilt Schulz mit. Er wolle durch „die Diskussion um meine Person“ den Erfolg beim Mitgliedervotum für die große Koalition nicht gefährden.
Schon am Abend zuvor zeichnet sich ab, dass der SPD-Spitze so kurz nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen ein Stresstest ungeahnten Ausmaßes bevorsteht. Man kann es Olaf Scholz, dem Ersten Bürgermeister Hamburgs und der noch inoffiziellen neuen Nummer Zwei der deutschen Sozialdemokratie, zwar nicht am gewohnt unbewegten Gesicht ablesen. Aber seine Sätze verraten, dass er unter Strom steht. Scholz, der in der nächsten Bundesregierung Finanzminister und Vizekanzler werden soll, muss im Fernsehen das Problem kleinreden, das Gabriel der SPD-Spitze mit seiner Attacke gegen Schulz eingebrockt hat. Er gerät ins Stottern und bringt seine Aussagen nicht so zielsicher zu Ende, wie es gerade jetzt notwendig wäre. Das spricht Bände bei dem Mann, der als Scholzomat bekannt wurde, weil er selbst gegen die heftige Kritik von allen Seiten gegen die Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder scheinbar ungerührt eine Verteidigungsrede nach der nächsten abspulte wie ein Automat.
So hat man sich die Neuaufstellung der SPD-Spitze ganz sicher nicht vorgestellt
„Unterirdisch“, sei sein Auftritt gewesen, sagt am Tag danach ein Sozialdemokrat aus dem Südwesten – „wie das Kaninchen vor der Schlange“ habe Scholz gewirkt. So hat man sich die Neuaufstellung der SPD-Spitze nach den kräftezehrenden Koalitionsverhandlungen und vor dem schwierigen Mitgliederentscheid ganz sicher nicht vorgestellt. Das mit dem Scholzomat ist lange her. Damals war der Hanseat Generalsekretär der Sozialdemokraten, heute ist er Erster Bürgermeister von Hamburg und der designierte Vizekanzler der nächsten Bundesregierung – wenn sie denn zustande kommt.
Dass Olaf Scholz , obwohl noch nicht offiziell im Amt, zu diesem Zeitpunkt überhaupt im Fernsehen erscheint, zeigt, wie stark die SPD-Spitze unter Druck geraten ist. Der Kern ihres Problems ist dabei nicht der Frust des scheidenden Außenministers. Dass Sigmar Gabriel aus dem Kabinett ausscheiden soll, ist nicht allein Schulz’ Wünschen geschuldet. Wenn die künftige Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles und der Hamburger Olaf Scholz das neue Machtzentrum der Sozialdemokraten sind, wollen sie die Leistungen der SPD in der großen Koalition und die weitergehenden Pläne, die die SPD möglichst bald in einem anderen Regierungsbündnis umsetzen möchte, ohne Störfeuer von den eigenen Genossen verkaufen. Mit dem stets erratischen, sprunghaften und unkontrollierbaren Gabriel im Ministerrang wäre das unmöglich. Deshalb wird er wohl gehen müssen, selbst wenn Martin Schulz nun aufs Außenamt verzichtet.
Die Parteiführung soll Schulz ein Ultimatum gesetzt haben
Dass die SPD dem Niedersachsen viel zu verdanken hat, weil er ein guter und zuletzt populärer Außenminister war, weil er den Parteivorsitz in schwieriger Zeit übernahm und die Kanzlerkandidatur zweimal – allerdings nur vermeintlich – größeren Hoffnungsträgern überließ, spielt kaum mehr eine Rolle. Auch Genossen, die ihn schätzen, finden es „fies“ oder „perfide“, dass Gabriel bei der Attacke auf Schulz seine Tochter mit dem Satz zitierte, es sei doch besser mehr Zeit in der Familie zu verbringen „als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht“. Bis vorgestern habe Gabriel mit gutem Recht um sein Amt gekämpft, sagt einer. Aber jetzt sei die Sache durch; der Tonlage seines Angriffs wegen, werde die Zahl seiner Fürsprecher klein bleiben.
Ein Kraftakt ist es aber an diesem Freitag für die SPD-Spitze, Martin Schulz auch noch zu seinem letzten Verzicht zu bewegen. Schon in den vergangenen zwei Tagen hat Schulz sich viel Kritik anhören müssen. In der Sitzung der Bundestagsfraktion am Mittwochabend bewerteten viele Abgeordneten seinen Griff nach dem Außenamt als „schwierig“ für die Mitgliederentscheidung. Auch direkte Appelle und Forderungen, diese Position noch einmal zu überdenken, musste er sich anhören. Hinzu kamen so viele Mails und Rückmeldungen aus den Bezirken, dass die SPD-Führung die Flucht nach vorne angetreten hat. Zwei Tage zuvor hatte Andrea Nahles den Rückzug von Schulz vom SPD-Vorsitz noch als freundschaftliche Entscheidung auf seine Initiative hin beschrieben. Am Freitag aber wendet sich das Blatt. Erst meldet die „Bild“-Zeitung , dass die engere Parteiführung von Schulz abrücke. Dann ist von einem Ultimatum bis Freitagnachmittag die Rede. So lange dauert es nicht, bis Schulz Fakten schafft. Eine Stunde nach seiner Erklärung zollt Andrea Nahles ihm Respekt dafür: „Wir alle wissen daher, wie schwer ihm diese Entscheidung nun gefallen ist, sich persönlich zurück zu nehmen.“
Aus Freunden sind politische Feinde geworden
Martin Schulz und Sigmar Gabriel sind noch als Freunde ins vergangene Wahljahr gestartet. Der SPD-Chef aus Würselen, der den ebenso singulären wie kurzlebigen Schulz-Hype auslöste, und sein Vorgänger aus Goslar, der dies erst ermöglichte, sind nun auch im Niedergang vereint. Das neue SPD-Tandem aus Andrea Nahles und Olaf Scholz müht sich, das entstandene Chaos in den Griff zu kriegen. „Ich gehe davon aus, dass wir uns jetzt voll und ganz auf die inhaltliche Debatte konzentrieren“, fordert Nahles mit Blick auf den Mitgliederentscheid. Es klingt streng, und es ist auch so gemeint. Am 4. März wird ausgezählt.